Ein paar Schüler bleiben der Schimper-Schule heute fern. Foto: Lenhardt
Von Sebastian Blum
Schwetzingen. Greta Thunberg ist so berühmt, dass ihr Wikipedia-Artikel mittlerweile in 15 Sprachen übersetzt worden ist. Zu einem weltweiten Schülerstreik für Klimaschutz hatte die erst 15-jährige schwedische Schülerin bei der Klimakonferenz im polnischen Katowice vor etwa sechs Wochen aufgerufen. Thunberg demonstriert seither jeden Freitag unter dem Motto "Fridays for Future" während der Schulzeit. Auch in Schwetzingen hat sie Nachahmer gefunden.
Schon seit Anfang des Jahres sorgen die Schülerproteste in Deutschland für Gesprächsstoff. In Stuttgart und Heidelberg haben Jugendliche vor einer beziehungsweise zwei Wochen erstmals demonstriert statt gebüffelt. Doch dürfen sie das? Losgelöst von der Reichweite der Debatte um Klimaschutz haben sich viele Rektoren, Politiker und Behörden klar positioniert: Laut Paragraf 72 des Schulgesetzes besteht im Land Schulpflicht. Unentschuldigtes Fehlen wird bestraft. Das Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasium zum Beispiel verweist auf das Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe. Von dort heißt es nur: "Es besteht Schulpflicht. Aus rechtlicher Sicht gibt es keine Freistellung."
Ganz anders ist es an der Schwetzinger Schimper-Gemeinschaftsschule, für die das Staatliche Schulamt zuständig ist. "Wir wurden von Schülern angefragt, die an der Demonstration teilnehmen wollen", teilt Schulleiter Florian Nohl mit. Doch von "Schulschwänzern" will er nichts wissen. Im Gegenteil: Mit Einwilligung der Eltern dürfen Schüler heute demonstrieren. "Wir sanktionieren das nicht, weil wir es als sinnvoll erachten, sich politisch zu engagieren", sagt Nohl.
Heute Vormittag ist eine große Kundgebung in Berlin geplant, wo die Kohlekommission der Bundesregierung ihr Konzeptpapier absegnet. Das 28-köpfige Gremium fordert etwa, Betreiber von Kohlekraftwerken zu entlasten. Sollte der Kohleausstieg zu schnell geschehen, befürchten Vertreter der Industrie einen rapiden Anstieg der Strompreise für Verbraucher. Klimaschutzverbände stellen sich gegen diese Argumentation. Es gehe um nichts Geringeres als "die Zukunft unserer Zivilisation", sagte Klimaforscher und Kommissionsmitglied Hans Joachim Schnellnhuber der dpa.
Die Schülerdemonstrationen werden von BUND-Jugendverbänden und der Schülerinitiative "Fridays for Future" (Freitage für die Zukunft) koordiniert. Dass Schüler ihre Mathehefte mit Plakaten tauschen, ist laut einer Mitarbeiterin des baden-württembergischen BUND-Jugendverbands auch so gewollt. "Es geht um einen Schülerstreik. Wir wollen, dass die Schüler aktiv nicht am Unterricht teilnehmen, um ein Zeichen für den Klimaschutz zu setzen." Aus dem Gespräch geht vor allem hervor: Greta Thunberg ist das große Idol. Wenn sie freitags während der Schulzeit demonstriert, wolle man das auch in Deutschland tun.
Eine Empfehlung für die Schulen des Landes spricht das baden-württembergische Kultusministerium zwar nicht aus. Die Bildungsbehörde erinnert aber an die Schulpflicht, für deren Einhaltung die Schulleiter verantwortlich seien. Für die Demonstranten besteht bedingt Verständnis. Es gehe in der Schulbildung auch darum, aus den Kindern und Jugendlichen "mündige Bürger" zu machen, wie ein Sprecher gegenüber der RNZ mitteilte. Aber: "Die Schulpflicht sollte trotzdem befolgt werden. Für uns gibt es keinen ersichtlichen Grund, warum die Demonstrationen während der Schulzeit stattfinden müssen. Es heißt ja nicht ,Fridays at 9 o’clock for the Future‘. Man könnte die Proteste auch auf den Nachmittag legen."
Wenn Schüler wegen der Demos im Unterricht fehlten, stehe es dem Rektor frei, mit pädagogischen Maßnahmen einzugreifen oder sie tatsächlich zu bestrafen. Florian Nohl macht nichts dergleichen und nimmt in der Debatte eine Außenseiterrolle ein. "Das ist mir klar, wir haben ja zu vielen Dingen eine andere Haltung, das hat sich schon herumgesprochen", sagt er im Gespräch. Für den Schulleiter gilt: "Im Bildungsplan steht ,politisches Handeln’, da kann ich jetzt noch so viele Planspiele im Klassenzimmer durchführen. Die Schüler sollen sich politisch engagieren, also können sie jetzt auch demonstrieren." Nur die Eltern müssen mit ihrer Einverständniserklärung die Schule von der Aufsichtspflicht befreien. Dann sei auch die komplizierte Frage um die Haftung geklärt, so Nohl.
Am Ende brauchen alle Beteiligten einen langen Atem. Ähnlich wie bei den Gelbwesten in Frankreich, so vermutet die BUND-Mitarbeiterin, sollen die Proteste wöchentlich stattfinden. Letzten Freitag nahmen bundesweit 25.000 Schüler teil. In der Schimper-Schule bleiben also mindestens heute einige Stühle leer.