Die Hauptstelle der Raiffeisen Privatbank Wiesloch-Baiertal. Foto: Pfeifer
Von Timo Teufert
Baiertal. Die Raiffeisen Privatbank kann ihre beiden ehemaligen Vorstände in Regress nehmen. In Zusammenhang mit Kreditausfällen von mindestens neun Millionen Euro, die durch einen Mann entstanden sind, der offenbar in betrügerischer Absicht handelte, wird ihnen Pflichtverletzung vorgeworfen.
Zu diesem Schritt haben sich die Mitglieder der Bank im Dezember mit deutlicher Mehrheit entschlossen, nachdem sie ihn im November 2019 zunächst nicht gehen wollten. Die jetzige Entscheidung war aber nötig, damit die Sicherheitseinrichtung des Bundesverbands Deutscher Volksbanken und Raiffeisenbanken die Raiffeisen Privatbank auch weiterhin stützt.
Im Vorfeld hatte die Bank deshalb umfassend über die wirtschaftlichen Probleme mit Rundschreiben und Veranstaltungen informiert. In den Unterlagen zur Generalversammlung war den Mitgliedern auch die Kurzform eines Gutachtens zugegangen, das der RNZ vorliegt und in dem die Haftungsfrage der ehemaligen Vorstände genauer untersucht wird. Es gibt Aufschluss darüber, wie es zu den Millionenverlusten kam.
Demnach wurden die Kredite an einen Familienverbund vergeben: Er besteht aus dem Hauptkreditnehmer und seiner Frau, den Eltern des Hauptkreditnehmers, der Firma, dessen Gesellschafter und Geschäftsführer der Hauptkreditnehmer ist, und einer weiteren Firma, die dem Hauptkreditnehmer ebenfalls zuzurechnen ist. Über das Vermögen des Hauptkreditnehmers und in Teilen auch das Vermögen seiner Firmen wurden mittlerweile Insolvenzverfahren eröffnet.
Innerhalb von wenigen Monaten ab Herbst 2016 gewährte die Raiffeisen Privatbank zunächst dem Hauptkreditnehmer und seiner Ehefrau Kredite in Höhe von 3,475 Millionen Euro. Ab Mai 2017 wurden dann auch den Eltern des Hauptkreditnehmers, beide Rentner, Kredite gewährt – ebenfalls über 3,475 Millionen Euro. Mit einem Teil dieser Summe sollte angeblich die Immobilie der Rentner saniert und renoviert werden.
Allerdings haben sie gar keine Immobilie und so konnte auch die übliche Grundschuld nicht bestellt werden. Weitere 2,2 Millionen Euro sind in ein Unternehmen geflossen, das dem Hauptkreditnehmer nahesteht. "Als maßgebliche Sicherheit sollten angebliche Guthaben in Millionenhöhe der Eltern bei der Drittbank dienen", heißt es im Gutachten von Rechtsanwalt Dr. Roland Erne. Diese vermeintlichen Guthaben bei der Hamburger Sparkasse sollen laut Gutachten anfänglich 87 Millionen Euro ausgemacht haben und in der Spitze auf 150 Millionen angestiegen sein.
Aufgrund dieser vermeintlichen vollen Absicherung der Kredite "wurde auf Bonitätsprüfungen im üblichen Umfang verzichtet, der Grund des Kreditbedarfs nicht genauer hinterfragt und Nachweise zur zweckentsprechenden Verwendung nicht verlangt", heißt es im Gutachten. Außerdem wurde die übliche Bestätigung der Anerkennung der Kreditsicherheiten durch die Drittbank nicht direkt von der Hamburger Sparkasse eingeholt. Diese hätte das Millionen-Guthaben schriftlich bestätigen müssen. Stattdessen erfolgte der Drittsicherheitsnachweis über einen Boten des Hauptkreditnehmers. "Es gab keinen einzigen direkten Kontakt zwischen Bank und Drittbank. Diese Handhabung ist nicht banküblich", schreibt Gutachter Erne.
Die Raiffeisen Privatbank entwickelte schließlich auch ein neues Geschäftsmodell: Mit den Kreditsicherheiten des Hauptkreditnehmers – das Kontoguthaben in Millionenhöhe – sollten gegen Provision Wertberichtigungen bei bestehenden Krediten anderer Kunden vorgenommen werden. "Bei drei problematischen Kreditnehmern konnten im Rahmen dieses Geschäftsmodells die Kredite der Bank um insgesamt rund 2,2 Millionen Euro ausgeweitet werden", erklärt Erne. Die Bestellung der Sicherheiten erfolgte hier aber direkt über den Hauptkreditnehmer.
"Das mittlerweile für die Verhältnisse der Bank hohe Kreditrisiko, welches auf diese Drittsicherheiten abgestellt war, führte jedoch weder zu einer sorgfältigeren Sicherheitenprüfung noch zu einer generellen Neueinschätzung der Risikolage der Bank", so das Gutachten. Erst Monate später wurde festgestellt, dass die Drittschuldnerbestätigung im Unterschriftenfeld nicht den Stempel der Drittbank, sondern eines ganz anderen Instituts trug. "Bemerkenswert ist dabei auch eine Neukreditvergabe an einen bonitätsschwachen Kreditnehmer, was diesen in die Lage versetzte, ausfallgefährdete Privat-Darlehen von nahen Angehörigen der Bankvorstände in Höhe von 50.000 Euro zurückzuzahlen", erklärt Erne.
Obwohl die Bankenprüfer dem Vorstand der Raiffeisen Privatbank den Betrugsverdacht bereits mitgeteilt hatten, unterzeichnete der Vorstand am 18. März 2019 einen Kaufvertrag für zwei Fotovoltaikanlagen für 1,45 Millionen Euro mit dem Hauptkreditnehmer. "Der Kaufpreis für die erste Anlage wurde von der Bank am 12. April 2019 überwiesen, obwohl die Grundbuchsicherung nicht gegeben war", heißt es im Gutachten. Zuvor hatte der Hauptkreditnehmer schon seine Selbstanzeige wegen Kreditbetrugs eingereicht, was der Bank am 16. April bekannt wurde. "Es ist davon auszugehen, dass der Anschaffungspreis deutlich überhöht war und dass die Bank dies mangels Überprüfung nicht erkannt hat", so Erne. Weiterer Schaden: Mindestens 383.000 Euro.
Der Gutachter lastet den ehemaligen Vorständen vor allem an, dass sie für die Sicherheiten-Bestellung ein bankunübliches Verfahren akzeptiert haben. Und zwar "von Anfang an", sie seien auch "im weiteren Verlauf der Kreditausweitungen" nicht auf den banküblichen Weg zurückgekehrt, "als es zahlreiche Unplausibilitäten gab, welche das Vorhandensein der Kreditsicherheiten zunehmend zweifelhaft machten und vielfältigen Anlass zur Überprüfung boten", so Erne.
Wegen des für die Existenz der Bank eingegangenen bedeutsamen Risikovolumens seien die Pflichtverletzungen der Vorstände gravierend. Die Pflichtverletzungen seien unmittelbar den handelnden Vorstandsmitgliedern vorzuwerfen, weil sie aufgrund der Kompetenzordnung innerhalb der Raiffeisen Privatbank die zuständigen operativen Entscheidungsträger gewesen seien und somit als Sachbearbeiter tätig wurden. Mit den Krediten an den Familienverbund überschritt die Bank auch ihre Kredithöchstgrenze bei Weitem: insgesamt um rund fünf Millionen Euro. Trotzdem genehmigte einer der Vorstände die Auszahlung der Kredite.