Von Benjamin Miltner
Bammental. Morgens, halb acht, in Bammental: Zeit für die Rhein-Neckar-Zeitung! Der erste Gang des Tages führt Ralph-Peter Fischer an den Briefkasten – täglich, bis auf Sonntag, aber an Samstagen mit einem besonderen Gefühlsmix, einer Mischung aus Vorfreude und Spannung, Aufregung und Neugierde. Steht er drin, der Leserbrief, den Fischer wenige Tage zuvor an die Redaktion übermittelt hat? Ein Blick auf die Forum-Seite gibt die Antwort – und die fällt meist positiv aus.
Denn Ralph-Peter Fischer gehört zu den fleißigsten Verfassern unter den RNZ-Lesern. 350 Leserbriefe des 76-jährigen "Unruheständlers" haben es in seine Lieblingszeitung geschafft. Dabei ist das Erstlingswerk erst aus dem Jahr 2009. So richtig losgelegt hat Fischer dann 2013. Vor allem die Vielfalt seiner Themen überrascht: Mal geht es um Regionales wie etwa Hinterlassenschaften Bammentaler Gänse oder Beobachtungen in seiner einstigen beruflichen "Heimatstadt" Heidelberg. Auch Politisches wie die Diskussion um Rassismus rund um den Todesfall George Floyd oder um Abgeordnete, die den Martinstag umbenennen wollen, treiben den Bammentaler um. Ebenso wie Gesellschaftliches: allzu besorgte "Helikoptereltern" oder Drängler im Straßenverkehr. "Ich bin an so ziemlich allem interessiert", fasst Fischer zusammen.
Ganz besonders liegt ihm aber der Sport am Herzen. Genauer gesagt: der Fußball und die TSG Hoffenheim. Da wundert auch sein früher Berufswunsch kaum: Fischer wollte Sportjournalist werden. So war der junge Ralph-Peter dann auch auf dem besten Wege, seinen Traum zu verwirklichen. Als 16-Jähriger verdiente er sich erste Meriten in der RNZ-Sportredaktion. Seine Augen leuchten noch heute, wenn er von einem Boxkampf in Ketsch erzählt, über den er damals berichtete. Wie er schweißgebadet und voller Adrenalin nachts um 2 Uhr nach Hause zurückradelte. "Am nächsten Tag war Schule – da war mein Vater nicht so begeistert", schmunzelt er.
Die schlechten Noten – Fischer bezeichnet sich selbst als "stinkfauler Schüler" – waren der Hauptgrund, dass die Journalisten-Karriere nach einem halben Jahr abrupt endete. Aber auch das Interview mit einem Skitrainer, der den jugendlichen Fragesteller nicht ernst nahm. "Für den war es eine Majestätsbeleidigung, dass da so ein junger Knirps ankam", schildert Fischer. "Es gibt Dinge im Leben, da muss der Zeitpunkt passen. Der Journalismus kam für mich zu früh."
Früh, aber genau zum richtigen Zeitpunkt trat die RNZ ins Leben von Ralph-Peter Fischer. "Ich habe mit ,Petzi, Pelle und Pingo’ lesen gelernt", erzählt der 76-Jährige und lacht. Natürlich hat er auch dem tierischen RNZ-Trio aus Bär, Pelikan und Pinguin einen Leserbrief gewidmet.
Schon in ganz jungen Jahren schnupperte Fischer dann Redaktionsluft. Sein Vater Dr. Wilhelm Fischer war knapp 30 Jahre lang RNZ-Mitarbeiter. Er schrieb Filmkritiken für das Feuilleton, führte Interviews mit Stars wie Romy Schneider, Mario Adorf, Federico Fellini und Pierre Brice und schickte seinen Sohn als Boten. "Ich durfte immer die Manuskripte für die ,Filme der Woche’ zur RNZ bringen – damals noch in der Hauptstraße", erinnert sich Fischer junior. Zweimal die Woche flitzte er als junger Knabe über den Hof, durch die Maschinenhalle und den "Mordslärm", vorbei an den Maschinensetzern, in die Redaktion.
Die kindlichen Postdienste hinterließen bleibenden Eindruck. Nach der Episode als Jung-Journalist und dem Schulabgang nach der Obersekunda durchlief Fischer eine Lehre als Offset-Drucker. Danach verschlug es ihn zum Springer-Verlag nach Neuenheim, wo er eine Volontariatsstelle annahm. Hier blieb er. Als Buchhersteller, später in leitender Position, verbrachte er dort sein gesamtes Arbeitsleben. "Ich hab die Manuskripte der Autoren zu Büchern gemacht", sagt Fischer. Er ist noch heute stolz und froh über die vielen besonderen Menschen, Geschichten und Bücher, die ihm dort begegneten.
"Ich lebte von und für Bücher", sagt er. Heute druckt der Mann, der eine tiefe Freundschaft zum Heidelberg-Krimiautor Wolfgang Burger pflegt, seine eigenen Werke: Bereits elf Bände hat Fischer mit seinen Leserbriefen an die RNZ unter dem Titel "Gedanken hinterm Berg" gefüllt und an seine größten "Fans" verteilt. Auch den nicht gedruckten Leserbriefen ist ein Werk gewidmet: "Die Verschmähten". Jeder nicht-veröffentlichte Leserbrief schmerze, gibt er zu. Schließlich seien das oft die besten Texte, so Fischer. Noch heute schwärmt er vom RNZ-Forum 2016, als im Heidelberger Stadttheater der Vortrag nie gedruckter Zuschriften über 300 Zuhörer in Begeisterungsstürme versetzte.
Etwa die Hälfte von Fischers insgesamt rund 700 Leserbriefen wurden nach eigenen Angaben gedruckt. "Angesichts von 300 Einsendungen pro Woche von Lesern an die RNZ will ich mich über diese Quote nicht beklagen", grinst er schelmisch. Was treibt ihn an? Der sportliche Ehrgeiz, "ob meine Leserbriefe ,Gnade’ vor den kritischen Augen der Redaktion finden". Ebenso das Gefühl, mit den Leserbriefen als "kleiner Bruder des Journalismus" ein wenig den unerfüllten Traum des Sportjournalisten zu kompensieren. Das Training der "grauen Zellen", das Entdecken neuer Hintergründe und Fakten bei der Recherche sowie die Wahrnehmung der freien Meinungsäußerung "als eines der wertvollsten Güter unserer Gesellschaft".
Eines ist Fischer wichtig: Er möchte nicht als Besserwisser gelten. "In meinen Leserbriefen versuche ich immer eine Botschaft zu vermitteln, was ich denke, fühle und wofür ich stehe", erklärt er. Er tue dies aber nie mit dem erhobenen Zeigefinger, dagegen fast immer mit einem Augenzwinkern und einer Prise Humor.
Und wie kommt er so auf seine Themen? Mal juckt es ihm schon beim Lesen am Frühstückstisch in den Fingern und es wird direkt losgetippt. Mal lässt er seinen Gedanken erst einmal sacken. Mal lauert er teils gar über Monate und Jahre, bis ein Thema in einem Artikel thematisiert wird und er darauf mit einem fixen Satz oder Gedanken Bezug nehmen kann. Aber ohne dass seine Frau Traudel Korrektur gelesen hat, geht kein Leserbrief an die Redaktion.
"Es kann sein, dass ich morgen aufhöre", platzt es aus Fischer heraus. Und er fügt noch hinzu: "Aber das ist doch eher unwahrscheinlich." Denn seine eigentliche Zielmarke von 250 Leserbriefen hat er längst übertroffen. Zu gerne schreibt er, zu groß ist die Vorfreude an Samstagen. Morgens, halb acht, in Bammental: Zeit für die RNZ – mit ein paar klugen, pointierten Gedanken von Ralph-Peter Fischer.
24 Stunden RNZ: Ein Tag vom Redaktionsbeginn bis zur Ausgabe im Briefkasten
Kamera, Redaktion und Produktion: Reinhard Lask