Von Noemi Girgla
Heidelberg. Wenn das Stichwort Archäologie fällt, haben viele direkt einen jungen Harrison Ford in seiner Rolle als Indiana Jones vor Augen. Doch nicht nur in fernen Ländern warten Abenteuer auf einen Archäologen, und fernab der Leinwand hat wirklich noch nie ein X einen bedeutsamen Punkt markiert.
Dr. Polly Lohmann ist Archäologin und seit 2018 Kuratorin der Antikensammlung der Universität Heidelberg (hier der Link zu Instagram). Auch wenn sie tatsächlich viel gereist ist und an "klassischen" Ausgrabungen teilgenommen hat, stellte sie gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit am Institut für Klassische Archäologie und Byzantinische Archäologie der Universität Heidelberg fest, dass auch dort wahre Schätze auszugraben sind.
"In meiner ersten Woche als Kuratorin wurde ich in den Keller der Neuen Uni geschickt", erinnert sich Lohmann. Es hieß, dort fänden sich Stücke, die mit der Sammlung zu tun hätten. Worauf die frisch gebackene Kuratorin stieß, übertraf ihre Erwartungen. "Wie viele andere, die in Heidelberg studiert haben, hatte auch ich zahlreiche Vorlesungen in der Heuscheuer in der Nähe des Marstalls, wo das Archäologische Institut untergebracht ist", erzählt sie. "Dort hingen immer Gipsabgüsse, also Kopien eines römischen Monuments an den Wänden, aber wirklich beachtet hat sie, glaube ich, kaum ein Studierender."
Plötzlich stand Lohmann vor dem Ursprung dieser Ausstellungsstücke. "Im Keller der Neuen Uni lagerten 51 Gipsabgussformen, aus denen einst diese Kopien gefertigt wurden", berichtet sie. Um die Bestände zu sichten, verbrachte die Kuratorin mehrere Tage in "voller Montur", heißt: im Schutzanzug, in dem Lagerraum. "Vieles, das sich in den Beständen befindet, ist bis heute nicht systematisch erfasst und erforscht", erklärt die 33-Jährige. Genau das sei dann die Aufgabe der Kuratoren – und Lohmann hatte eine Aufgabe gefunden, die sie zwei Jahre beschäftigen sollte.
"Die Formen und Abgüsse stammen vom sogenannten Tropaeum Traiani, einem römischen Siegesdenkmal in Adamklissi (Rumänien) und zeigen die Kriege zwischen den Römern und den lokalen Dakern, die damals in der Region lebten und sich gegen die römischen Eindringlinge zur Wehr setzten", berichtet die Archäologin. "Gipsabgüsse werden und wurden in aller Regel von ,Meisterwerken‘ der Antike genommen, um sie vor Ort in den jeweiligen Universitäten oder Museen studieren zu können", erläutert sie weiter. Dass die Abgüsse dieses eher abseitigen Denkmals ihren Weg nach Heidelberg fanden, sei jedoch einem Zufall geschuldet.
"Während des Ersten Weltkriegs war ein ehemaliger Mitarbeiter des Archäologischen Instituts der Universität Heidelberg, Harald Hofmann, als Hauptmann in Rumänien stationiert. Dort witterte er seine Chance, aus dem Krieg Nutzen zu ziehen", so Lohmann. Man habe nämlich angenommen, dass auf den Reliefs auch Germanen als Verbündete der Daker dargestellt seien. Das habe den Geist der Zeit getroffen, in dem nationalistische Vorstellungen und Forschungen auch in der Archäologie Einzug hielten. "Die ,Manpower‘ hatte man mit der deutschen Armee schließlich vor Ort", beschreibt die Wissenschaftlerin, wie man innerhalb kürzester Zeit die 200 bis 300 Kilogramm schweren Formen anfertigen konnte. "Danach wurde alles in zwei Eisenbahnwagons verladen und trat die Reise nach Deutschland an."
So schnell anfänglich alles ging, sollten die Abgüsse jedoch nach einer regelrechten Odyssee erst 1929 ihren Weg nach Heidelberg finden und dort weitere 30 Jahre auf dem Speicher der Universitätsbibliothek verbringen. "Weder Harald Hofmann, noch sein Vorgesetzter Friedrich von Duhn, der das Projekt begünstigt und organisiert hatte, sollten die Gelegenheit erhalten, an ,ihren Objekten‘ zu forschen", erzählt Lohmann. "Erst als die Universität Ende der 1960er-Jahre die Heuscheuer ankaufte, um dort Vorlesungssäle einzurichten, erinnerte man sich an die Abgüsse, die verstaubt auf dem Speicher lagen und installierte sie dort – relativ zusammenhangslos."
Gipsabgüsse in der Heidelberger Heuscheuer - die FotogalerieDie Sanierung der Heuscheuer und ihre Neueröffnung sieht die Kuratorin auch als eine neue Chance für die einst so dringend gewollten Gipsabgüsse. "Das ist eine tolle Möglichkeit, Altes neu zu präsentieren, und den Studierenden aktuelle museale Didaktik näherzubringen." Mit etwa 30 Studierenden arbeitete Lohmann die Objekte und Historie auf und erstellte ein völlig neues Konzept für die so stiefmütterlich behandelten Exponate. Heraus kamen neue Beschilderungen, ein digitales Programm und eine mobile Pop-up-Ausstellung. "Der Plan vor Corona war, die Ausstellung auf einer zweiwöchigen Exkursion durch Rumänien an verschiedenen Orten jeweils für einen Tag zu präsentieren und danach, in der dann fertigen Heuscheuer, digital und analog zu installieren." Doch das Virus macht sich bekanntlich nicht viel aus Plänen und die Exkursion musste verschoben werden.
"Dann stellen wir eben zuerst in der Heuscheuer aus, sobald diese wieder für die Öffentlichkeit freigegeben werden kann", zeigt sich Lohmann gelassen. "Die Abgüsse hängen dort bereits in neuer, diesmal dem Aufbau des Tropaeum Traiani folgender, Anordnung. Zehn Tage war ich mit der Restauratorin Ina Kleiß, mehreren Hilfskräften und den Arbeitern der Schlosserei Braun aus Bruchsal, die die schweren Abgüsse auf Stahlplatten montiert haben, auf der Baustelle zugange, bis alles hing."
Im Foyer der Heuscheuer steht bereits ein Touchscreen, auf dem ein von Dr. Jürgen Süß, dem Digital-Experten des Instituts, entworfenes 3D-Modell des Tropaeum Traiani, ein Drohnenflug über das Monument sowie seine Hintergrund- und Grabungsgeschichte abgerufen werden kann. "Dann fahren wir eben 2021 nach Rumänien", meint Lohmann, "fertig ist alles. Wir müssen es nur einpacken und können los, sobald das wieder möglich ist." Eigentlich sei diese Reihenfolge sogar authentischer, resümiert die Kuratorin. "So können wir den Weg der Abgüsse von Heidelberg bis nach Adamklissi in allen originalen Etappen zurückwandern."
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