Gedenkfeier in Mosbach

Für die Opfer - gegen das Vergessen

Gedenkfeier zur Reichspogromnacht auf dem Synagogenplatz erinnerte an fünf ermordete Bewohner der Johannes-Diakonie

12.11.2017 UPDATE: 13.11.2017 06:00 Uhr 1 Minute, 59 Sekunden

Die Opfer des unmenschlichen Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten standen im Mittelpunkt der Gedenkfeier zur Reichspogromnacht auf dem Mosbacher Synagogenplatz. Foto: Pia Geimer

Von Pia Geimer

Mosbach. Im Mittelpunkt der diesjährigen Gedenkfeier anlässlich der schändlichen Pogromnacht am 9. November 1938 standen die fünf jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner der Johannes-Diakonie, die im September 1940 zusammen mit weiteren 213 Bewohnern Opfer des unmenschlichen Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten wurden.

Am Freitagabend fand unter Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Synagogenplatz eine Feierstunde statt, die in diesem Jahr die Mosbacher Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen ausgerichtet hatte. Als Mitwirkende stellten Pfarrer Richard Lallathin, Ursula Ziegler, Ludwig Krämer und Martin Reiland abwechselnd die Lebensgeschichten der fünf ermordeten jüdischen Mitbürger vor, soweit man diese noch hatte rekonstruieren können. Die musikalische Gestaltung lag bei Peter Bechtold und seinen Musikern vom Singkreis der Johannes-Diakonie, Johann Scheffel und Roman Eustachi, die die Feier mit einem anrührenden "Kyrie, erbarm dich, Herr" eröffneten.

Eines der gewichtigsten Worte des Alten Testaments sei das hebräische Wort "zakar" - "erinnert euch, gedenkt!" -, erklärte Richard Lallathin in seiner Ansprache. Dieses Gedenken zum Beispiel an den Auszug aus der Knechtschaft in Ägypten, spielte im jüdischen Leben immer eine wichtige Rolle und gab Hoffnung an den schwärzesten Tiefpunkten in der Geschichte dieses Volkes, zu der auch die Verfolgung durch das Terrorregime der Nationalsozialisten gehörte.

In der Pogromnacht vor 79 Jahren brannte auch die Mosbacher Synagoge, das jüdische Leben in Mosbach endete am 22. Oktober 1940 mit der Deportation der letzten jüdischen Mitbürger ins Internierungslager Gurs in Südfrankreich.

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Zu diesem Zeitpunkt waren die fünf jüdischen Bewohner der Johannes-Diakonie bereits ermordet worden. Am 13. September 1940 starben Leopold Federgrün (*1903), Zacharias Muthert (*1894) und Theodor Baruch (*1910), am 17. September Regine Salat (*1903) und Gertrud Falkenstein (*1896) in einem zur Gaskammer umgebauten Schuppen in der Nähe von Schloss Grafeneck. Nur von Zacharias Muthert konnten noch Originalfotos gefunden werden, von den anderen Bewohnern jeweils Dokumente, Briefe oder Bilder von Stolpersteinen, die während der Rezitation ihrer Biografien an die Hauswand projiziert wurden.

Geradezu prophetisch klarsichtig hatte der junge Leopold Federgrün schon 1924 die antisemitischen und kriegstreiberischen Tendenzen erkannt, die er in Heidelberg auf den Straßen beobachten konnte. Von Gertrud Falkenstein ist vor allem ein bewegender Brief ihrer Schwester Fridl erhalten geblieben, in dem diese sich verzweifelt bei den ehemaligen Hauseltern nach dem Verbleib ihrer Schwester erkundigte, nachdem diese mit offiziell unbekanntem Ziel abtransportiert worden war. Die Namen der ermordeten Bewohner sind inzwischen auch auf der am Synagogenplatz aufgestellten Stele eingraviert worden, an der Bürgermeister Michael Keilbach einen Kranz niederlegte. Die Gedenkstunde ging mit einem Gebet und dem aaronitischen Segen aus der jüdischen Liturgie zu Ende.

Anschließend fand im Rathaussaal ein Vortrag des Journalisten und Buchautors Jim Tobias statt, der seinen Film "Die vergessenen Kinder von Strüth" vorstellte und sich mit dem Schicksal versprengter Kriegswaisen befasste. Zwischen 1945 und 1948 war auch auf dem Schwarzacher Hof ein ähnliches Waisenhaus eingerichtet, in dem solche meist körperlich und seelisch schwer traumatisierten Kinder aufgepäppelt und auf ein Leben nach Krieg und Verfolgung vorbereitet werden sollten. Für viele von ihnen wurde der Schwarzacher Hof zum Sprungbrett in die Welt, sie fanden ein neues Zuhause in Kanada, Australien, den USA oder nach der Gründung des Staates Israel auch in Palästina. Erst 1948 konnte das Kinderzentrum geschlossen werden, und der Schwarzacher Hof wurde wieder zur Einrichtung für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen.

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