Von Vanessa Dietz und Manuel Reinhardt
"Ich hab’ die letzten Wochen viel gezeichnet und geübt, auch auf mir selbst." In der Corona-Krise waren auch Tattoo-Studios seit dem Lockdown bis zu Beginn dieser Woche geschlossen. So wie das PikAss in Ketsch. Eine der Tätowiererinnen, die dort arbeitet, ist die 23-jährige Maria aus Ludwigshafen. Und die hat der Wiedereröffnung entgegengefiebert - nicht im Wortsinn natürlich. Denn der Beruf ist für die junge Künstlerin ein Traumjob.
Back to the Roots in der Corona-Krise quasi: "Ich hab erst mal angefangen, mich selbst zu tätowieren", berichtet sie, wie sie einst anfing mit dem Tätowieren. Gezeichnet hatte sie schon immer gerne und wollte auch was mit Kunst machen. Tattoos fand sie auch immer cool. Ihr erstes eigenes Tattoo bekam sie gleich mit 18. Eine Rose mit Taschenuhr auf dem rechten Oberarm. Viele sind seitdem dazugekommen. Sie selbst wollte dann auch zur Nadel greifen. "Ich wollte es aber nicht gleich auf anderen probieren", erzählt sie.
Sie kaufte sich eine Tätowier-Maschine und fing an, auf Obst und auf Kunsthaut zu stechen. "Da bekommt man ein Gefühl, wie man mit der Maschine umgehen muss", erzählt sie. Der nächste Schritt war dann, dass sie sich selbst tätowiert hat. Auf dem "Übungsbein", das irgendwann voll war. Bis zum Kinn könne sie sich selbst Tattoos zulegen. Meint zumindest ihre Mama. "Mal sehen, ob ich mich dran halte", sagt sie verschmitzt.
Bald war ihr jedenfalls klar: Ihre Leidenschaft will sie zum Beruf machen. Zwei Mal brach sie ein Studium ab. Bürojob? Langweilig! Dann stolperte sie im letzten Jahr über eine Stellenanzeige des PikAss. Sie dachte sich: "Den anderen Scheiß zieh’ ich eh nicht durch." Sie bewarb sich ... und lebt seit Oktober hier nun ihren Traum.
Eine klassische Ausbildung gibt es als Tätowierer aber nicht. "Alles drum herum haben mir meine Kollegen hier im Studio gezeigt", sagt Maria. Also etwa die Maschine richtig einzustellen, gute Programme fürs Zeichnen, wie Farben oder Grautöne gemischt werden oder das hygienische Arbeiten. Als Tätowierer höre man nie auf, zu lernen, erzählt sie. "Man muss vor allen Dingen Kreativität mitbringen", meint Dirk, ebenfalls Tattoo-Künstler im PikAss. "Und einen guten Umgang mit Menschen." Den hat Maria. Sie durfte nämlich auch viel an Freunden üben. "Das war eine große Ehre für mich", sagt sie. "Denn das bleibt ja ewig."
"Politisches Zeug" ist für sie tabu. Ablehnen musste sie aber noch nichts. "Auf Hände machen wir nicht", erklärt sie. Am liebsten sticht Maria kleine Tattoos, Schriftzüge, Mandalas, sogenannte Dotworks – Gesamtkunstwerke aus Punkten. Eine Kriegermaske zählt zu ihren bisherigen Highlights. "Das waren viele Details." Ihre Arbeiten sind auf ihrer Instagram-Seite zu sehen.
Einen Wandel hat es in der Branche in den letzten Jahren gegeben. Früher seien Tätowierer eher Männer, eher etwas älter gewesen, sagt Dirk. Mit Blick auf Maria schmunzelt er: "Sie ist auf jeden Fall unser Küken."
Zum Neustart ändert sich nun gar nicht so viel. Mundschutz und Desinfektion sind ja ohnehin üblich für Tätowierer. Das müssen die Kunden nun eben auch tun. Und womögliche Schmerzen alleine aushalten - Begleitpersonen sind tabu. Vor ihrem ersten Kunden nach der Corona-Pause war sie schon ein wenig aufgeregt, gibt sie zu. "Aber es ist ja eigentlich fast so wie vorher auch", zuckt sie mit den Schultern. Und zum Üben hat sie ja schließlich auch sich selbst.
So läuft das Stechen ab
Eine Blume mit einer Hummel soll es werden, auf dem rechten Knöchel. Es wird das zweite von Carolin. Die 24-jährige Eppelheimerin ist die glückliche Gewinnerin einer RNZ-Verlosung auf Instagram - und bekommt als Preis von Maria ein neues Tattoo.
Ein Lavendel ziert bereits Carolins linken Oberarm. "Das passt ganz gut dazu", sagt sie. Jetzt folgt also Nummer zwei. Maria und Carolin haben sich über das Motiv im Vorfeld schon über Instagram ausgetauscht. "Ich zeichne die Motive zu Hause und zeige beim Termin dann, wie ich mir das vorstelle", erklärt Maria den Ablauf.
Die Tätowiererin klärt ihre Kundin noch über Pflege und Risiken auf, dann druckt sie die Vorlage aus und klebt sie auf. Sie bereitet die Farbe in einem fingerhut-ähnlichen Töpfchen vor, schließt die Nadel an. "Das ist schon schwierig, weil es ganz feine Linien sind", sagt sie über das Motiv. Aber so etwas habe sie schon öfter gemacht. Dann legt sie los.
Carolins fertiges Kunstwerk. Foto: DietzKonzentriert zieht sie die Linien nach. Carolin lässt sich von möglichen Schmerzen nichts anmerken, tippt auf ihrem Smartphone, filmt auch mal mit, wie Maria sie sticht. "Es ist auszuhalten", sagt die 24-Jährige.
"Natürlich hat man immer Angst, Fehler zu machen", sagt Maria. Deshalb denke sie beim Tätowieren auch "an gar nix", sondern konzentriere sich darauf, was sie mache. Etwas über eine Stunde dauert es, das Tattoo zu stechen. Am Ende schattiert Maria die Biene noch.
"Das war’s", sagt sie dann mit einem Lächeln. Das frische Tattoo bleibt noch etwas offen, um zu trocknen. Dann kommt eine selbstklebende Folie drüber, die mehrere Tage drauf bleibt.
"Das ist schon anstrengend, auch von der Konzentration her", erzählt die junge Tätowiererin. Gerade, wenn es mehrere Stunden dauert, ein Motiv zu stechen. "Und es geht in den Rücken." Maria streckt sich. Denn sie hat gleich den nächsten Termin mit einer Kundin. Sie will eine Hummel.