Es verbindet sie das besondere Feeling eines Trips auf dem Motorrad: Biker beim Motorrad-Treffen in Ketsch. Foto: Lenhardt
Von Marion Gottlob
Ketsch. Hier wurde nicht Jägerlatein gesponnen, sondern "Benzin" geredet: Als sich Motorsportfreunde aus Deutschland, Belgien, Frankreich, Österreich, Luxemburg und den Niederlanden am vergangenen Wochenende beim MSC Ketsch trafen, drehte sich alles um PS, Reifen und tolle Touren. Rund 70 Gäste fanden sich beim Clubhaus "Moto Treff" ein. Manche hatten einen Anfahrtsweg von nur 30, andere hatten mehrere Hundert Kilometer hinter sich gebracht, um zu diesem Treffen zu kommen. Reiner Kurtz, erster Vorsitzender des MSV Ketsch, und die Mitglieder Jürgen Teuschel und Heiner Berger betonten: "Wir sind wie eine große Familie."
Nach der Trennung aufs Motorrad gestiegen
Zu den jüngsten Gästen gehörte Fabian Remmers (29) aus Emden. Um 8 Uhr war er gestartet, und um 15 Uhr kam er in Ketsch an. Sein Vater fährt schon seit 30 Jahren Motorrad. Remmers sagt: "Das Motorrad-Fahren macht einfach Spaß, und ich treffe hier meine Eltern." Er findet Motorrad-Gleichgesinnte. Zum ersten Jahrestreffen lud der MSC in den 70ern ein. In den folgenden Jahren kamen über 300 Teilnehmer. Der Erfolg wurde zu groß. "Das ist uns über den Kopf gewachsen, wir hatten das nicht mehr im Griff", erklärt Berger. Es gab Probleme, vor allem mit Missbrauch von Alkohol. So folgte 1988 ein Bruch - die Treffen wurden für vier Jahre ausgesetzt.
Nach einer Zeit der Besinnung dann aber die Kehrtwende: "Man hört nicht bei 16 Treffen auf", hieß es damals. Mitglieder des MSC stemmten die Treffen ehrenamtlich, seit 1992 finden sie wieder jährlich statt. Allerdings unter neuen Bedingungen: Es wird nicht mehr öffentlich dafür geworben. Die Gäste werden persönlich angeschrieben und eingeladen. So sind die Treffen nicht mehr anonym und beliebig, sondern sehr familiär. Teuschel: "Wir umarmen uns wie gute Freunde." Von März bis September trifft man sich reihum an den Wochenenden bei befreundeten Vereinen, das Treffen in Ketsch hat einen festen Platz in diesem Benzin-Terminkalender.
Jan Leutenantsmeyer vom MSC Schüttorf in der Nähe der holländischen Grenze ist mit einer Harley Davidson Street Glide rund 450 Kilometer angereist. Drei Trink-Pausen hat er eingelegt. Auf Alkohol hat er verzichtet, ganz klar. "Ich fahre seit 42 Jahren Motorrad. Ich mag die frische Luft und das Feeling." Früher war er fast jedes Wochenende bei einem Motorrad-Treffen, bis zu 50 Treffen pro Jahr, heute nimmt er an "nur" circa 30 Treffen teil. Mit ihm sind rund 15 Motorsport-Freunde des MSC Schüttorf nach Ketsch angereist. Jens Dreßler hatte sich mit einer BMW K 1200 auf den Weg gemacht: "Hier trifft man alte Bekannte und lernt neue Menschen kennen. Die Leute in Ketsch sind richtig gut drauf."
Die 73 Jahre alte Ulrike Wasner aus Worms gehört zu den ältesten Bikern. Mit 18 Jahren wurde sie von der Leidenschaft für das Zweirad gepackt. Später war sie oft mit ihrem früheren Ehemann unterwegs. Nach der Trennung verzichtete sie auf das Motorrad, bis Arbeitskollegen sagten: "Kauf Dir eine Maschine und fahr wieder mit." Sie war unschlüssig: "Mit 50 Jahren wieder ein Motorrad?" Sicherheitshalber absolvierte sie mit einem Fahrlehrer eine Fahrstunde. Das lief so gut, dass sie eine gebrauchte Maschine kaufte. Heute ist sie mit einem Chopper Kawasaki oder der Tourenmaschine Honda Hornet auf Achse. Vor kurzem wurde sie bei einem Treff im Elsass mit einem riesigen Pokal als älteste Fahrerin ausgezeichnet. Sie lächelt: "Ich hatte noch nie einen Unfall. In meinem Alter muss ich auch nichts mehr beweisen, ich muss nicht rasen wie ein Idiot."
Thomas Wolff, 62 Jahre, aus Magdeburg, hat mit einer Suzuki GSR 750.500 Kilometer zurückgelegt: "Als meine Arbeitskollegen, alle um die 40 Jahre alt, von meinen Plänen für das Wochenende hörten, wollten sie nicht glauben, dass ich das in meinem Alter mache." Er besitzt drei Motorräder. "Ich habe immer wieder eines dazugekauft." Das kann auch Horst Mögingen (74) aus Aarlen erzählen. Er fährt, seit er 18 ist: "Damals konnte ich mir kein Auto leisten." Horst ist mit einem Seitenwagengespann BMW mit Walter-Umbau vor Ort. Das ist schwieriger zu fahren als ein Solo-Motorrad, denn es braucht mehr Kraft und legt sich nicht in die Kurven.
"Benzin"-Geschichten sind originell: Heiner Berger vom MSC Ketsch hatte sich immer ein Motorrad gewünscht. Zuerst waren seine Eltern dagegen, dann seine Frau. Seine Nachbarin war in einer ähnlichen Situation. Ihr Ehemann wollte nicht, dass sie Motorrad fährt. Aber egal, sie erwarb ein Motorrad und sagte zu Berger: "Ich habe für uns eine Maschine gekauft." So machte er mit 55 Jahren den Führerschein und wechselte sich mit der Nachbarin beim Motorrad-Fahren ab: "Auf dem Rad bekomme ich den Kopf frei - es ist der Zauber der Freiheit."
Nach dem Treffen ist vor dem Treffen: Die meisten Gäste kommen in den nächsten Wochen erneut zusammen, dann bei anderen Clubs. Im Herbst und Winter haben sie nur über das Internet Kontakt - bis die neue Saison beginnt.