Von Christian Beck
Sinsheim. Seit Wochen werden fast alle Schüler von zu Hause aus unterrichtet. Wie klappt das? Was läuft gut, wo gibt es Probleme? Die RNZ sprach mit Schülern, Eltern, Lehrern und weiteren Beteiligten.
> Die Technik: Dies ist einer der wichtigsten Aspekte, da sind sich alle Beteiligten einig. Denn massive Probleme machen den Unterricht zu Hause unmöglich – so geschehen am ersten Schultag nach den Weihnachtsferien. Denn nahezu alle Schüler versuchten, sich gleichzeitig anzumelden. Funktioniert hat es bei so gut wie niemandem. "Das ist wie wenn alle gleichzeitig durchs Tor am Stadion gehen wollen", beschreibt es Wolfgang Wagner, der bei der Stadtverwaltung als Amtsleiter der Informations- und Kommunikationstechnik arbeitet. Reagiert wurde in mehreren Bereichen. Die Technik wurde verbessert, so wurde laut Wagner beispielsweise der Arbeitsspeicher verdreifacht und die Bandbreite bei der Internetanbindung erhöht. Zudem sollen sich die Schüler an mehreren großen Schulen nun zeitversetzt anmelden.
Läuft das System jetzt? Es kommen zumindest keine Beschwerden, berichtet Wagner. Für die Zukunft soll die Technik aber weiter verbessert werden. Weitere schnelle Leitungen würden hoffentlich bald von den Telekommunikationsunternehmen freigeschaltet, erklärt Wagner. Und manche Schulen sollen noch besser ans schnelle Internet angebunden werden, so beispielsweise die Grundschule in Hoffenheim. Hier gebe es deutlich Luft nach oben, erklärt Rektorin Yvonne Endrich. Doch Wagner betont, dass auch die Internetverbindung der einzelnen Haushalte eine große Rolle spielt. Denn hier gibt es nach wie vor Unterschiede. Und wenn beide Eltern im Homeoffice sind und mehrere Kinder für die Schule ebenfalls das Internet nutzen, geht zumeist alles etwas langsamer.
Recht gut ist offenbar die Versorgung der Kinder mit Computern: Die Stadt hatte 400 Notebooks und Tablets bestellt und an die Schulen verteilt, diese gaben die Geräte an Schüler weiter, die sie brauchten. So sollten auch soziale Unterschiede ausgeglichen werden. Denn wohlhabendere Eltern hatten ihre Kinder häufig selbst einen Computer gekauft. Bei den Lehrern haben je nach Schule manche ein Gerät bekommen, dass sie dienstlich nutzen können, andere nicht.
> Der Unterricht: Hier gibt es große Unterschiede. In manchen Stunden werden Schüler vom Lehrer per Videokonferenz unterrichtet, in anderen bearbeiten sie zum Beispiel ein Arbeitsblatt. An der Kraichgau-Realschule gibt es in den Hauptfächern Unterricht per Video. Oder wenn mit einem neuen Thema begonnen wird, erklärt Rektor Holger Gutwald-Rondot. Zwei bis drei Mal täglich gebe es so eine Videokonferenz, berichtet Mia Hummel, Zehntklässlerin am Wilhelmi-Gymnasium. Mehr wäre nicht gut, findet sie: "Man muss da das rechte Mittelmaß finden." Und auch Lehrer sagen deutlich: Sechs Stunden Videokonferenz am Stück würde die Schüler überfordern. "Zum Besprechen ist die Videokonferenz gut", findet Naemi Marhoffer, Zehntklässlerin an der Kraichgau-Realschule. Ansonsten schreiben sich Schüler und Lehrer Nachrichten, beispielsweise in einem Chat oder per E-Mail.
> Wie läuft es bei jungen Kindern? Vielfach ganz anders. Und von Grundschule zu Grundschule verschieden – so berichtet es Rektorin Endrich. Einige Lehrer verteilen Aufgabenpäckchen mit Arbeitsblättern und Bastelmaterialien. Und zum Teil werden Erklärvideos hochgeladen, die sich Kinder zu Hause anschauen können. Doch die Rektorin sagt auch: Einige Eltern von Grundschulkindern möchten nicht, dass ihr Kind am Bildschirm lernt, da sie der Meinung sind, dass dies dem Kind schadet. Und manche Grundschüler sind laut Endrich schlicht nicht in der Lage, am Computer konzentriert zu arbeiten, über einen Zeitraum von 45 Minuten schon gar nicht. Manches Kind stehe dann einfach auf und gehe vom Computer weg.
Sind 15 oder 28 Kinder in der Klasse? Dies sei ein wesentliches Kriterium, wie viel Rückmeldung die Lehrer den Schülern geben könnten. Und wie gut die kleinen Kinder in dieser Zeit lernen, hänge nicht so sehr vom Bildungsniveau der Eltern ab, findet Endrich. Sehr wohl eine Rolle spiele aber das persönliche Engagement der Eltern. Ist die Mutter oder der Vater zu Hause, können sie meist helfen, wenn das Kind etwas nicht verstanden hat, oder es beim Herunterladen des Arbeitsblatts nicht klappt.
> Was sagen ältere Schüler? Manche können alleine besser lernen, andere nicht – so beschreibt es Naemi Marhoffer. "Bei mir kommt es aufs Fach an, bei Mathe ist es schwieriger", erzählt sie. Sie und einige andere Schüler lernten deshalb häufiger zusammen, beispielsweise mit Hilfe einer App. Sie und ihre Freundinnen motivieren sich gegenseitig, sagen sich: "Komm’, das machen wir heute noch." Und auch Mia Hummel berichtet, dass bei vielen während des Lernens zu Hause telefoniert wird. So helfe man sich, bekomme aber auch ein Stück weit das Gefühl, in Gemeinschaft zu sein.
In der Zeit der ersten Einschränkungen haben einige Schüler lange geschlafen und die Arbeitsblätter am Nachmittag oder Abend bearbeitet. Nun müssen sich alle morgens zur regulären Schulzeit melden. Hummel findet das gut, das helfe, dem Tag eine Struktur zu geben.
Der Unterricht zu Hause sei mal eine Weile auszuhalten, findet Marhoffer. Doch sie und viele andere Schüler betonen, dass ihnen der Unterricht an der Schule viel lieber ist. Dort lerne es sich leichter, es sei einfacher, Fragen zu stellen, und man sehe seine Mitschüler.
> Was sagen die Lehrer? Ihr Redebedarf ist groß. Doch fast niemand möchte sich namentlich äußern. Mehrfach wird bemängelt, dass es bei der Technik nach wie vor Probleme gibt. Doch es gebe keine Alternativen. Verbreitete Programme wie "Skype" oder "WhatsApp" dürfen von Lehrern aus Gründen des Datenschutzes für schulische Zwecke nicht verwendet werden. Doch manche greifen ab und zu trotzdem darauf zurück, erzählt eine Lehrerin. Denn dies sei besser, als wenn gar kein Unterricht möglich ist.
"Heute fehlen zwei Schüler – was kann ich tun? Nichts." So erzählt es ein Lehrer, der gerade eine Abschlussklasse betreut. Fehltage häuften sich, die Gründe seien vielfältig. Häufig erzählten ihm die Schüler etwas von Internetproblemen. Das könne man glauben oder nicht.
Viele Lehrer berichten, dass sie mehr Zeit in ihre Arbeit investieren müssen. Denn Erklärvideos zu drehen oder jedem Schüler einzeln Rückmeldung zu geben, sei zeitaufwendig. "Ich sitze den ganzen Tag nur noch vor dem Computer", erzählt eine junge Lehrerin. Eine andere Kollegin erzählt, dass sich ihre Schüler auch abends noch mit Fragen melden, dann schreibe sie so schnell es geht zurück. Und wieder eine andere Lehrerin berichtet, dass sie bei mehreren Schülern, die eine Klassenarbeit verpasst haben und zu Hause nachschreiben müssen, für jeden eine extra Klassenarbeit erstellt. Denn sonst könnten die Schüler mogeln, beispielsweise, indem sie sich währenddessen anrufen.
Doch so motiviert sei nicht jeder: "Es gibt drei Arten von Lehrern: Ein Teil ist hoch engagiert, ein Teil macht, was er muss, und ein Teil taucht ab", erzählt ein erfahrener Lehrer. Und es wird berichtet von Fällen, in denen ein Lehrer bei seinen Ideen und Vorhaben eingebremst wurde, weil seine Kollegen so unter Druck gesetzt werden könnten, sich ebenfalls in diesem Maße zu engagieren.
"Alles geht langsamer", berichtet eine Lehrerin – sie hänge mit dem Stoff deutlich hinterher. Rektor Gutwald-Rondot berichtet, dass die Schüler "emotional abgeholt" werden müssen. Häufig frage er zunächst, wie es seinen Schülern geht. Das mag wichtig sein und gut ankommen, doch die Zeit fehlt für den regulären Stoff.
Mehrere Lehrer sind der Ansicht, dass die Prüfungsanforderungen gesenkt werden müssen. Doch droht so ein Corona-Jahrgang, der Schüler hervorbringt, die weniger wissen und können? Gehe es um den Beginn einer Ausbildung oder eines Studiums, müssten sich einige Schüler wohl noch weiteres Wissen aneignen, sagt ein Lehrer.
> Was sagen die Eltern? Einige sind unzufrieden. Ein Vater, dessen Tochter voraussichtlich dieses Jahr ihren Abschluss macht, bemängelt, dass sie vor allem Arbeitsblätter bearbeiten soll, das Angebot der Schule sei zu spärlich und zu einseitig. Und bei seiner Tochter sei Lethargie eingekehrt. Seiner Ansicht nach fehle die Möglichkeit, in der Gruppe gemeinsam auf etwas hinzuarbeiten.
Eine Mutter, deren jüngste Kinder elf und zwölf Jahre alt sind, sagt offen: "Wir sind alle sehr genervt." Die Kinder hätten oft Probleme mit den Computern, die nur gelöst werden könnten, wenn ein Elternteil hilft. Weil die Kinderzimmer eher klein sind, lernen beide am Wohnzimmertisch: "Wir sitzen alle aufeinander." Die Kinder seien unausgeglichen, und der Lerneffekt sei auch deutlich geringer im Vergleich zum Präsenzunterricht. Es wäre ihr am liebsten, wenn beide Kinder die Klasse wiederholen. Doch sie betont: Die Lehrer sind sehr bemüht. Es seien schlicht die Gesamtumstände, unter denen alle leiden. Sie hofft, dass die Schulen bald wieder öffnen.
> Gibt es Vorteile?Ja, die gibt es – auch davon abgesehen, dass das Corona-Virus so wohl weniger verbreitet wird. "Die Lehrer lassen sich neue Methoden einfallen", berichtet Mia Hummel. Einer ihrer Lehrer habe extra ein Video gedreht. Vor Corona seien technische Möglichkeiten deutlich weniger zum Einsatz gekommen. Doch nun gebe es sogar Sport- und Musikunterricht zu Hause. Per Podcast hätte sie sich ein Musikstück angehört, gemeinsam habe man es dann besprochen. Beim Sport gebe es einen Trainingsplan mit Punktesystem: Übungen, beispielsweise "Hampelmänner" oder "Crunches", also Bauchmuskelübungen, werden dort nach den Vorgaben einer App gemacht und eingetragen. Manche Klassen müssten über einen bestimmten Zeitraum eine gewisse Zahl an Übungen absolvieren. Das motiviere, Sport zu machen und sorge für Wettbewerb und Zusammenhalt, erklärt Hummel.
Und noch etwas gefällt der Zehntklässlerin: "Ich muss nicht eine Stunde auf den Bus warten." Vielmehr könne sie sich nun die Zeit deutlich freier einteilen. Teilweise gehe sie am Mittag eine Runde joggen und lerne dann weiter.
Eine Lehrerin berichtet außerdem, dass sich manche Schüler verbessert haben, seit zu Hause unterrichtet wird. Und sie habe die Erfahrung gemacht, dass schüchterne Mädchen und Jungen sich nun trauen, etwas nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Nun die Lehrerin direkt anzusprechen, ist für manche offenbar leichter, als vor allen Mitschülern sich zu melden.
> Fazit: Einiges läuft ordentlich oder gut. Doch in manchen Bereichen bleibt Luft nach oben. Ältere Schülern, die selbstständig arbeiten können, fällt das Lernen zu Hause meist deutlich leichter als beispielsweise Grundschülern. Noch mehr als sonst macht sich nun bemerkbar, ob Eltern ihre Kinder in schulischen Dingen unterstützen (können). Homeschooling verstärkt somit zumindest ein Stück weit die ohnehin vorhandene soziale Ungleichheit. Präsenzunterricht ist deutlich besser, hier sind sich alle Beteiligten einig und hoffen, dass die Schulen bald wieder öffnen dürfen.