Container gegen Corona

Bammentaler Ärztin organisierte Container als Extra-Behandlungsraum

Am Mittwoch hätte der neuen Raum erstmals eingesetzt werden sollen. Nun aber ist Liane Wirth selbst in Quarantäne.

01.04.2020 UPDATE: 02.04.2020 06:00 Uhr 1 Minute, 53 Sekunden
Am Dienstagmorgen kam der Container zur Behandlung von Corona-Fällen in der Bammentaler Hauptstraße an – vorerst bleibt er leer. Foto: privat

Von Benjamin Miltner

Bammental. "Dynamische Lage" – dieses Stichwort fällt immer wieder, wenn von der Coronakrise die Rede ist. Dynamisch, weil beinahe täglich, manchmal stündlich, Veränderungen eintreten, die alle Pläne über den Haufen werfen. Ein Musterbeispiel liefert der Fall von Dr. Liane Wirth aus Bammental. Die Fachärztin für Innere Medizin hat extra für Corona-Patienten einen Container angemietet. Dieser ist am Dienstag auf dem Parkplatz ihrer Praxis in der Hauptstraße angeliefert worden und hätte am gestrigen Mittwoch erstmals eingesetzt werden sollen. Hätte, weil am Dienstagabend das Corona-Testergebnis einer Praxis-Mitarbeiterin positiv ausfiel – und damit das komplette Team erst einmal bis 9. April unter Quarantäne steht.

Hausärztin Dr. Liane Wirth. Foto: privat

Wirth beschäftigt sich schon seit Mitte Februar intensiv mit der Corona-Pandemie. Frühzeitig hat sie Praxisregeln geändert, Routinetermine verschoben, Termine auf Bestellung ausgemacht, Wartezeiten minimiert, ja sogar Zeitschriften und Magazine aus der "Kurzwartezone" verbannt. "Seit vier Wochen kommt keiner mehr mit Schnupfnase in die Praxis", betont Wirth. Anfangs wurde sie für ihre Maßnahmen belächelt – diese Zeiten sind längst vorbei.

Hintergrund

"Testverfahren können wir nicht mehr trauen"

Transparenz und Aufklärung – diese beiden Dinge sind für Dr. Liane Wirth in der Coronakrise unabdingbar. Auf ihrer Internetseite informiert

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"Testverfahren können wir nicht mehr trauen"

Transparenz und Aufklärung – diese beiden Dinge sind für Dr. Liane Wirth in der Coronakrise unabdingbar. Auf ihrer Internetseite informiert die Bammentaler Ärztin aktuell zu der Pandemie, teilt Wissen, Erfahrungen, eigene Fallzahlen und das Ergebnis ihres eigenen Testes – und am Mittwoch den Covid-19-Fall einer ihrer Mitarbeiterinnen. Nach einem Patienten ist dies nun der zweite in ihrer Praxis – und für Wirth endgültig Anlass zu sagen: "Dem Test können wir definitiv nicht mehr vertrauen."

Bei dem Test wird üblicherweise ein Abstrich aus dem Rachen oder der Nase entnommen. So auch beim Lebensgefährten der Mitarbeiterin. Dieser hatte vor einer Woche Hals- und Gliederschmerzen. "Bei der Untersuchung habe ich eindeutige Symptome einer Corona-Erkrankung festgestellt", erklärt Wirth. Die Mitarbeiterin wurde auch getestet und in Quarantäne gesteckt. Am Dienstag gab es die Ergebnisse: Der Mann mit Symptomen – negativ, die Frau ohne – positiv.

Wie kann das sein? Ein Fehler beim Testen wäre eine mögliche Erklärung, aber Wirth hat viel Routine mit dem Verfahren. Die andere: Das Virus wandert im Verlauf der Erkrankung Richtung Lunge, der Patient ist beim Nase-/Rachenabstrich negativ – kann aber weiter ansteckend sein. Andersrum ist ein Corona-Infizierter bereits zwei bis drei Tage ansteckungsfähig, ehe die ersten Symptome auftreten, so Wirth. Kurzum: Der Zeitraum für eine sichere Diagnose ist kurz – der Ansteckungszeitraum viel länger.

Auch wenn nur zwei der von ihr ausgeführten Tests positiv ausfielen, ist Wirth sicher: "Ich habe schon sechs Familien mit Corona betreut." Bei den Patienten trafen typische Symptome auf: trockene Schleimhäute und Husten, Hals- und Gliederschmerzen, fehlender Geschmacks- und Geruchssinn. Die Ärztin geht davon aus, dass aktuelle Fallzahlen eher verfünffacht werden müssen. Eine gute Nachricht, denn somit wären auch mehr Deutsche bereits immun. Bald gibt es zuverlässige Antikörpertests. Wirth kündigt an, alle ihre negativ getesteten Patienten testen zu wollen. Dann weiß sie, ob ihre These stimmt. (bmi) 

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Die Bammentaler Ärztin will weiter für alle ihre Patienten da sein – unabhängig von einer Corona-Infizierung. Das System der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), zentrale Praxen nur für Corona-Patienten einzurichten, missfällt ihr. Jeden Tag acht Stunden immer mit hochinfektiösen Patienten in Kontakt zu sein: Dieses Risiko ist ihr zu hoch. "Ich habe drei Kinder, zahle Kredite für Haus und Praxis ab – welche Absicherung habe ich im Todesfall?", fragt sie und kennt keine Antwort. Patienten in andere Hände zu geben, befürworte sie nur im Notfall. "Welche Vorerkrankungen hat ein Patient, welche Kontakte, wann welche Symptome – diese Übersicht hat nur der Hausarzt", betont Wirth.

Für Corona-Verdachtsfälle hat sie extra eine Autosprechstunde eingeführt. Im Schutzanzug untersucht sie die Patienten und nimmt Abstriche. 63 Tests hat sie eingereicht, zwei hatten ein positives Ergebnis – die 42-Jährige geht aber von deutlich mehr Fällen aus. Und sie will Corona-Patienten weiter behandeln, die nicht akut ins Krankenhaus müssen, aber andere Beschwerden haben; etwa Bauchschmerzen, Nierenprobleme, Herz-Kreislauf-Störungen. "Alles fokussiert sich auf Corona – aber die anderen Krankheiten gibt es ja auch noch", betont Wirth. Man sterbe nicht nur an, sondern auch mit Corona.

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Was also tun? Wirth hatte eine pfiffige Idee: Einen ambulanten Behandlungsraum auslagern, um Corona-Verdachtsfälle räumlich strikt von "normalen" Patienten ohne Erkrankung zu trennen. Sie durchforstete das Internet, wurde fündig, mietete einen Erste-Hilfe-Container für ihre Praxis. Mit Hilfe von Bürgermeister Holger Karl wurden alle Formalitäten mit dem Gesundheitsamt erledigt und am Dienstag war es so weit: Der Container wurde geliefert, Untersuchungsgeräte angeschlossen. Alles war bereit – bis mit dem positivem Test der Mitarbeiterin die Hiobsbotschaft eintraf.

Nun bleibt die Praxis wohl bis zum 13. April geschlossen. Wirths Patienten übernehmen drei Wiesenbacher Ärztinnen. Dort ist ein ambulanter Corona-Behandlungsraum im Bürgerhaus im Gespräch. Und der Container in Bammental? "Der steht grundsätzlich allen Ärzten offen", betont Rathauschef Karl. Ein anderer Arzt hat sich aber noch nicht gemeldet, und so bleibt der Container ungenutzt. Vorerst – denn die Coronakrise ist dynamisch.

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