Bammental. (cm) Hatten Besucher noch freien Zugang ins Anna-Scherer-Haus, obwohl dort erneut das Coronavirus grassiert? Und saßen Bewohner noch ohne Schutzmaßnahmen zusammen, nachdem bereits erste Verdachtsfälle bekannt geworden waren? Diese Vorwürfe erheben Angehörige eines Bewohners und informierten das zuständige Gesundheitsamt des Rhein-Neckar-Kreises.
Bekanntlich wurde für das Haus 1 des Anna-Scherer-Hauses Ende Dezember nach einem Corona-Ausbruch von der Behörde ein Besuchsverbot verhängt. Bereits im Oktober war Haus 2 der Einrichtung betroffen. Nun sind 31 von 40 Bewohnern angesteckt worden, am Dienstag befanden sich noch 20 Bewohner in Quarantäne. Zudem wurden mehrere Mitarbeiter positiv getestet.
Martina Gärtner-Krczal, deren 88-jährige Mutter sich im Anna-Scherer-Haus mit Corona infiziert hat, berichtete nun gegenüber der RNZ, dass bereits am 19. Dezember Verdachtsfälle bekannt geworden seien. Dennoch hätten Bewohner "ohne Einhaltung jeglicher Abstandsregeln und weiterer Hygieneregelungen" bis einschließlich 23. Dezember zusammengesessen. An Heiligabend sei sie über mehrere positive Testergebnisse bei Bewohnern informiert worden. Und dennoch habe am zweiten Weihnachtsfeiertag, 26. Dezember, immer noch freier Zugang zum Haus für jedermann geherrscht und es sei auch nicht darauf hingewiesen worden, dass sich im Haus infizierte Personen befanden. Diese Vorgehensweise sei grob fahrlässig, schließlich gehe es um Menschenleben.
Doch stimmt das? Die RNZ fragte bei Jörn Fuchs nach. Der Geschäftsführer des Heimbetreibers "Paritätische Sozialdienste" betont grundsätzlich, dass die stationäre Pflegeeinrichtung in Haus 1 aus dem ersten und zweiten Obergeschoss des Gebäudes Reilsheimer Mühlweg 2 besteht. "Nicht dazu gehören Wohnungen in diesem Gebäude daneben und darüber sowie die Flächen im Erdgeschoss", so Fuchs. "Deshalb kann der freie Zugang zum Gebäude auch nicht beschränkt werden." Darüber hinaus seien in Ausnahmefällen wie zum Beispiel der Sterbebegleitung auch Besuche zugelassen worden. "Im Übrigen lässt es sich bei insgesamt fünf Zugängen zu den Stationen nicht vermeiden, dass sich trotz eines generellen durch Landesverordnung angeordneten Besuchs- und Betretungsverbots und entsprechender Ausschilderung Personen unbefugt Zugang zu unseren Geschäftsräumen verschaffen", so der Geschäftsführer. "Hierfür tragen dann jedoch die rechtswidrig handelnden Personen die Verantwortung."
Fuchs bestätigt, dass auch noch am 23. Dezember Bewohner des ersten Obergeschosses zusammensaßen. Dies habe mehrere Gründe: "Wir können Bewohner ohne Genehmigung eines Gerichts oder Anordnung des Gesundheitsamtes nicht anweisen, sich im Zimmer aufzuhalten", erklärt der Geschäftsführer. Eine derartige Anordnung sei erst am 24. Dezember vom Gesundheitsamt getroffen worden. Es gebe außerdem viele Bewohner, die nicht oder nicht vollständig verstehen würden, dass sie sich freiwillig in ihr Zimmer zurückziehen sollen. "Da macht es – auch unter personaltechnischen Gesichtspunkten – mehr Sinn, diese unter Aufsicht und unter Einhaltung des Regelabstands gemeinsam essen zu lassen, solange die rechtlichen Rahmenbedingungen für weitergehende Maßnahmen nicht bestehen", so Fuchs.
Das Gesundheitsamt indes ist nach der Information durch die Angehörigen aktiv geworden, wie Sprecherin Susanne Uhrig berichtet. Den Hinweisen sei vor Ort "nachgegangen" worden. "Zum Zeitpunkt der Kontrolle konnten keine Verstöße gegen Quarantäne-Auflagen oder sonstige Verordnungen festgestellt werden", so Uhrig. Am Dienstag wurden die Bewohner erneut getestet. Je nach Ergebnis könnte das Besuchsverbot wieder aufgehoben werden.
Update: Dienstag, 12. Januar 2021, 19.45 Uhr
Keine Bundeswehr für Anna-Scherer-Hause
Das Seniorenheim kann seine Probleme alleine stemmen.
Bammental. (cm) Es sieht nun doch nicht so aus, dass das Anna-Scherer-Haus wegen des erneuten Corona-Ausbruchs für den Betrieb auf die Unterstützung von Hilfsorganisationen oder gar der Bundeswehr angewiesen ist. "Wir schaffen es in Bammental jetzt wohl aus eigener Kraft", teilte Jörn Fuchs, Geschäftsführer des Heimbetreibers "Paritätische Sozialdienste", am Mittwoch mit. Es hätten sich nach dem Beitrag in der RNZ viele Bammentaler gemeldet, die helfen wollten. "Für diese Hilfsbereitschaft möchten wir ausdrücklich danken", so Fuchs. Anders sieht es im Mathilde-Vogt-Haus in Heidelberg aus. Hier sollen externe Helfer unter anderem auch von der Bundeswehr akquiriert werden. Im Anna-Scherer-Haus sei die Lage im Helferbereich weniger dramatisch, so Fuchs. Aktuell gelten 31 von 40 Bewohnern in Haus 1 der Einrichtung als infiziert.
Update: Mittwoch, 30. Dezember 2020, 19.55 Uhr
Bammentaler Pflegeheim ruft Bundeswehr nach Corona-Ausbruch
Von Christoph Moll
Bammental. Es schien so, als hätte das Anna-Scherer-Haus das Schlimmste überstanden. Doch zwei Monate nach dem großen Corona-Ausbruch grassiert das Virus wieder in dem Pflegeheim: Dieses Mal ist aber nicht Haus 2 der Einrichtung betroffen, sondern das bisher verschont gebliebene Haus 1. Am Montagmittag teilte das Gesundheitsamt mit, dass 19 von 42 Bewohnern infiziert sind. Am Nachmittag lagen die Fallzahlen schon höher: Der Heimbetreiber "Paritätische Sozialdienste" bestätigte, dass 31 Bewohner positiv getestet wurden und neun negativ. Zwei weitere sind verstorben – einer mit positivem Test. Zudem sind zehn Mitarbeiter infiziert, wobei hier noch weitere Testergebnisse ausstehen.
Schon länger weisen Schilder am Anna-Scherer-Haus auf strenge Besuchsregeln hin. Foto: AlexBereits vor Weihnachten war bekannt geworden, dass sich vier Mitarbeiter angesteckt hatten. Außerdem schlug ein Schnelltest bei einer Bewohnerin an. Elf Bewohner hatten Corona-typische Symptome. Das Gesundheitsamt des Rhein-Neckar-Kreises entschied, dass noch vor Weihnachten bei allen Bewohnern PCR-Tests durchgeführt werden.
Die Behörde hat nun für Haus 1 ein Besuchsverbot und einen Aufnahmestopp verhängt, wie deren Sprecherin Silke Hartmann bestätigte. Diese Maßnahmen sind bereits von Haus 2 der Einrichtung bekannt. Hier waren Mitte Oktober die ersten Corona-Fälle aufgetreten. Insgesamt wurden 36 der ursprünglich 48 Bewohner infiziert. Auch über zehn Mitarbeiter waren betroffen. Seinerzeit war es gelungen, ein Übergreifen auf Haus 1 zu verhindern. Nun hat es das Virus doch dort hineingeschafft.
"Es ist für uns mittlerweile unerklärlich, wir sind ratlos", sagt Jörn Fuchs, Geschäftsführer der "Paritätischen Sozialdienste". "Wir arbeiten seit vier Wochen mit FFP2-Masken und trotzdem kam es zu den Infektionen." Welchen Weg das Virus genommen hat, sei nicht nachzuvollziehen. Sicher gebe es Mitarbeiter, die nicht immer konsequent die Maske so tragen wie vorgeschrieben. "Es sind aber auch sehr gewissenhafte und vorbildliche Mitarbeiter betroffen", so Fuchs. "Deshalb haben wir Zweifel, ob die Masken funktionieren."
Die "Paritätischen Sozialdienste" haben 30.000 Masken für ihre drei Heime – neben dem Anna-Scherer-Haus sind das das Mathilde-Vogt-Haus und die Stadtresidenz in Heidelberg – über "reguläre Händler" bezogen. "Man wird unsicher", gibt der Geschäftsführer zu. "Auch bei Schutzkitteln stellen wir fest, dass die Qualität immer schlechter wird." Und Handschuhe würden sich teilweise schon beim Anziehen "auflösen".
Im Anna-Scherer-Haus werden nun zwei Mal pro Woche bei allen Bewohnern und Mitarbeitern Schnelltests durchgeführt. Diese schlugen auch in Haus 1 an. "Es gab aber auch Bewohner, die beim Schnelltest negativ und beim PCR-Test positiv gewesen sind", so Fuchs. Für die Bewohner gilt nun Quarantäne – sie müssen also in ihren Zimmern bleiben.
Und dies habe Auswirkungen: "Manche essen und trinken nun nichts mehr", so Fuchs. Die infizierten Bewohner hätten leichte bis mittlere Symptome, manche aber auch gar keine. Ende dieser Woche soll es Abschlusstests geben, nach denen die Quarantäne eventuell wieder aufgehoben werden könne.
Die Mitarbeiter hätten keine oder nur leichte Symptome. "Wir kommen aber an unsere Grenzen", sagt Fuchs. "Das Personal ist am Anschlag." Dazu trage auch bei, dass nur negativ getestete Mitarbeiter arbeiten dürfen. Noch könne man die Situation mit eigenem Personal stemmen – nicht aber, wenn noch mehr Kollegen positiv "weggetestet werden", wie Fuchs es nennt. Deshalb bitte man beim Gesundheitsamt öfter darum, dass die Quarantäne verkürzt wird. Viele Mitarbeiter seien auch verunsichert, da die Schutzmaßnahmen offenbar nicht die gewünschte Wirkung zeigen: "Manchen sieht man die Angst an", sagt Fuchs. Einige wollen sich nun impfen lassen. Die Bereitschaft hierzu frage man auch für die Bewohner ab, was aber derzeit wegen der Feiertage schwierig sei.
Fuchs hat auch bei Hilfsorganisationen und bei der Bundeswehr angefragt. "Wir könnten Unterstützung zum Beispiel bei einfachen Hilfstätigkeiten wie der Essensausgabe gebrauchen", sagt er. "Und wir brauchen Köpfe, die sich mit den Bewohnern beschäftigen."
Jeder einzelne Todesfall sei schlimm, aber im Anna-Scherer-Haus seien in diesem Jahr nicht mehr Menschen verstorben als in den Vorjahren, so Fuchs. 2020 seien es bisher 34 Verstorbene, im Vergleichszeitraum der Vorjahre waren es 26 (2016), 48 (2017), 35 (2018) und 31 (2019).