Gerichtsentscheid "Stillfüssel"

BUND jubelt, Umweltvereingung nicht

Landschaftsschützer Michael Hahl über das Urteil und Windkraftpläne im Odenwald

04.12.2018 UPDATE: 05.12.2018 06:00 Uhr 3 Minuten, 33 Sekunden

Der Windpark auf dem "Stillfüssel" im Odenwald über Wald-Michelbach ist rechtlich einwandfrei, sagt der Verwaltungsgerichtshof in Kassel. Foto: Herwig Winter

Von Carsten Blaue

Waldbrunn. Laut eines Eilentscheids des Verwaltungsgerichtshofs in Kassel (VGH) verstoßen die Windräder auf dem "Stillfüssel" am Eiterbachtal weder gegen das Artenschutzrecht, noch gegen das Immissionsschutzrecht oder das Wasserrecht. Der BUND jubelt.

Die Umweltvereinigung "Initiative Hoher Odenwald - Verein für Landschaftsschutz und Erhalt der Artenvielfalt" (IHO) jubelt nicht. Sie hatte den Eilantrag eingereicht. Der Verein mit Sitz in Waldbrunn ist in Baden-Württemberg, Hessen und Bayern tätig, der Schwerpunkt liegt im Odenwald. Dieser dürfe nicht zur Windenergielandschaft werden, sagt IHO-Vorsitzender Michael Hahl im RNZ-Gespräch. Dem hessischen Umweltministerium wirft er Schönfärberei vor.

Herr Hahl, das Umweltministerium in Wiesbaden hat mitgeteilt, dass Landschafts- und Naturschutzgebiete, Naturdenkmäler, Kernzonen des Unesco-Welterbes sowie Wasserschutzgebiete bei der aktuellen Windkraftplanung für den hessischen Odenwald außen vor sind. Klingt doch gut, oder?

Der Odenwald hat bekanntlich Anteile in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Ein Windenergie-Ausbau in bislang naturnahen Landschaften ist im gesamten Odenwald vorgesehen, umstrittene Planungen sind hier wie dort in vollem Gange. Die Verharmlosungen sind also unschön, denn korrekt ist: Weder Wasserschutz- noch Landschaftsschutzgebiete sind "außen vor", wie man beispielsweise am Eberbacher Bergrücken "Hebert" oder am "Augstel" bei Waldbrunn sieht. Diese Waldflächen werden in den Regionalplanentwürfen als Windenergie-Vorranggebiete geführt und gehören zum Landschaftsschutzgebiet Neckartal II - Odenwald. Der "Hebert" hat zudem Anteil an kommunalen Wasserschutzgebieten, genauso wie der "Stillfüssel" am Eiterbachtal oder der "Kahlberg" im südhessischen Kreis Bergstraße. Schönfärbereien müssen berichtigt werden.

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Hintergrund

Der Landrat des Odenwaldkreises, Frank Matiaske (SPD), hat Regierungspräsidentin Brigitte

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Der Landrat des Odenwaldkreises, Frank Matiaske (SPD), hat Regierungspräsidentin Brigitte Lindscheid (Grüne) für ihre jüngsten Äußerungen zur Windkraft im Odenwald scharf kritisiert. "Frau Lindscheid hat sich offen dafür ausgesprochen, dass der Odenwald mit Windkraftanlagen über Gebühr belastet wird. Diese Ungleichbehandlung ist ein Skandal, und ich erwarte, dass diese Aussage korrigiert wird. Das Regierungspräsidium sieht den Odenwald offenbar als Hinterhof, der weniger wichtig ist als andere Regionen in Südhessen", so der Landrat.

Hintergrund ist der Streit über die Windkraftvorrangflächen im Entwurf des Teilplans Erneuerbare Energien 2018, den das Regierungspräsidium Darmstadt vorgelegt hat. Lindscheid hatte vergangene Woche in einem Interview gesagt, dass die Konzentration von Windkraftanlagen in Gebieten wie dem Odenwald "verständlicherweise" über dem hessenweit verbindlichen Ziel von zwei Prozent der Fläche liegen müsse. Als Gründe hatte Linscheid angeführt, dass der Odenwald weniger dicht besiedelt und als Windkraftstandort besonders geeignet sei. "Hier wird ganz offen mit zweierlei Maß gemessen", moniert dagegen Matiaske. Er sei nicht grundsätzlich gegen Windkraft, und der Odenwaldkreis leiste schon seinen Beitrag zur Energiewende: "Aber es kann nicht sein, dass das Kreisgebiet als hessischer Windkraft-Park herhalten muss."

Ungereimtheiten und ein "Skandal"

Die aktuelle Planung sieht alleine für den Odenwaldkreis 18 Windkraftstandorte mit einer Gesamtfläche von rund 2300 Hektar vor. In der gesamten südhessischen Planungsregion, die den Odenwald umfasst, sind es gut 12.500 Hektar. Matiaske sprach in seinem Landkreis von 230 bis 400 möglichen Anlagen. Der Landrat warnte davor, dass ein "riesiger Baumbestand" abgeholzt werden müsste und sieht in den Äußerungen Lindscheids weitere Beispiele für eine Ungleichbehandlung des Odenwalds.

So seien Windkraftanlagen auf dem Taunuskamm nicht genehmigt worden, weil in der Bauphase eine Verunreinigung des Grundwassers im Wasserschutzgebiet nicht sicher genug habe ausgeschlossen werden können: "Dieses Argument gab es auch bei uns, spielte aber keine Rolle", sagte Matiaske und verwies auf das Vorgehen der Gemeinde Mossautal gegen eine Windkraftanlage auf einem angrenzenden Areal, das zum Kreis Bergstraße gehört.

Der Teilplan Erneuerbare Energien sollte am 14. Dezember in Frankfurt verabschiedet werden. Doch der Beschluss wurde vertagt. Jetzt soll über Stellungnahmen zum Entwurf beraten werden. Auch CDU und SPD hatten das Regierungspräsidium Darmstadt scharf kritisiert und die Abstimmung verweigert. Beide Parteien warfen Lindscheid gravierende Fehler und Ungereimtheiten vor und verlangten eine Überarbeitung der Pläne. (cab).

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Aber der Verwaltungsgerichtshofs in Kassel hat anders entschieden ...

Ja, es ist enttäuschend, dass fachlich belegbare eklatante Defizite in Eilverfahren nicht kritischer bewertet wurden. An "Stillfüssel" und "Kahlberg" wurden sofort nach Genehmigung Eilverfahren durch die IHO eingereicht - in Kooperation mit örtlichen Bürgerinitiativen und Geldgebern. Am "Greiner Eck", einem FFH-Gebiet, standen bereits fünf Anlagen, ehe wir überhaupt klagebefugt waren. Am "Stillfüssel" wurde jetzt im Eilverfahren zugunsten der Windenergieanlagen beschlossen. Wir gehen davon aus, dass in den nachfolgenden Hauptsacheverfahren durch das Gericht dann gründlicher als bisher geprüft werden muss und neutrale Sachverständige zu beauftragen sind. Eine oberflächliche Prüfungsintensität sollte dann nicht akzeptabel sein.

Der BUND jubelt über die Entscheidung aus Kassel.

Meines Erachtens jubelt der BUND zu früh. Davon abgesehen, dass es einem traditionellen Umweltverband gar nicht gut steht, in einem Fall wie dem "Stillfüssel", wo erhebliche Artenschutzkonflikte faktisch gut belegt wurden, überhaupt zu triumphieren. Man fragt sich, um was es den Akteuren eigentlich geht, welche Rolle der Bergsträßer BUND mittlerweile einnimmt. Uns geht es jedenfalls nicht um sinnlose Grabenkämpfe, sondern einzig und allein um Natur- und Landschaftsschutz, der jedoch beispielsweise am "Stillfüssel" auch nach Ansicht unserer Umweltjuristen mit Füßen getreten wurde. Ich selbst bin übrigens nach jahrelanger Mitgliedschaft vor etwa vier Jahren aus dem BUND ausgetreten.

Die Lage ist etwas kompliziert. Seit 2015 ist der ganze Odenwald Unesco Global Geopark. Die bayerischen und baden-württembergischen Teile sind aber auch immer noch eigenständige Naturparke. Dagegen ist der hessische Odenwald als Landschaftsschutzgebiet quasi abgeschafft worden.

Die herausragende Bedeutung unseres "Unesco Global Geoparks", vergleichbar dem Rang eines Welterbes, geht auf ein seit gut fünfzehn Jahren kommuniziertes Image zurück, das lautet: "Landschaft erleben!" Studien zum Wandertourismus belegen längst, was von Besuchern der Destination Odenwald gesucht wird: naturnahe und stille, technisch nicht überformte Kulturlandschaften. Nicht etwa rotierende Windenergieanlagen in Wäldern, die sämtliche Odenwaldhöhen um 200 Meter überragen. Unser Natur- und Geopark hat also durch jegliche Art von industrieller Überformung und landschaftlicher Entwertung viel zu verlieren, zumal bei künftigen Evaluationen der Unesco-Status auch wieder aberkannt werden kann.

Aber es muss doch ein Kompromiss drin sein zwischen Naturschutz und Energiewende.

Das ist eine Frage der Raumordnung! Beim Thema Windkraftausbau stellt sich schlichtweg die Frage, welche Erzählung wir für diese Region vorantreiben möchten: Wollen wir eine "Windenergielandschaft Odenwald", in der rotierende Windkraftanlagen auf etlichen Bergrücken das Landschaftsbild dominieren? Oder wünschen wir uns eine global herausragende Geopark-Region, deren Kulturgüter und erdgeschichtliche Stätten die Glanzlichter einer angepassten regionalwirtschaftlichen Entwicklung sind? Es geht hier um konkurrierende Nutzungsansprüche. Lassen wir uns nichts vormachen: Beides nebeneinander geht nicht!

Michael Hahl. Foto: zg

Das Umweltministerium schrieb auf RNZ-Anfrage, die hessische Landesregierung wolle den Eingriff in die Natur durch Windkraftanlagen gering halten. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?

Derartige Aussagen dienen dazu, eine Erzählung so zu gestalten, dass Gemüter beruhigt werden. Aus meiner Erfahrung als Geograf mit einer ganzen Menge beruflichem und umweltengagiertem Fachwissen muss ich leider berichtigen, dass ein Windenergie-Ausbau im Odenwald zwangsläufig zu einem äußerst schwerwiegenden Eingriff in den Naturhaushalt und das Landschaftsbild führen muss. Mehr und mehr Bürger, Rathäuser und Bürgermeister erkennen das und wachen auf

Konfrontiert man das hessische Umweltministerium mit dem Argument, dass Windräder Natur zerstören, dann bekommt man zur Antwort, dass der Klimawandel Wälder und Ökosysteme bedroht. Die Windkraft trage zur Energiewende und zum Klimaschutz bei und somit zum Schutz von Flora und Fauna. Das klingt nachvollziehbar...

Bei aller Überzeugung, dass auch neue Wege der Energiegewinnung zu entwickeln sind, sehe ich das derzeitige energiewirtschaftliche Konzept als fatalen Irrweg, der viel zerstört. Zum globalen Artensterben zeigt eine 2017 veröffentlichte Studie ein "Ranking" der Ursachen: Übernutzung und Lebensraumzerstörung stehen ganz oben. Während die Zerstörung von Lebensräumen über 6000 Arten bedroht, gehen rund 1680 konkrete Bedrohungen auf einen Klimawandel zurück. Stellen wir die Erzählung also vom Kopf auf die Füße und reagieren fachlich, indem wir in einem wertvollen Lebensraum wie dem Odenwald mit seinen FFH- und Vogelschutzgebieten und den unionsrechtlich geschützten Schwarzstörchen, Rotmilanen und Fledermausarten ökosystembasierte Anpassungen an klimatische Veränderungen fordern. Neue Formen der Energiegewinnung müssen diesem Natur und Landschaft schützenden Narrativ untergeordnet werden. Ein Windenergieausbau wird ohne auch nur annähernd ausreichende Speichertechnologien zu keiner CO2-Minderung führen.

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