Die Wunden sind noch nicht verheilt
Fünf Tote, 28 Verletzte, ein riesiger Schaden: Vor einem Jahr erschütterte eine Explosion bei der BASF die Metropolregion

Geborstene Rohrleitungen zeugten von der ungeheuren Wucht der Explosion im Nordhafen. Foto: Roessler
Von Jasper Rothfels und Alexander Albrecht
Ludwigshafen. An den Tag der tödlichen Explosion bei der BASF kann Udo Scheuermann sich noch genau erinnern. Er sei in seinem Büro gewesen, als er den Knall gehört und die Rauchwolke gesehen habe, sagt der Ortsvorsteher im Ludwigshafener Stadtteils Oppau. "Ich bin dann in die Richtung gefahren, wo ich vermutet habe, dass da was ist, aber es war schon alles abgesperrt."
Also verfolgte der 72-Jährige von seinem Büro aus die Nachrichten über den Vorfall im nahen Landeshafen Nord, in dem Schiffe für die BASF be- und entladen werden. Aus der Entfernung wurde er Zeuge des schlimmsten BASF-Unglücks der vergangenen Jahrzehnte. Fünf Menschen starben, 28 wurden verletzt. Am kommenden Dienstag ist der erste Jahrestag des Unglücks, das bundesweit Aufsehen erregte und auch jetzt noch viele beschäftigt. "Das Thema ist immer noch akut", sagt Scheuermann.
Hintergrund
Gedenkfeiern: Ganz im Zeichen des Erinnerns an das schwere Unglück vor einem Jahr am Nordhafen, die fünf Todesopfer und vielen Verletzten steht der kommende Dienstag bei der BASF. Der Chemieriese hat dazu drei interne Veranstaltungen angesetzt.
Bereits
Gedenkfeiern: Ganz im Zeichen des Erinnerns an das schwere Unglück vor einem Jahr am Nordhafen, die fünf Todesopfer und vielen Verletzten steht der kommende Dienstag bei der BASF. Der Chemieriese hat dazu drei interne Veranstaltungen angesetzt.
Bereits um 7 Uhr treffen sich ausschließlich Werkfeuerwehrleute des Unternehmens, um ihrer gestorbenen Kollegen zu gedenken. Am späten Vormittag wird auf dem Gelände der Feuerwache Nord ein Gedenkort mit vier Stelen (für die vier toten Wehrleute) eingeweiht. Zum kleinen Kreis der Teilnehmer gehören Brandbekämpfer Verletzte, Angehörige und Einsatzkräfte.
Sie alle sowie Politiker und Anwohner sind auch zu einer weiteren Gedenkfeier um 17 Uhr im Konferenzraum D 105 eingeladen. Dabei werden Vorstandschef Kurt Bock und der Betriebsratsvorsitzende Sinischa Horvat sprechen. Die BASF unterstützt nach eigenen Angaben Verletzte und Angehörige durch ihren werksärztlichen Dienst. Zudem hat der Konzern Soforthilfen an die Betroffenen ausgezahlt sowie eingegangene Spenden weitergeleitet. alb
Was damals passierte, schien relativ schnell klar zu sein. Warum es passierte, ist auch ein Jahr später noch ein Rätsel. Fest steht: Mitarbeiter einer Spezialfirma für Rohrleitungsbau waren schon vier Tage vor dem Unglück in einem etwa 20 Meter breiten Rohrgraben eingesetzt, in dem 38 Leitungen liegen für Dampf, Brunnen- und Abwasser sowie für brennbare Chemikalien. Im Auftrag der BASF sollten sie bei einer entleerten Leitung für "Propylen flüssig 95%" einen "Dehnungsbogen" austauschen, ein Element zum Spannungsausgleich.
Am 17. Oktober gegen 11.30 Uhr passierte es: Einer der Arbeiter, der schon seit mehreren Jahren immer wieder bei der BASF im Einsatz war, soll mit einer Trennscheibe eine etwa 20 Zentimeter rechts von dem Rohr liegende Leitung für "Raffinat I+II" angeschnitten haben, die gar nicht zum Sanierungsprojekt gehörte.
Darin floss ein brennbares Buten-Gemisch. Die BASF hält es nach früheren Angaben für möglich, dass die von der Trennscheibe erzeugten Funken das Gemisch entzündeten und so ein Brand entstand. Per Handlöscher sollen die Männer versucht haben, ihn in den Griff zu bekommen - vergeblich.
Hintergrund
Ermittlungen gegen mutmaßlichen Verursacher werden dauern
"Für uns ist die Situation auch nicht gerade schön oder zufriedenstellend", seufzt Hubert Ströber, der Leiter der Staatsanwaltschaft Frankenthal. Die Behörde ermittelt gegen den mutmaßlichen
Ermittlungen gegen mutmaßlichen Verursacher werden dauern
"Für uns ist die Situation auch nicht gerade schön oder zufriedenstellend", seufzt Hubert Ströber, der Leiter der Staatsanwaltschaft Frankenthal. Die Behörde ermittelt gegen den mutmaßlichen Verursacher des Unglücks bei der BASF wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und fahrlässiger Brandstiftung. Ob und wann gegen den Mann, der laut Ströber weiter gegenüber den Ermittlern schweigt, Anklage erhoben wird, steht noch in den Sternen.
Da Fahrlässigkeit ein "relativ geringer Schuldvorwurf" sei und keine Flucht-gefahr bestehe, sitze der Mitarbeiter einer Fremdfirma nicht in Haft. "Wir warten noch auf ein zentrales Gutachten", sagt Ströber. Die Expertise soll zweifelsfrei klären, ob die Katastrophe nicht doch eine andere Ursache hatte. Das Problem: Der erfahrene und von der Staatsanwaltschaft schon häufig eingesetzte Experte für Brandermittlungsursachen arbeitet derzeit noch an dem Gutachten für die Gasexplosion am 23. Oktober 2014 im Ludwigshafener Stadtteil Oppau. Zwei Mitarbeiter einer Baufirma kamen damals ums Leben, 22 Menschen wurden verletzt. Zudem entstand ein Millionenschaden. Ein hessisches Unternehmen sollte im Auftrag der Kasseler Firma Gascade eine Gasleitung freilegen.
Eine im März dieses Jahres gestartete Versuchsreihe soll Aufschluss darüber geben, ob es auch bei "umsichtigem" Arbeiten zu dem Oppauer Unglück gekommen wäre, so Ströber. Nur so könne geprüft werden, ob Verantwortliche der Pipeline-Betreiberin und einer Baufirma pflichtwidrig gehandelt hätten. Zunächst gingen die Ermittler davon aus, dass beim Freilegen der Leitung die Sorgfaltspflichten verletzt wurden. Deshalb wurde ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Mitarbeiter der Pipeline-Betreiberin sowie den Bauleiter und den Polier der Baufirma eingeleitet. Der Gutachter gehe dagegen davon aus, dass die dünnen Stellen an der Leitung durch Korrosion entstanden seien. Diese sei vermutlich darauf zurückzuführen, dass früher Öl durch die Pipeline geflossen ist.
"Beide Verfahren sind extrem aufwendig und kompliziert", sagt Ströber. Möglicherweise schlössen sich an die Gutachten weitere an. "Denn wir haben hier, anders als etwa bei Verkehrsunfällen, keine Erfahrungswerte, die wir zugrunde legen könnten", ergänzt der Staatsanwalt. Manchmal stoße man auch an die "Grenzen der Beweisbarkeit". Definitiv nicht abziehen werde die Behörde den Experten im BASF-Fall, auch wenn es noch sehr lange dauert - "der Mann war von Anfang an dabei". (alb)
Als Werkfeuerwehrleute einen Wasserwerfer aufbauen wollten, um die Rohre zu kühlen, kam es zur Explosion. Sie entstand vermutlich in der Ethylen-Ferngasleitung, die etwa einen Meter neben dem Rohr für "Raffinat I+II" verlief. Das Stahlrohr mit der ein Zentimeter dicken Stahlwand barst, beide Enden schlugen Richtung Hafen, wo die Wehrleute standen.
Zwei von ihnen starben noch am Unfallort, ebenso der Matrose eines Tankschiffes. Ein dritter Feuerwehrmann starb zwölf Tage nach dem Unglück, ein vierter fast elf Monate später. Über dem Brand am Unglücksort stieg eine riesige Rauchsäule auf. Anwohner wurden aufgefordert, Fenster und Türen geschlossen zu halten. Auch der mutmaßliche Verursacher (siehe weiteren Artikel) wurde schwer verletzt.
Für den Chemiekonzern begann eine Zeit der Trauer, aber auch der Kritik. Die Explosion war der schwerste Vorfall in einer Serie von Pannen. Der hohe Vertrauensvorschuss, den die BASF sich erarbeitet habe, sei "zumindest in Teilen durchaus erschüttert", sagte der Ludwigshafener Feuerwehrdezernent Dieter Feid (SPD). Unternehmenschef Kurt Bock wies Spekulationen zurück, dass zu Lasten der Sicherheit gespart worden sei. Werksleiter Uwe Liebelt betonte, dass bei der Auswahl von Fremdfirmen "sehr hohe Standards" gelten. Man werde die Anstrengungen beim Thema Sicherheit aber "nochmals steigern". BASF und Stadt organisierten zudem zwei Bürgerdialoge.
Bock musste sich aber auch gegen Vorwürfe wehren, weil er bei zwei Pressekonferenzen im Anschluss an das Unglück nicht auftauchte, sondern Liebelt und seiner Vorstandskollegin Margret Suckale das Feld überließ. Zehn Tage nach der Explosion zeigte sich der BASF-Chef öffentlich bei einer Quartals-Pressekonferenz. Und kämpfte mit den Tränen, als er mit brüchiger Stimme sagte: "Ich weiß nicht, ob Sie abschätzen können, was das für unser Unternehmen bedeutet." Bock argumentierte, er sei zunächst intern gebraucht worden. Beim RNZ-Forum Ende April präzisierte der Wahl-Heidelberger, er habe bei den Mitarbeitern, Feuerwehrleuten und Familien sein wollen und im Krisenstab gewirkt. Und: "Ich hatte die Trauer im Unternehmen, musste aber auch schauen, dass der Laden läuft."
Inzwischen ist im Nordhafen, wo umfangreiche Reparaturen anstanden, nach Angaben einer BASF-Sprecherin der Normalbetrieb "fast vollständig wiederhergestellt". Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben auch Lehren aus dem Unglück gezogen. Eine verbesserte Kennzeichnungsmethode soll helfen, das Risiko von Verwechslungen bei Arbeiten an Rohrleitungen weiter zu senken.
Bei Schneidearbeiten sollen nur noch funkenarme Werkzeuge verwendet werden. Und das Explosionsrisiko bei überirdischen Leitungen soll unter anderem mit einer feuerbeständigen Beschichtung verringert werden. Eigene in Auftrag gegebene Gutachten zur Sicherheitstechnik hätten keine Defizite ergeben, sagte die Sprecherin.
Nach Angaben der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie prüft die BASF bei der Vergabe von Aufträgen an Fremdfirmen inzwischen noch genauer, ob die Anforderungen erfüllt werden. Man begrüße das, sagte der Vize-Leiter des IG BCE-Bezirks Ludwigshafen, Steffen Seuthe.
Verstärkte Anstrengungen scheinen auch nötig, um Vertrauen zurückzugewinnen. Nach den Pannen sei die Bevölkerung "schon etwas misstrauischer geworden", sagt Scheuermann. Es gebe auch die Angst, dass wieder etwas passieren könne. Zwar wüssten die Menschen eigentlich um das Gefahrenpotenzial, immerhin seien sie damit aufgewachsen. Aber es gehe darum, dass seitens der BASF alles Mögliche getan werden müsse, um solche Vorfälle zu vermeiden.
Die Werkfeuerwehr würde immer noch mit den Folgen des Unglücks konfrontiert, sagte ihr ehemaliger Leiter Rolf Haselhorst Mitte Februar der RNZ. "Das ist keine Sache, die man mit einer Kurzzeitmaßnahme in den Griff bekommt." Noch sind die Wunden nicht verheilt.