Schwetzingen

Der jüdische Friedhof erzählt viele Geschichten

Kurt Glöckler hat sie alle recherchiert. Eine Pflege der Gräber ist nicht vorgesehen.

25.09.2020 UPDATE: 27.09.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 21 Sekunden
Der jüdische Friedhof in Schwetzingen führt eine Art Dornröschen-Dasein. Foto: Lenhardt

Von Rolf Kienle

Schwetzingen. Moses Monatt liegt hier begraben. Er war Zigarrenfabrikant und hatte seine Fabrik dort, wo heute das Radgeschäft Fender steht. Auch Simon Eichstetter wurde hier beigesetzt, ein "sympathischer Lehrer und Erzieher". Und auch Frieda Bermann die mit ihren Töchtern Therese, Elsa und Paula von den Nazis nach Gurs verschleppt und umgebracht wurde. "Hinter jeder Grabsteinplatte steckt eine Geschichte", erzählt Kurt Glöckler, ehemaliger Schuldekan und Experte für das jüdische Leben in Schwetzingen. Er hat alle Namen auf den Grabsteinen des israelitischen Friedhofs recherchiert und kennt die Geschichten der Verstorbenen.

Der kleine Friedhof führt eine Art Dornröschen-Dasein auf dem großen Schwetzinger Friedhof. Eine Sandsteinmauer, Tujahecken, ein paar Eichen und Büsche umgrenzen die etwa 50 nach Osten hin ausgerichteten Gräber. Über den Grabsteinplatten wächst Efeu, die Natur hat hier Oberhand. Der Vergleich mit einem aufgeräumten, wenn nicht gar blitzsauberen Grab ein paar Meter weiter wäre allerdings nicht zulässig.

Der ehemalige Schuldekan Kurt Glöckler kennt das Areal wie seine Westentasche. Foto: Lenhardt

"Die Gräber gehören denen, die hier gestorben sind", erklärt Glöckler. Eine Pflege ist nicht vorgesehen. Ein israelitischer Friedhof ist ein "Haus des Lebens", in dem die Bestatteten sozusagen leben bis der Messias kommt. Der Bewuchs ist vorgesehen, wenngleich er keinen Schaden an den Grabsteinen anrichten darf, wie Kurt Glöckler sagt. Man muss die Schrift lesen können, heißt es. Der Stein darf also nicht unter dem Efeu leiden. Teilweise sind die Grabsteine aus Sandstein, der Schaden nehmen kann. Demnächst will die Stadtverwaltung alte Pflanzen austauschen. Die Kosten dafür erstattet der israelitische Oberrat in Karlsruhe, dem der Friedhof gehört.

Es ist auch nicht Brauch, dass Verwandte regelmäßig die Gräber besuchen. Lediglich einmal im Jahr, vor dem höchsten Feiertag Jom Kippur – dem jüdischen Buß- und Bettag – geht man zum Friedhof. Auch dieser Anlass wird beim Schwetzinger Friedhof weitgehend unbemerkt bleiben. Das erste Begräbnis fand 1893 statt, das letzte in den 1950er Jahren. Es gibt nicht viele Hinterbliebene in Schwetzingen.

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Um 1900 war das noch anders: 107 jüdische Einwohner zählte man damals, was einen Anteil von 1,7 Prozent an der Gesamtbevölkerung ausmachte. In der Spargelstadt gab es eine lebhafte jüdischen Gemeinde. Viele von ihnen flohen vor dem Rassenwahn der Nazi-Herrschaft. Beim Novemberpogrom 1938 wurden die Häuser der verbliebenen Juden demoliert, ebenso der Betraum in der Heidelberger Straße. Nur wenige sind nach dem Krieg zurückgekommen.

Etwa 50 Gräber zählt der jüdische Friedhof in Schwetzingen. Foto: Lenhardt

Der Erste, der im Jahr 1893 auf dem kleinen Friedhof bestattet wurde, war übrigens ein gewisser Hänlein Springer, der aus Tairnbach im Kraichgau zugezogen war. Springer war blind und lebte im Haushalt seines Bruders. Mit der Bestattung durch den Bezirksrabbiner Hillel Sondheimer wurde der Friedhof seiner Bestimmung übergeben.

Sondheimer befand, es sei für die hiesigen Israeliten ein erhebendes Bewusstsein, unter ihren Dahingeschiedenen zu weilen und ihre Ruhestätte besuchen zu können, wie damals die Schwetzinger Zeitung berichtete.

Manche haben Nachkommen, die nun in aller Welt zuhause sind. Die Nachfahren der Familie Ohlhausen etwa, die in der Heidelberger Straße eine Lumpensortieranstalt betrieb, um ihren Besitz gebracht und ausgebürgert wurde, leben heute in den USA. Und vor einigen Jahren kamen Nachkommen der Familie Kaufmann aus Kanada und der Familie Metzger aus Stockholm hierher, als in einer Ausstellung an das "Jüdische Leben in Schwetzingen" erinnert wurde.

Auch heute noch könnten sich gläubige Juden auf dem kleinen Friedhof bestatten lassen. Es gibt noch Platz für mehrere Gräber. Aber eine Nachfrage ist nicht wirklich vorhanden. Die hier lebenden Juden sind stärker an den Gemeinden in Heidelberg und Mannheim orientiert. In Schwetzingen gibt es keine jüdische Gemeinde mehr.

Info: Das Versöhnungsfest Jom Kippur ist der höchste jüdische Feiertag. Es beginnt in diesem Jahr mit dem Sonnenuntergang am Sonntag, 27. September, und endet mit Anbruch der Nacht am Montag, 28. September. Arbeiten und körperliche Anstrengungen sind den Gläubigen untersagt.

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