40 Teilnehmer durften – mit ausreichend Sicherheitsabstand – in den eingezäunten Demo-Bereich. Rund 60 Menschen gruppierten sich drumherum. Foto: Philipp Rothe
Von Maria Stumpf
Heidelberg. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) den "Internationalen Tag der Arbeit" von der Straße weggeholt und vor allem ins Netz verlegt. Wegen der Corona-Krise – auch in Heidelberg. Doch da regte sich Widerstand: Einzelne Gewerkschafter, linke Parteien, Umweltschutz- und Friedensbewegungsgruppierungen hatten unter dem Motto "Gesundheitsschutz Ja – Demokratie- und Sozialabbau nein" zu einer Kundgebung auf den Marktplatz aufgerufen. Rund 100 Teilnehmer kamen. "Trotz und wegen Corona. Das Virus zwingt Linke nicht in die Knie", erklärten viele der Demonstranten im Dauerregen.
Es gab mal Demo-Zeiten, da hätte man mit Tüchern über der Nase gegen das Vermummungsverbot verstoßen und Ärger mit der Polizei bekommen. Doch in Corona-Zeiten ist alles anders – und so versammelten sich die Kundgebungsteilnehmer brav hinter Mundschutzmasken mit 1,5 Meter Sicherheitsabstand im rot-weiß eingezäunten Veranstaltungsort. Nur 40 Menschen hatten Platz, die Veranstaltung durfte nur eine Stunde dauern. Das waren die Auflagen der Stadt. Die anderen Demonstranten gruppierten sich um die Absperrung. Die Polizei war auch vor Ort. "Mit einem überschaubaren Kräfte-Einsatz", so Polizeisprecher Norbert Schätzle. Und der reichte, denn alles blieb friedlich. Lediglich ein Teilnehmer, hinter einer Gasmaske versteckt und mit kruden Verschwörungsparolen auf seinem Plakat, wurde von den Veranstaltern aufgefordert, den Platz zu verlassen. Was dieser nach einigen Aufforderungen auch tat.
Zuerst ist da der Kapitalismus und dann kommt Corona. So jedenfalls lassen sich die Begrüßungsworte von Mitveranstalter Matz Müllerschön vom Verein "Üsoligenial" (Überparteiliche Solidarität gegen Sozialabbau) zusammenfassen: "In einer Zeit, in der besonders große Konzerne zehn Millionen Kurzarbeiter angemeldet haben, ist es notwendig, nicht nur in Kontakt zu bleiben, sondern auch auf der Straße Solidarität zu zeigen." Der Seitenhieb auf die Absage der DGB-Veranstaltung war gewollt – und der Applaus kam prompt.
Im Fokus vieler Redner – darunter die Stadträte Hilde Stolz (Bunte Linke) und Bernd Zieger (Die Linke), der ehemalige Haldex-Betriebsrat Martin Hornung, Pfarrerin Sigrid Zweygart-Pérez und Wilfried Kühn vom "Bündnis für gerechten Welthandel" – standen die Existenzängste vieler Arbeitnehmer. Müllerschön forderte für Hartz IV-Empfänger "eine Corona-Zulage von 100 Euro", Zieger verlangte eine "sofortige Anhebung des Kurzarbeitergeldes auf 90 Prozent" und eine "Vermögensabgabe für Reiche". Für Stolz ist die Zeit reif "für ein bedingungsloses Grundeinkommen", Pfarrerin Zweygard-Pérez machte als Vertreterin der internationalen Bewegung "Seebrücke" auf das Schicksal von Flüchtlingen in Lagern aufmerksam.
Der 1. Mai könne nur der Auftakt für größere soziale, demokratische und umweltbedingte Auseinandersetzungen in der kapitalistischen Wirtschafts- und Finanzkrise sein, fasste Müllerschön am Ende zusammen.