Die Corona-Situation geht an vielen Menschen nicht spurlos vorüber. Symbolbild: dpa
Von Anton Ottmann
Wiesloch/Rhein-Neckar. Seit über einem Jahr hält die Corona-Pandemie die Welt in Atem. Einschränkungen bestimmen den Alltag der Menschen – Deutschland befindet sich mitten im zweiten Lockdown. Um das Virus wirksam bekämpfen zu können, müssen die einschränkenden Maßnahmen von der Bevölkerung akzeptiert und mitgetragen werden. Darin sind sich die Experten einig.
Dr. Olivier Elmer arbeitet im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden in Wiesloch. Foto: PZN Archiv/SRIn diesem Zusammenhang muss man aber auch wissen, welche Ängste die Menschen umtreiben und welche Auswirkungen sie auf die psychische Verfassung haben. Die RNZ hat zu diesem Aspekt mit dem Psychotherapeuten Dr. Olivier Elmer vom Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (PZN) in Wiesloch gesprochen. Elmer ist auch Sprecher des "Bündnisses gegen Depression Rhein-Neckar-Süd".
"Das ungewisse Ende der Krise macht die Menschen hilflos und unsicher", meint Elmer. Dazu komme bei vielen die anhaltende Sorge um die berufliche Zukunft, wie im Friseurhandwerk und in der Hotel- und Gastronomiebranche, wo es um die nackte Existenz geht. Völlig offen ist auch, wie viele Menschen durch die wirtschaftlichen Folgen und Insolvenzen ihren Arbeitsplatz verlieren werden. "Bestehen diese Probleme über längere Zeit, können sich durchaus Angstzustände und Depressionen entwickeln, wobei vor allem Menschen gefährdet sind, bei denen bereits eine psychische Erkrankung in ihrer Lebensgeschichte bekannt ist", sagt der Psychotherapeut. Besonders belastet seien Covid-Erkrankte selbst und deren Angehörige sowie das Personal auf Intensivstationen. Einen Menschen an Covid-19 sterben zu sehen, sei ein traumatisches Erlebnis.
Nach einer Untersuchung der Universität Leipzig hat die Corona-Pandemie "bei vielen Menschen zur Beeinträchtigung des subjektiven Wohlbefindens geführt." Elmer weist aber darauf hin, dass Ältere überraschend gut mit der Corona-Krise fertig werden. Eine wichtige Rolle spiele hierbei die Lebenserfahrung einer Generation, die in der Kriegs- und Nachkriegszeit manch existenzielle Krise gemeistert habe. "Voraussetzung für eine weitgehende Zufriedenheit ist aber, dass persönliche Kontakte weiterhin erhalten bleiben, wenn auch in verringerter oder veränderter Form", betont Elmer. Deshalb hätten auch, nach einer Studie der FH Münster, die Besuchsverbote in Pflegeheimen für die Betroffenen sehr negative Folgen.
In einer DAK-Umfrage, die Elmer heran zieht, wird bestätigt, dass die Corona-Maßnahmen vor allem psychische Belastungen für Kinder und Jugendliche nach sich ziehen: "Die Schließung der Betreuungs- und Bildungseinrichtungen und der damit einhergehende Verlust der gewohnten Tagesstruktur, Kontaktabbrüche und dem eigenständigen Lernen zu Hause, stellen erhebliche Herausforderungen für betroffene Kinder und deren Familien dar", heißt es darin. Elmer ergänzt, dass jedes dritte Kind bei dieser Umfrage über psychosomatische Beschwerden geklagt habe. Er weist auch darauf hin, dass Menschen mit bestehenden psychischen Erkrankungen ganz besonders unter den Kontaktbeschränkungen und fehlenden Hilfsangeboten leiden.
So hätten Depressive zwar keine größere Angst, sich mit dem Coronavirus anzustecken, als die Allgemeinbevölkerung, die Einschränkungen würden von ihnen aber als viel belastender empfunden. Vor allem die fehlende Tagesstruktur und die geringer gewordenen Möglichkeiten, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten, verstärkten das Gefühl des Alleinseins und der Traurigkeit.
Eine Depression könne einen Menschen sehr verändern, er werde antriebslos und leide an Schuldgefühlen, innerer Leere und Hoffnungslosigkeit. "Angehörige müssen hier sehr viel Geduld aufbringen, aber auch die eigenen Grenzen akzeptieren", rät der Experte. Gute Ratschläge wie "reiß dich mal zusammen" würden dem Erkrankten nicht helfen. Man müsse ihn vielmehr unterstützen, selbst aktiv zu werden, und ihn vor allem motivieren, dass er einen Facharzt oder Psychotherapeuten aufsucht. Suizid-Gedanken sollten immer ernst genommen werden, sagt Elmer. "Ein Alarmzeichen ist, wenn sich eine Person immer mehr zurückziehe, Kontakte abbreche oder gar beginnt, lieb gewonnene Dinge zu verschenken."
Und obwohl allgemein bekannt sei, dass auf Dauer nur Impfungen aus der Misere führen, gebe es in allen Altersstufen und selbst beim Pflegepersonal große Bedenken dagegen. Elmer weist darauf hin, dass der häufigste Grund für eine ablehnende Haltung ein Informationsdefizit in Bezug auf Wirksamkeit oder mögliche langfristige Nebenwirkungen sei. Auch zeigten sich viele Menschen verunsichert darüber, dass die Entwicklung der Impfstoffe so rasch verlaufen sei, und vermuteten mögliche Sicherheitsrisiken. "Hier ist es für Behörden wichtig, transparent und nachvollziehbar zu argumentieren", betont Elmer. Skepsis sei etwas Normales. Doch riskant für eine Gesellschaft sei es, wenn sich eine generelle Impfgegnerschaft mit Verschwörungstheorien mische.
"Corona und die Folgen werden uns noch lange beschäftigen", weiß der Psychotherapeut. "Wer sich durch die Pandemie seelisch belastet fühlt, sollte zunächst Verständnis für sich selbst aufbringen", so Elmer, denn unnötige Selbstkritik raube Energie. Auch sei es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, was man schon bewältigt habe. "Was wir in dieser Krise lernen, kann uns auch bei künftigen Herausforderungen helfen."
Info: Hilfe in Krisensituationen und bei Suizid-Gedanken gibt es hier.