Prof. Werner Schnatterbeck sprach in Walldorf. Foto: Pfeifer
Von Anton Ottmann
Walldorf. Während seiner Amtszeit zwischen 2002 und 2014 hat der ehemalige Schulpräsident am Regierungspräsidium Karlsruhe, Prof. Werner Schnatterbeck, nacheinander fünf verschiedene Kultusminister, vier Staatssekretäre und sechs Ministerialdirektoren erlebt, die als Führungsriege die Bildungspolitik der jeweiligen Regierungskoalition umzusetzen hatten.
Dabei hat er feststellen müssen, dass in den jeweiligen Regierungskoalitionen sehr unterschiedliche "Ansichten über den Königsweg der Bildungspolitik" vertreten wurden, was Unruhe und Unsicherheit erzeugte, wie er den Zuhörern vom "Verband Bildung und Erziehung", Rhein-Neckar/Heidelberg in Walldorf erläuterte. In seinem Vortrag "Bekanntes und Erkanntes" führte er seine "Anmerkungen zur gegenwärtigen Bildungs- und Schulpolitik" aus.
Beispiele dieser gravierenden Veränderungen sind unter anderem die Abschaffung der Grundschulempfehlung und Einführung der Gemeinschaftsschule, außerdem das Zurückholen des G 9 in Form von Schulversuchen, nachdem man kurz zuvor das neunjährige Gymnasium zugunsten des achtjährigen abgeschafft hatte, und schließlich, seit dem Jahr 2009, die Inklusion, ohne entsprechende Personal- und Raumausstattung. Folgenreich für den Schulalltag seien auch die Flüchtlingsbewegung und die regionale Schulentwicklung gewesen.
Für Schnatterbeck am Allerdringlichsten wäre ein "Schulfrieden", in dem über Partei- und Gruppengrenzen hinweg "Essenzielles" (wesentliche Inhalte) verabredet und auch längere Zeit durchgehalten würden. Er plädiere ganz dringend für "eine zehnjährige Ruhe", damit die Schulen ihre vorhandenen Kompetenzen einmal anwenden könnten.
Die Schlussfolgerungen aus seiner umfangreichen Beschreibung der gegenwärtigen pädagogischen Landschaft fasste Schnatterbeck in 14 Thesen zusammen. Im Bildungssystem mit Widersprüchen umzugehen und Spannungen und Widerstände auszuhalten, ist eine davon. Eine andere, dass sich das kulturelle Wissen unserer Gesellschaft immer mehr und mit immer größerer Geschwindigkeit ausweitet.
Letzterem könne man nur mit exemplarischem Lehren und Lernen begegnen. Dabei sei es wichtig, neben dem Wissen auch Werte zu vermitteln, indem man beispielsweise jungen Menschen die Chance gebe, in einem Sozialpraktikum zu erfahren, was es persönlich bedeute, nützlich zu sein.
Neben den bildungstheoretischen Fragen nahm Schnatterbeck auch zu organisatorischen Veränderungen Stellung. So bieten nach seiner Meinung Privatschulen nicht die Möglichkeit, Defizite im Bildungsbereich, wie sie die Pisa-Studien aufgeführt hat, zu beheben, da sie immer auch elitär sind. Er verurteilte außerdem die Eingliederung der Schulverwaltung in die Landratsämter und Regierungspräsidien ebenso, wie die Zusammenlegung von Aufsicht und Beratung bei der Betreuung der Lehrer.
Schnatterbeck ging es bei seinen Ausführungen nicht um die eine oder andere politisch und ideologisch geprägte Schul- und Unterrichtsidee, sondern um die Wiederherstellung eines kreativen und fruchtbaren Arbeitsklimas. Dies beinhalte das Vertrauen in die Schule und die Kompetenz der Lehrkräfte und das Wiedererstarken der "Pädagogischen Freiheit". Dazu müssten alle am Schulleben Beteiligten auf Augenhöhe und mit Wertschätzung, entspannt und gelassen, miteinander umgehen. Transparenz sei angesagt, Fehler müssten angesprochen, aber auch verarbeitet werden. Druck, woher auch immer, stehe dem entgegen.
Der Vortrag wurden von den anwesenden Lehrkräften mit viel Beifall aufgenommen. In ihren Wortmeldungen beklagten sie, dass sie auf die großen und nachhaltigen Veränderungen wie "Digitalisierung", "Inklusion" und "freie Wahl der Sekundarschule" nicht ausreichend vorbereitet und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen bis zum heutigen Tag nicht geschaffen worden seien. Es war sogar mehrfach die Rede, davon, dass die "Lehrer verheizt werden".