Von Eva-Maria Elfner-Häfele
Heiligkreuzsteinach. Der Himmel über Heiligkreuzsteinach war grau und es regnete in Strömen. Da kam das Erzählcafé der Landfrauen gerade recht, denn im Vereinsraum herrschte eine einladende Atmosphäre: Kaffee und Kuchen stand für die Besucher bereit und die Tische waren freundlich eingedeckt. Kein Wunder also, dass sich der Raum bis auf den letzten Platz gefüllt hatte. Doch es gab noch einen Grund für das volle Haus: das angekündigte Thema und die Gäste, die ihre Geschichte erzählen wollten.
Es war die Familie Kiro, die bei den Landfrauen zu Besuch war. Sie wollte erzählen, wie sie aus Syrien geflohen ist, was sie auf ihrer Flucht erlebt hat, und wie es war, in Heiligkreuzsteinach anzukommen. Stefanie Redlow, Erste Vorsitzende der Landfrauen, hatte zur Einstimmung eine Kurzgeschichte vorbereitet: Eine Fluchtgeschichte, die traurig endete, denn die Geflüchteten haben die Fahrt über das Meer nicht überlebt. Und so freuten sich alle, dass die achtköpfige Familie, die heute zu Besuch war, die gefährliche Reise geschafft hatte.
Im Mai 2015 sind die Kiros nach Heiligkreuzsteinach gekommen. Vater Achmed erzählte, wie sie ihre Heimat verlassen mussten, weil der Krieg immer näher kam, und er für sich und seine Familie keine Zukunft mehr sah. Aleppo, die Stadt in der sie lebten, geriet mehr und mehr unter Beschuss, an ein normales Leben war nicht mehr zu denken. "Wir hatten keinen Strom und kein Wasser, Bomben und Raketen hatten unser Haus zerstört, mein Bruder wurde verletzt", ergänzt seine Frau Fathima.
Auch die Töchter erzählten von den Erfahrungen auf der Flucht: "Wir mussten all unsere Sachen ins Wasser werfen, damit das kleine Boot nicht unterging." Vier Tage lang war die Familie mit einem Fischerboot über das Mittelmeer gefahren, stets der Gefahr ausgesetzt, zu kentern. Über Italien sind sie dann nach Deutschland gekommen, und durch einen Zufall schon nach nur sechs Monaten in einer Flüchtlingsunterkunft schließlich in Heiligkreuzsteinach gelandet. "Hatten Sie sich Deutschland als Ziel ausgesucht?", kommen die ersten Fragen aus dem Publikum. "Nein, wir wollten einfach nur weg und in Sicherheit, egal wohin", sagt Omar, der ältere Sohn. "In Deutschland haben wir jetzt ein sicheres Leben. Wir möchten uns bedanken bei allen, die uns geholfen haben."
Nicht nur Landfrauen waren zum Erzählcafé gekommen, sondern auch viele Interessierte aus der Gemeinde und auch einige aus dem Kreis der Unterstützer. Zu denen gehörte auch Bürgermeisterin Sieglinde Pfahl mit ihrem Team im Rathaus. Es fühle sich gut an, in Heiligkreuzsteinach zu leben; so viele Menschen hätten ihnen geholfen, und stünden heute noch mit Rat und Tat zur Seite, freut sich Achmed Kiro.
Waren es anfangs ganz banale Alltagsdinge, die es zu regeln galt und bei denen die Geflüchteten auf Hilfe angewiesen waren, so ist es heute ein freundliches Miteinander. "Die Nachbarn fragen, wie es geht, und ob wir etwas brauchen. Das ist schön", sagt Fathima Kiro. "Was war denn am schwierigsten, als Sie am Anfang hier waren?", kommt die nächste Frage aus dem Publikum. Die Sprache, und auch Arztbesuche seien anfangs schwierig gewesen, und dann: der Führerschein.
Aber auch das haben sie geschafft: Beide Eltern und der Sohn haben einen Führerschein gemacht, das macht sie unabhängig und mobil. Dass alle sechs Kiros beim Erzählcafé ihre Geschichte erzählen können und von den Heiligkreuzsteinachern verstanden werden, ist auch ein Verdienst der Helfer. Ehrenamtlich unterstützen sie die Familie auch beim Deutschlernen. Mit Erfolg: Beide Eltern beginnen bald eine Ausbildung in der Altenpflege.
Und die Kinder? Sie haben allesamt Berufswünsche und Zukunftspläne. Die Schule besuchen sie mit großem Fleiß in Heiligkreuzsteinach, Neckarsteinach oder Heidelberg. Überhaupt sei die Familie ein gutes Beispiel für gelungene Integration, freut sich Sieglinde Pfahl.
Die Bürgermeisterin selbst war eine der ersten Ansprechpartnerinnen, als die Familie in Heiligkreuzsteinach ankam. "Da konnten wir uns nur mit etwas Englisch unterhalten, doch dann war da noch die kleine Boshra, die jüngste Tochter, die heute in die sechste Klasse der Realschule geht, sie hat im ersten Jahr alles gedolmetscht, und so konnten wir vieles regeln", erzählte Pfahl.
Heute sind alle in Vereinen, Schule und bei Dorffesten integriert. Man spüre, dass die Familie bereit sei, etwas zurückzugeben, von der Unterstützung, die sie hier erfahren habe. Esra und Leila, die beiden Teenager, wurden vor Kurzem sogar in den Jugendbeirat der Gemeinde gewählt.
Insgesamt leben in Heiligkreuzsteinach derzeit 46 Geflüchtete. Nicht alle seien so vorbildlich in das Ortsgeschehen eingebunden. Das liege aber wohl auch daran, dass sie erst viel später nach ihrer Ankunft in Deutschland in die Steinachtalgemeinde gekommen seien. Da haben die Menschen teilweise schon woanders Wurzeln geschlagen, vermuten einige Zuhörer.
Und die Unterstützer? "Wir sind nicht speziell organisiert, jeder hilft, wo er kann, und hat so seine Familien", erzählt Manuela Palmer. Unkompliziert eben. Heiner und Helga Simon beispielsweise helfen den Kiros nach wie vor noch beim Deutschlernen. Und: "Heiner ist mein Ersatz-Papa geworden", lächelt Fathima charmant.