Von Manuel Reinhardt
Rhein-Neckar. "Nach meiner Wahrnehmung dürfte der Streckenabschnitt berechtigte Chancen auf den Titel 'tödlichster Autobahnabschnitt Deutschlands' haben."
"Immer wieder krachen Lkw auf Stauenden!"
"Warum ... Die Beine oben ... Pilot an ... Essen, telefonieren ... Man lernt nie daraus."
"Jeden Tag die gleiche Szene ... Stau wegen Lastwägen, die nicht rechtzeitig bremsen konnten und äußerst schwere, zum Teil tödliche Unfälle in unserer Region, aber auch sonst in Deutschland verursachen, täglich!"
Nein, der Ruf von Lkw auf den Autobahnen ist nicht gut. Darauf deutet schon dieser kleine Auszug aus Kommentaren auf der RNZ-Facebook-Seite hin. Es sind Reaktionen zu Posts über schwere Unfälle auf der A6 oder A5, die sich gerade in diesen Tagen wieder häufen und die mit Schwerverletzten oder gar Toten endeten.
Doch was ist dran? Ist der Eindruck tatsächlich nur ein Eindruck? Oder stimmt er mit der Wirklichkeit auf unseren Autobahnen überein? Und wie sicher beziehungsweise gefährlich ist es auf den Schnellstraßen tatsächlich?
Antworten auf diese Fragen soll der Blick in die Statistik der Polizei der Jahre 2017 und 2018 liefern. Ein Faktencheck: Lassen wir die Zahlen sprechen!
> "Es kracht jeden Tag"
Kann man so sagen. An den meisten Tagen in den letzten zwei Jahren gab's Crashs auf den Autobahnen der Region. Allein auf dem Abschnitt der A6 zwischen Mannheim und Heilbronn gab es zwischen Januar 2017 und Dezember 2018 1617 Unfälle, nahezu paritätisch aufgeteilt in beide Fahrtrichtungen.
Exemplarisch die A6-Strecke zwischen Mannheim und Sinsheim: An 267 Tagen krachte es 2017 (74 Prozent) und 2018 kam es sogar an 281 Tagen zu Unfällen (77 Prozent).
Auf der A5 zwischen Hemsbach und Kronau kam es in den beiden Jahren 714 Mal zu mindestens Blechschäden. Zwischen Heidelberg und Mannheim gab es auf der A656 115 Unfälle. 59 Mal krachte es auf der A61 zwischen dem Rhein und dem Hockenheimer Dreieck. Jüngst endete dort ein Crash zwar tödlich - im Untersuchungszeitraum gab es hier aber keine Verkehrstoten oder schwereren Verletzten, weshalb dieser Bereich im Weiteren ausgespart wird.
In den meisten Fällen blieb es bei leichten Unfällen mit Schaden zwischen 1000 und 10.000 Euro und maximal Leichtverletzten (exemplarisch: 883 Unfälle auf der A6-Strecke Mannheim-Heilbronn fallen unter diese Kategorie)
> "Dieser Abschnitt ist besonders schlimm"
Auch ein solcher Eindruck lässt sich tatsächlich bestätigen. Die Zahlen heben drei besonders gefährliche Abschnitte deutlich hervor.
Die Unfall-Schwerpunkte sind die Bereiche um das Kreuz Walldorf (A5 und A6!!) (Kilometer 584 bis 593 der A6, Kilometer 585 bis 592 der A5), der A6-Abschnitt zwischen Wiesloch/Rauenberg und Sinsheim (Kilometer 599 bis 608) und das Stück der A6 um Bad Rappenau (Kirchardt bis Heilbronn) (Kilometer 621 bis 630)
> "Immer wieder sind es die Lkw"
Der Faktencheck bestätigt hier also das Gefühl der Menschen. Wie sieht es aber mit den Lastwagen als Schuldigen beziehungsweise Verursachern aus? Die Zahlen der Polizei sagen auf den ersten Blick: Es sind nicht die Lkw.
912 der 1617 Unfälle auf der A6 haben Pkw verursacht - das entspricht 56 Prozent. Sattelzüge verursachten 241 Crashs (14 Prozent), Kleinlaster 107 (6 Prozent).
Auf der A5 sieht's ähnlich aus: 457 Mal verursachte ein Pkw einen Unfall - das sind sogar 64 Prozent. 66 Mal waren Sattelzüge verantwortlich, wenn es krachte (9 Prozent), 63 Mal Kleinlaster (8 Prozent).
Hotspot für Unfälle, die Autos verursachten und an denen ausschließlich Pkw beteiligt waren, war die A656. 85 der 115 Crashs wurden von Autos verschuldet - 73 Prozent. Und an 74 Crashs waren noch andere Pkw beteiligt.
Zwar blieb es in den meisten Fällen bei Blechschäden und Leichtverletzten, die hier in die Statistik mit eingehen. Zwangsläufig muss der Blick aber auf die schweren Unfälle fallen. 16 Tote forderten Unfälle dabei auf der A6 zwischen Mannheim und Heilbronn - 12 in Fahrtrichtung Mannheim, 4 in Fahrtrichtung Heilbronn.
5 Menschen starben auf der A5 - 4 davon bei einem Unfall im Februar 2018 bei St. Leon-Rot. Verursacht hatte diesen ein Sattelzug, der am Stauende auf zwei Autos auffuhr und diese unter einen weiteren Lastwagen schob.
> "Irgendwelche Lkw fahren in der Baustelle oder bei sonstigem Stau auf und es gibt Tote"
Womit wir wieder bei den Kommentaren und dem Ruf der Lastwagen wären. Und wenn man nun auf die anderen tödlichen Unfälle blickt, können wir festhalten: Es sind doch die Lkw. Denn nur bei drei der insgesamt 17 tödlichen Unfällen auf der A5 und der A6 war kein Lastwagen beteiligt.
Bei 7 tödlichen Unfällen waren Sattelzüge mindestens involviert - fünfmal waren diese dabei auch der Verursacher. Ebenfalls fünf tödliche Crashs lösten Kleinlaster bis 7,5 Tonnen aus. Einen weiteren Unfall mit Toten verursachte ein Motorrad. Sechsmal waren Autos bei tödlichen Unfällen verantwortlich.
Diesen Befund bestätigen die Unfälle mit mindestens einem Schwerverletzten zum Teil. 42 solcher Unfälle auf der A6 lösten Sattelzüge aus, 18 Kleinlaster. In 33 Fällen waren Autos die Verursacher.
Auf der A5 dagegen ein anderes Bild: Nur für 4 Unfälle mit mindestens einem Schwerverletzten waren Sattelzüge verantwortlich, Kleinlaster hatten drei zu verantworten. 37 Mal jedoch ging der Unfall von einem Auto aus.
Woran liegt's? Ganz einfach daran, dass auf der A5 viel weniger Lkw unterwegs sind: 2017 waren pro Tag rund 8000 Lastwagen auf der Straße. Bei einem Pkw-Aufkommen von rund 72.000 Autos pro Tag entspricht das einem Anteil von rund 12 Prozent.
Auf der A6 hingegen beträgt der Lkw-Anteil 21 Prozent - täglich im Schnitt rund 17.500 Lkw bei rund 80.000 Autos. (Quelle: Straßenverkehrszentrale Baden-Württemberg)
> "Mir tun all die Berufspendler leid"
Die meisten der Lkw auf unseren Autobahnen fahren im Fernverkehr. Interessant ist daher, wann es zu Crashs kommt. Das Ergebnis ist überraschend. Denn weder im Morgen- noch im Feierabendverkehr kracht es am häufigsten. Sondern in der Zeit zwischen 10 und 16 Uhr. Die meisten Unfälle passieren also im Durchgangsverkehr passieren. Was wiederum für die Berufspendler spricht: Ortskundige Fahrer scheinen mit erhöhter Vorsicht unterwegs zu sein.
> "Warum nicht eine Baustelle zügig rund um die Uhr und dann die nächste?"
Schauen wir schließlich auf die Ursachen. Und damit auch zwangsläufig auf die Baustellen. Denn seit Januar 2017 baut der private Autobahnbetreiber Via6West die Autobahn A6 sechsspurig aus. Die Annahme: Da die Baustelle für die Staus sorgt, sorgt sie damit auch für viele Unfälle.
Das bestätigt sich zunächst nur bedingt, wie das Beispiel des Abschnitts zwischen Wiesloch-Rauenberg und Sinsheim zeigt. Hier wurde der sechsspurige Ausbau im November 2018 fertiggestellt und freigegeben. Aber: Die Unfälle in diesem Bereich haben nach der Freigabe nicht groß abgenommen. Während es in diesem Bereich etwa im September und Oktober 2018 jeweils 17 Unfälle gab, hat es im November 16 mal gekracht. Im Dezember gab es dann zwar nur 10 Unfälle. Aber auch im Vorjahr war es um die Feiertage herum ruhiger.
Allein die Zahlen für den A6-Abschnitt um Bad Rappenau sind aber dennoch ein Indiz, dass die Baustellen eine gewichtige Rolle in Sachen Unfälle spielen. Genaueres lässt sich im kommenden Jahr sagen, wenn die Zahlen zu der ausgesetzten A6-Baustelle während der Buga in Heilbronn vorliegen.
> "Und dann noch abgelenkte Fahrer durch Handy, Zeitung, was auch immer"
Bleibt also der Faktor Fahrer. Und da wird beim Blick in die Zahlen schnell klar: Es sind die Menschen. Die Zahlen bestätigen auch, dass Auffahrunfälle die häufigste Art der Zusammenstöße darstellen: Auf der A6 zwischen Mannheim und Sinsheim gab es 509 Unfälle mit anhaltenden, stehenden oder anfahrenden Fahrzeugen. Auf der A5 waren dies 306.
Entweder ließen die Fahrer zu wenig Abstand oder waren zu schnell. Auch beim Auffahren auf die Autobahn, bei Überholvorgängen oder bei Fahrspurwechseln kam es häufiger zu Unfällen.
Der Faktor Mensch spielt also eine Rolle. Gerade bei der Vielzahl an Crashs wegen überhöhter Geschwindigkeit könnte aber ein Tempolimit ins Spiel kommen und für mehr Sicherheit sorgen.
> Fazit: Das ist dran an der Wahrnehmung der Menschen
Die Zahlen haben gesprochen. Und sie sprechen die Sprache der Menschen: Es ist was dran an der Wahrnehmung der Menschen.
Zwar sind Pkw die Verursacher Nummer eins und bestätigen den Eindruck "Immer wieder sind es die Lkw" nicht. Doch richtig gefährlich wird es, wenn Lastwagen beteiligt sind: Bei schweren Unfällen sind Lkw überproportional involviert. In den meisten Fällen handelt es sich dabei tatsächlich um Auffahrunfälle, weil Fahrer zu schnell unterwegs sind oder zu wenig Abstand zu den vorausfahrenden Fahrzeugen halten. Und das passiert oft: An weit mehr als zwei Drittel aller Tage kommt es zu Unfällen.
Das alles haben also die RNZ-Leser schon lange erkannt. Und sie haben auch Ideen für Lösungen: "Nehmt den Fahrern die Laptops oder Handys weg, und wir haben sofort mindestens um die Hälfte weniger Auffahrunfälle", "Hier sollte einfach eine Begrenzung auf 80 km/h gemacht werden, basta!", "Es müsste mehr unangekündigte Kontrollen geben", "Da hilft fast nur Technik Richtung autonomes Fahren", lauten Kommentare auf der RNZ-Facebook-Seite.