Längst nicht immer wird eine Rettungsgasse gebildet. Mit Videoerfassung und Ahndung von Verstößen einerseits, mit Aufklärung andererseits, will die Polizei künftig Verkehrsteilnehmer für die Bildung von Rettungsgassen sensibilisieren. Foto: Christian Beck
Von Tim Kegel
Sinsheim. Rettungsgassen zu bilden, damit Einsatzfahrzeuge bei Unfällen schneller vor Ort gelangen können - auf den Haupt-Pendlerrouten vieler Sinsheimer gestaltet sich dieses Vorhaben zur Zeit schwierig. Grund ist der Ausbau der A 6 auf sechs Spuren. Die Großbaustelle wandert seit März 2017 in Richtung Heilbronn und Wiesloch von Sinsheim weg, bewegt sich voraussichtlich bis Juni 2022 wieder auf die Stadt zu. Folgen sind ein höheres Verkehrsaufkommen, Rückstaus und ein drastischer Anstieg teils verheerender Unfälle.
Die Beamten der Autobahnpolizei Walldorf nicken: "Extrem angestiegen" sei die Zahl der Unfallopfer rund um Sinsheim seit Beginn des Ausbaus, sie dürften aber der Bekanntgabe der Polizeistatistik nicht vorgreifen. Gerade im Einzugsbereich der Raststätten Kraichgau kam es durch sich stauenden Schwerlastverkehr in den vergangenen Monaten zu dramatischen Szenen mit Feuer und mehreren Toten. Ein Unfall auf der A 5 bei Kronau, bei dem vier Menschen erst kürzlich ihr Leben verloren, passierte nur wenige Kilometer von hier entfernt - die Szenen, die Berichte der Feuerwehr über Gaffer und Behinderungen von Rettungsfahrzeugen bei der Zufahrt haben die Region aufgerüttelt.
Währenddessen stauen sich Fahrzeuge fast allabendlich am Sinsheimer Autobahnabschnitt; der Lkw-Rückstau zieht sich oft von der Abfahrt Dühren bis Steinsfurt. Sinsheim - ein in mehrfacher Hinsicht geeigneter Ort für den Auftakt einer Kampagne, mit der die Polizei auf die Wichtigkeit von Rettungsgassen hinweisen und Verstöße gegen deren rechtzeitige Bildung stärker ahnden will.
Die Faustregel ist einfach: Fahrer auf der linken Spur fahren so weit wie möglich links, die rechten Spuren weitmöglichst rechts. Dies sei bereits bei stockendem Verkehr Vorschrift, "sobald Schritttempo gefahren wird" und es sich bei der Fahrbahn um eine Autobahn oder eine zweispurige Außerortsstraße handle: "Das ist vielen nicht bewusst", sagt Polizeisprecher Michael Klump vom Mannheimer Polizeipräsidium. Verstöße gegen die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse sind seit Ende Oktober 2017 mit bis zu 320 Euro Bußgeld und zwei Punkten im Fahreignungsregister belegt. Bei einer Behinderung oder Gefährdung der Einsatzfahrzeuge droht gar ein Monat Fahrverbot. Rund 200 Euro werden schon fällig, wenn der Verkehr stockt und der Fahrer hierauf nicht reagiert.
Sinsheim sei wegen seiner Gesamtkonstellation aus wichtigem Verkehrsknotenpunkt, dem Standort zweier großer Tank- und Rasthöfe, aber auch wegen der Ausbausituation der A 6 als Ort für den Auftakt der Kampagne gewählt worden: Im Feierabendverkehr wurde mit Bannern an der Brücke "Schwarzwaldstraße" sowie mit mehrsprachigen Flugblättern auf der Raststätte informiert. Zoom- und lichtstarke Videokameras und Videofahrzeuge waren im Einsatz. Die Kontrolle der Bildung von Rettungsgassen solle künftig stärker zum Aufgabenkatalog der Autobahnpolizei gehören, sagt Polizeisprecher Klump. So werde Bewusstsein geschaffen, könne im besten Fall Leben gerettet werden, "da es oft um wenige Minuten geht".
Erschwert werde die Lage im engen, teils einspurigen Bereich der A 6-Baustellen. Dieser erstrecke sich im Moment auf knapp zwölf Kilometer. Es gibt lang gestreckte Bereiche, in denen die Bildung von Rettungsgassen schlicht unmöglich ist. Rettungskräfte müssten, wie Klump und Autobahnpolizei schildern, im Fall eines Unfalls Sperrungen vornehmen "und im Gegenverkehr" anfahren. Besonders schwierig: Je nach Lage der Unfallstelle müsse die Anfahrt auf der Gegenfahrbahn erfolgen.