Am 31. Oktober 1989 stehen Oliver (l.) und Sören Cors in der Berliner Bouchéstraße, die Mauer ist deutlich zu sehen. Ein Jahr später, am 2. November 1990. ist sie bereits Geschichte. Fotos: zg
Von Stefan Hagen
Brühl/Berlin. Manchmal sagen Bilder mehr als tausend Worte. Das trifft ganz sicher auf die beiden Fotos zu, die Irmgard Cors aus Brühl vor nunmehr 30 Jahren aufgenommen hat. Zu sehen sind ihre Söhne Oliver und Sören in der West-Berliner Bouchéstraße vor dem Haus einer Freundin der Familie – einmal mit Mauer am 31. Oktober 1989, dann ein Jahr später am 2. November 1990 ohne Mauer. Zwei Zeitzeugnisse als Symbol für die Deutsche Einheit.
Damals, erzählt Irmgard Cors, habe man ihrer Freundin die Mauer quasi direkt vors Fenster gebaut. Der Gehweg vor dem Haus habe schon zu Ost-Berlin gehört. "Den hat man dann den ,Westlern’ gnädigerweise geschenkt, damit sie überhaupt noch aus ihrem Haus kamen", sagt die Brühlerin.
Das sei für die Menschen natürlich eine Tragödie gewesen, schließlich habe es Freundschaften zwischen Berlinern auf beiden Seiten der Straße gegeben. Gleich nach dem Mauerbau sei im Nachbarhaus ihrer Freundin eine Hochzeit gefeiert worden. "Die eingeladenen Freunde von der Ostseite konnten nun nicht mehr kommen", berichtet Cors. Deshalb habe man die Braut kurzerhand so weit hochgehoben, dass sie auch auf der Ostseite der Mauer zu sehen gewesen sei.
Am 31. Oktober 1989 stehen Oliver (l.) und Sören Cors in der Berliner Bouchéstraße, die Mauer ist deutlich zu sehen. Ein Jahr später, am 2. November 1990. ist sie bereits Geschichte. Fotos: zgIhre fünfköpfige Familie habe 1958 – in Etappen – von einem Tag auf den anderen, nur mit doppelter Kleidung, der DDR den Rücken gekehrt. "Wir sind nach Westberlin geflohen", erinnert sich die Brühlerin. Man habe so handeln müssen, "weil sonst mein Vater verhaftet worden wäre, weil er nicht in die damalige Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft eintreten wollte". Sie kenne einen Fall, bei dem der Landwirt in Handschellen "freiwillig" den Vertrag zum Eintritt in die LPG unterschrieben habe. "Wir hatten eine Landwirtschaft nördlich von Berlin, etwa 2,5 Kilometer von der Stadtgrenze entfernt. Wir haben für die Freiheit alles im Stich gelassen, und das war gut so", betont Irmgard Cors.
Sie sei damals schon in West-Berlin in eine Handelsschule gegangen. "Viele Kinder und Jugendliche aus dem Osten gingen bis zum Mauerbau zum Lernen nach West-Berlin in Schulen", erläutert die Zeitzeugin. Sie sei vor der ersten Schulstunde lediglich "Kannst du jeden Tag kommen?" gefragt worden.
"Aus dem Schulbesuch in West-Berlin wollte man meinem Vater dann einen Strick drehen, obwohl mit den Schulbehörden in der DDR alles geregelt war", berichtet die RNZ-Leserin. Man habe damit seinen Eintritt in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft erpressen wollen. Auch das sei ein Fluchtgrund gewesen. In den Jahren danach seien die Familienmitglieder in den Augen der DDR Republikflüchtlinge, also Verbrecher, gewesen. Später habe es dann aber eine Amnestie gegeben. "Wer die DDR vor dem Mauerbau verlassen hatte, wurde nun nicht mehr strafrechtlich verfolgt", erläutert Cors.
Sie konnte nun also die alte Heimat wieder besuchen und ging dieses "Wagnis" 1966 das erste Mal ein. Es folgten mit den Jahren zahlreiche weitere Besuche bei der Verwandtschaft. In den Herbstferien 1989 war Irmgard Cors mit ihren Söhnen wieder einmal in Berlin, im Rahmen dieses Besuchs entstand auch das Foto mit Mauer in der Bouchéstraße. Auf dem Programm stand damals auch ein Ausflug in den Osten der noch geteilten Stadt. "Am 2. November 1989 gingen wir mit einem Tagesvisum inklusive dem obligatorischen Umtausch von 25 D-Mark pro Person in Ost-Mark über die Grenze. Ich zeigte meinen Söhnen unter anderem, wie die Mauer von der anderen Seite aussah", erzählt die Brühlerin.
Eine Woche nach diesem Ausflug, am 9. November 1989, wurde die Mauer geöffnet. Beim nächsten Besuch in der heutigen Bundeshauptstadt in den Herbstferien 1990 war die Mauer in der Bouchéstraße bereits Geschichte ...