Mannheim

Wenn ein erfundener Anschlag doch vor Gericht kommt

Betreiber eines regionalen Blogs wehrt sich gegen eine Geldstrafe - Die entscheidende Frage ist: Wie realistisch wirkte sein Artikel?

17.12.2018 UPDATE: 18.12.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 17 Sekunden
Das Mannheimer Amtsgericht. Symbolfoto: dpa

Von Alexander Albrecht

Mannheim. Seit Montag muss sich ein Blogbetreiber vor dem Amtsgericht Mannheim verantworten, weil er im Internet einen Bericht über einen erfundenen Terroranschlag veröffentlicht hat.

Um was geht es? Der bislang größte Terroranschlag in Westeuropa. 136 Tote, 237 Verletzte - und das mitten in Mannheim. Darüber informierte der Autor "Helle Sema" am 4. März um 3.57 Uhr die Leser eines regionalen Blogs; auch auf Facebook und Twitter verbreitete er die Nachricht. Der Name des "Journalisten" ist ein Pseudonym, angelehnt an die "Hellesema", wie die Einwohner von Heddesheim im Volksmund genannt werden. Tatsächlich war der Artikel vom verantwortlichen Redakteur des Blogs geschrieben und veröffentlicht worden.

Was ist danach passiert? Der Blogger meldete sich um 4.02 Uhr beim Polizeiführer vom Dienst (PvD) im Mannheimer Präsidium und teilte mit, dass die Geschichte zwar klar als erfunden zu erkennen ist, er die Beamten aber vorsichtshalber informieren wollte, falls Anrufe verängstigter Bürger eingingen. Fünf bis zehn sollen es gewesen sein, berichtete der zuständige Sachbearbeiter vom Staatsschutz im Zeugenstand. Der PvD beruhigte um 4.26 Uhr die Bevölkerung in den Sozialen Medien. "Der geschilderte Sachverhalt ist nicht real", schrieb er. Auch der Blogbetreiber stellte diese Meldung kurze Zeit später ins Netz. Allerdings hieß es in seinem Beitrag, die Behörden leugneten die Bluttat.

Wie reagierte die Staatsanwaltschaft? Sie ermittelte wegen Störung des öffentlichen Friedens gegen den verantwortlichen Redakteur. Aus Sicht der Behörde wirkte der Beitrag realistisch - auch deshalb, weil der Blogger die Aufklärung hinter einer Bezahlschranke "versteckt" hatte. Das Amtsgericht verhängte im Juli einen Strafbefehl in Höhe von 9000 Euro.

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Und der Blogger? Er legte Einspruch ein, weshalb der Fall vor Gericht gelandet ist. Der Text ist aus seiner Sicht "Gonzo-Journalismus", mische Fakten und Fiktion wild durcheinander. Dass der "Tathergang" erfunden worden sei, hätte den Lesern schon im frei zugänglichen Teil des Beitrags an mehreren Stellen auffallen müssen. So habe er von Ministerpräsident "Siegfried Kretschmann" geschrieben oder dem "Paradiesplatz". Zudem seien Polizeipräsident Thomas Köber und Oberbürgermeister Peter Kurz vorab eingeweiht worden. Beide rieten dem Blogger vergeblich von seinem Plan ab, weil sie fürchteten, die Bevölkerung werde in realen Zeiten des Terrors noch weiter verunsichert.

Wie lief der erste Prozesstag ab? Die Richterin verlas Facebook- und Twitter Protokolle von Menschen, die sie als "besorgte Bürger" bezeichnete. "Mir ist das Herz stehen geblieben", hieß es in einem Post. Verteidiger Maximilian Endler grätschte dazwischen und wendete sich mit einem "offenen Wort" an die Richterin. Die "besorgten Bürger" seien eine Wertung ihrerseits. Die Richterin betonte, unvoreingenommen zu sein, und wollte noch zwei weitere Facebook-Reaktionen verlesen, die jedoch nicht Teil der Akten sind. Diese habe sie selbst recherchiert, was zu ihrer Amtsaufklärungspflicht gehöre. Daraufhin platzte Endler endgültig der Kragen. Er bat um eine Unterbrechung der Sitzung.

Was hatte der Anwalt vor? Nach einer einstündigen Beratung stellte Endler einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin und warf ihr vor, sie habe ihre Unvoreingenommenheit "eingebüßt". Die Ermittlungsarbeit liege bei der Staatsanwaltschaft. Und: "Ich möchte gerne sehen, wer die Posts veröffentlicht hat, denn viele haben diese unter einem Pseudonym verfasst." Endler wunderte sich auch darüber, dass die Richterin OB Kurz wegen eines anderweitigen Termins ohne Rücksprache mit ihm als Zeuge wieder ausgeladen habe. Stattdessen habe sie dem Stadtoberhaupt einen Fragenkatalog zugesandt.

War der Befangenheitsantrag erfolgreich? Nein. Nach einer weiteren Unterbrechung lehnte ein anderer Richter das Ansinnen ab. Er begründete dies so, dass seine Kollegin ja Endler vorgeschlagen hatte, die Sitzung zu unterbrechen, damit er einen Blick in die neuen Facebook-Protokolle werfen könne.

Und jetzt? Die Richterin vertagte die Verhandlung auf Montag, 7. Januar. Endler kündigte an, einen Freispruch zu fordern. "Ganz egal, was hier noch alles passiert."

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