Der „Mannheimer Hof“ wurde zum Treffpunkt des Mannheimer Rotary Clubs. Noch heute residiert hier ein Hotel. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1930. Foto: Marchivum
Von Heike Warlich-Zink
Mannheim. "Wie gehen wir eigentlich damit um, wenn amerikanische Freunde uns fragen, ob wir wüssten, dass ihre Großväter vor den Nazis ausgewandert sind? Oder ein israelitischer Freund uns vom Tod seines Vaters im Holocaust erzählt, und sie uns fragen, was wissen wir darüber?", schrieb der Autor Kurt-Jürgen Maaß 2015 im Rotary Magazin und verband seine Frage mit dem Aufruf, "endlich eine Studie vorzulegen, die Rotarys Vergangenheit zwischen 1933 und 1937 aufarbeitet". In Mannheim haben sich Marchivum-Leiter Ulrich Nieß und Karen Strobel, verantwortlich für das NS-Dokumentationszentrum des Marchivums, auf Spurensuche begeben. Die Publikation "Freundschaft unter Druck. Zur Geschichte des Rotary Clubs Mannheim (1930–1950) und seiner Gründungsmitglieder" ist in der Schriftenreihe des Marchivum erschienen.
Im Mittelpunkt stehen 56 Kurzbiografien der Mannheimer die zwischen 1930 und 1937 dem Club angehörten. Lebensläufe, die nach 1933 teils sehr dramatisch verliefen: Ludwig Fuld, Direktor der Deutschen Bank und Club-Schatzmeister, wurde aus der Bank verdrängt und musste die Plünderung seiner Wohnung in der Reichspogromnacht erleben. Eine Demütigung, die er nicht überwinden konnte. Er nahm sich am 27. Dezember 1938 das Leben. Der jüdische Tabakfabrikant Erich Karl Siegmund Mayer und seine "arische" Frau begingen am 18. April 1942 Selbstmord, nachdem er den Deportationsbescheid erhalten hatte.
Während in den USA, wo Rotary 1905 seinen Anfang nahm, auch zahlreiche Landwirte und Handwerker in den Clubs vertreten waren, stammten laut Nieß in den deutschen Clubs die meisten Rotarier aus dem Groß- und Bildungsbürgertum. Auch in Mannheim seien es bekannte Persönlichkeiten gewesen, die Oberbürgermeister Hermann Heimerich gewinnen konnte.
Am 28. Juni 1930 zählten im Palasthotel "Mannheimer Hof" in der Augusta-Anlage bekannte Unternehmer wie Otto Freudenberg oder Wilhelm Voegele zu den 30 Gründungsmitgliedern. Zum Präsident wurde der Direktor der Rheinischen Hypothekenbank, Eduard von Nicolai, gewählt. Wenig später stießen Kunsthallendirektor Gustav Hartlaub, der Generalintendant des Nationaltheaters, Herbert Maisch, oder Stadtsyndikus Fritz Cahn-Garnier zum Club.
Überparteilich und überkonfessionell bejahten die Rotarier der ersten Stunde laut Ulrich Nieß eindeutig die demokratische Grundordnung der Weimarer Republik. Relativ viele Clubmitglieder gehörten der jüdischen Religion an oder hatten eine jüdische Ehepartnerin. Andere Mitglieder gerieten wegen ihrer politischen Gesinnung unter Druck: Der Sozialdemokrat Hermann Heimerich wurde im März 1933 als Oberbürgermeister aus dem Amt gedrängt, vorübergehend in Schutzhaft genommen und ebenso wie viele seiner politischen Weggefährten von den Nazis verfolgt.
Die Mannheimer Rotarier überlegten 1933, ihren Club aufzulösen, um eine offizielle Trennung von ihren jüdischen Mitgliedern zu umgehen. Das stieß jedoch auf höherer Ebene, beim sogenannten Governorrat in Deutschland sowie bei Rotary International, auf Widerstand. Und so bat wenig später der Vorstand um Präsident Walter Raymond, Chef der Süddeutschen Kabelwerke Mannheim, die jüdischen Mitglieder, den Club freiwillig zu verlassen. "Dies kam aber letztlich einem Verrat am rotarischen Freundschaftsgedanken gleich", sagt Nieß. Zwei jüdische Mitglieder hätten sich dem widersetzt, worauf der Club offiziell für aufgelöst erklärt wurde – um ihn ohne die früheren jüdischen Mitglieder umgehend wieder neu zu gründen.
"Grundsätzlich versuchten die deutschen Clubs, die Ziele Rotarys mit denen des NS-Staats zu verknüpfen, um ihre Daseinsberechtigung zu legitimieren und um zu belegen, dass sich Rotary und das ,neue Deutschland’ nicht ausschließen, sondern vielmehr einander ergänzen würden", heißt es im Buch. Eine Selbsttäuschung.
Die Machthaber hatten nichts mit Rotary und dem Gedanken von Völkerverständigung am Hut. 1937 verboten sie die Doppelmitgliedschaft von NSDAP und Rotary. Daraufhin lösten sich alle deutschen Clubs auf. Die Versuche, sich den neuen Verhältnissen anzupassen und diese mitzugestalten, gingen letztlich doch nicht einher mit den eigenen weltoffenen Wertvorstellungen. "Historisch betrachtet war das Verhalten falsch", bilanziert Ulrich Nieß. Doch man müsse den Clubs zugutehalten, dass sie 1933 noch nicht das Ausmaß der Entwicklung hätten vorher sehen können. Was jedoch der historischen Betrachtung nicht standhalte, sei, dass die Selbstauflösung lange Zeit als Zeichen für Widerstand gegenüber dem NS-Regime dargestellt wurde.
Info: Das reich bebilderte Buch ist unter der ISBN 978-3-9821329-2-1 im Buchhandel oder im Online-Shop des Marchivum erhältlich.