Oliver Buhl (li.) und Wolfgang Otto Schwarz können ebenso unterhaltsam wie sachkundig über Bücher sprechen. Schwarz hat jetzt allerdings durchblicken lassen, dass er wohl bald in Ruhestand geht. Die vielen Fans des Duos werden es bedauern. Foto: Kerstin von Splényi
Von Kerstin von Splényi
<class="excelsior_bold">Walldorf. „Wir kommen nur zu dem Publikum, von dem wir der Meinung sind, das hat uns verdient.“ Mit dieser ironischen und nicht ganz ernst gemeinten Äußerung landete Verlagsvertreter Wolfgang Otto Schwarz den ersten und bei weitem nicht den letzten Lacher des Abends. In der sehr gut besuchten Stadtbücherei hatten sich zahlreiche Lesehungrige aus der näheren und weiteren Umgebung eingefunden, um bei der neunten, wie sich später herausstellen sollte eventuell letzten, Auflage des Bücherherbstes dabei zu sein.
Barbara Grabl, Büchereileiterin in Walldorf, dankte den beiden Buch-Enthusiasten Oliver Buhl und Wolfgang Otto Schwarz für ihr Kommen, denn nur wenige könnten sich den Stress vor und während der Frankfurter Buchmesse vorstellen. Kein Wunder sei also, so Grabl, dass viele Verlagsmitarbeiter nach der Messe entweder krank oder im Urlaub seien. Nicht so Buhl und Schwarz, die beiden touren noch durch handverlesene Buchhandlungen und stellen ihre Lieblingsbücher vor. Darüber freute sich auch Ute Jacob von der Buchhandlung Dörner, die mit einem gut gefüllten Büchertisch die Kooperationsveranstaltung begleitete.
Sage und schreibe 18 Titel stellten die beiden Vielleser in ihrer unvergleichlich vergnüglichen Art quer durch alle Genres vor. Dabei wechselte sich Heiteres und Ernstes, Wahres und Erfundenes, Historisches und Aktuelles ganz in der Buhl-Schwarzschen Pingpong-Manier ab. Weit entfernt von Mainstream-Empfehlungen und Verlagsinteressen sollte es „kein literarischer Tupperabend“ werden, wie Oliver Buhl betonte. „Wir haben nur Bücher mitgebracht, die uns selber wirklich gefallen.“
Dem aufmerksamen Zuhörer gestatteten die zwei Buchhändler ab und zu einen Blick ins ganz Private. So wie bei dem Romandebüt „Mein Leben mit Martha“ von Martina Bergmann, in dessen Handlungsmittelpunkt eine demente Protagonistin steht. Buhl, dessen Vater ebenfalls an Demenz erkrankte, hat sich, so sagte er, an den wahren Ereignissen des Buches ein Vorbild genommen und will das Leben in mancher Hinsicht entspannter sehen.
Für diesen Abend hatte Buhl vorwiegend Bücher mitgebracht, die auf wahren Geschichten und Ereignissen beruhen; wie auch die auf überraschend amüsante Weise verarbeitete Krankheitsgeschichte der Dramaturgin und Drehbuchautorin von „Keinohrhasen“ Anika Decker. Mit viel schrägem Humor gelingt es ihr in „Wir von der anderen Seite“ zwischen Tränen und Lachen vom Kampf zurück ins Leben zu erzählen.
Wolfgang Otto Schwarz scheint in seinem tiefsten Inneren ein wahrer Romantiker und Poet zu sein. Zumindest hat ihn Goliarda Sapienzas Geschichte vom „Wiedersehen in Positano“ dank ihrer wunderbaren Sprache verzaubert, wie er sagte, und zu dem Entschluss gebracht, demnächst selbst an die Amalfi-Küste zu fahren. Und er brach eine Lanze für das Männerbuch. „Ein feiner Typ“ von Willy Vlautin sei ein echter Western mit einem überraschenden Ende, das er spitzbübisch lächelnd nicht preisgeben wolle, bei dem ihm aber ganz weich ums Herz geworden sei, so Schwarz.
Wenn Sie immer schon mal wissen wollten, wie es sich im Vorzimmer großer Männer arbeitet, dann empfahl Oliver Buhl „Lassen Sie mich mal machen“ von Heide Sommer. Die Ehefrau von Zeit-Chefredakteur Theo Sommer, die wohl schon mit dem Stenoblock zur Welt gekommen sei, witzelte Buhl, zeichnet ein detailliertes Sittengemälde der 1960er und 1970er Jahre. Die besten Geschichten schreibt eben doch das wahre Leben.
Wie auch die extrem wechselvolle Lebensgeschichte von Michael Ende, der sich Charlotte Roth dank unzähliger Gespräche mit Endes Intimfreund Roman Hocke respektvoll nähert. Buhl, bekennender Ende-Fan und wie so mancher Zuhörer an diesem Abend mit den Geschichten des begnadeten Erzählers groß geworden, empfahl die fesselnde Romanbiografie „Die ganze Welt ist eine Geschichte und wir spielen darin mit“ um Antworten auf die Fragen zu bekommen: Wie kam Jim Knopf zu seinem Namen; wo kommen die grauen Herren her und wer steckt hinter Bastian Balthasar Bux?
Aus der Vielzahl der vorgestellten Bücher weitere herauszugreifen, ist nicht einfach, und die einmalige Art und Weise des Entertainments wiederzugeben eigentlich unmöglich. Frisch von der Leber weg, völlig ungekünstelt und mit viel Herzblut brachten die beiden „Berufsleser“ ihre Anregungen den anwesenden Zuhörern nahe. Schwarz ging auf Reisen von Deutschland („Tante Martl“) über Kuba („Das schönste Mädchen Havannas“) bis in die USA („Im Licht der Zeit“, „Todesblues in Chicago“, „Höllenjazz in New Orleans“). Wohingegen Buhl einen Blick in die deutsche Nazi-Vergangenheit warf („Und ich war da“), hinter die Kulissen der Königlichen Porzellan-Manufaktur schaute („Ein neues Blau“) und die griechische Götterwelt wieder auferstehen ließ („Ich bin Circe“).
Die Graphic Novel ist eine moderne Form des klassischen Comics. Dieser Buchtyp liegt Schwarz besonders am Herzen und er möchte ihn mit „Der Report der Magd“ gern populärer machen, da er gestehen muss, in seiner Kindheit nicht einen einzigen Comic gelesen zu haben. Überhaupt wäre Margaret Atwood in seinen Augen Anwärterin für den Literaturnobelpreis. Mit dem begeisterten Ausruf „herrlich, göttlich, Steinfest“ outete sich Schwarz als echter Steinfest-Jünger. Gleich zwei Neuerscheinungen hatte er dabei.
„Der schlaflose Cheng“ ist ein weiterer Fall des einarmigen, widersprüchlichen Kommissars. Die „Gebrauchsanweisung zum Scheitern“ beschäftigt sich mit der philosophischen und praktischen Seite des Scheiterns und gibt, laut Schwarz, ein gutes Lebensmotto: scheitern – wieder versuchen – besser scheitern – wieder versuchen – grandios scheitern, ohne dabei unterzugehen.
Last but not least fand sich auch das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse noch in den Empfehlungen wieder. Oliver Buhl hatte Hochspannung aus Norwegen im Gepäck. Obwohl Skandinavien die geringste Kriminalitätsrate hat, erzählte Buhl, erscheint in steter Regelmäßigkeit vom Erfolgsautor Jo Nesbo ein neuer Fall für Hauptkommissar Harry Hole. Der aktuelle Band „Messer“ ist unglaublich spannend und begeistert den eingefleischten Nesbo-Krimi-Fan Buhl außerordentlich.
„Man soll aufhören, so lange es noch Spaß macht.“ Damit schien Wolfgang Otto Schwarz diesen Abend in Walldorf beenden zu wollen. Erst nach Sekunden wurde allen Anwesenden klar, dass es wahrscheinlich ein endgültiger Abschied werden sollte. Ganz nach dem Jürgensschen Motto „Mit 66 Jahren fängt das Leben an“ verabschiedete er sich in seinen wohlverdienten Ruhestand. Ob Oliver Buhl allein weitermachen wird, blieb offen. Das Publikum dankte den beiden mit reichlich Applaus, guten Wünschen, viel Wehmut und der unerschütterlichen Hoffnung, dass es doch noch ein Wiedersehen im nächsten Jahr gibt.