Von Denis Schnur
Heidelberg. Still ist es am Freitagmittag im Untergeschoss der Medizinischen Klinik im Neuenheimer Feld. Wer durch den Eingang auf der "Ebene 99" in die dortige Infektionsnotaufnahme blickt, sieht leere Stühle, die weit auseinander im Foyer verteilt sind, und einen Anmeldeschalter hinter rot-weißem Flatterband. Aber Patienten sieht man nicht. "Es ist wenig bis gar nichts los im Moment", bestätigt Oberarzt Michael Preusch – "glücklicherweise".
"Neue Normalität" am Heidelberger Uniklinikum
Redaktion: Denis Schnur / Kamera und Produktion: Caroline Schmüser
Denn die von vielen befürchtete Überforderung des deutschen Gesundheitssystems – und damit wohl auch des Heidelberger Uniklinikums – ist bislang ausgeblieben. Die vergleichsweise wenigen Covid-19-Patienten, die hier versorgt wurden, beanspruchten nie mehr als zehn Prozent der Intensivbetten – und 50 Prozent davon hat die Klinik wegen der Pandemie vorgehalten. Seitdem ist die Zahl der positiv Getesteten jedoch weiter gesunken: "Gestern gab es bei 250 Tests nur einen Erstnachweis", erklärt Prof. Ingo Autenrieth, der neue Ärztliche Direktor des Klinikums, am Freitag. "Das zeigt, dass die rigorosen Maßnahmen greifen."
Doch nicht nur in der extra eingerichteten Infektionsnotaufnahme, sondern auch im Rest der Klinik ist es derzeit ungewohnt ruhig. Besuch ist kaum zugelassen, nur gelegentlich sieht man Mitarbeiterinnen mit Schutzmasken durch die Gänge laufen. Und auch Patienten sieht man selten. Normalerweise sind im Schnitt 1600 der knapp 2000 Betten im Klinikum belegt, aktuell sind es nur etwa 1100.
Doch während sich die Ärztinnen und Ärzte bei der Infektionsnotaufnahme darüber freuen, macht ihnen das im Rest der Uniklinik große Sorgen: "Das ist eine Katastrophe", betont Prof. Hugo Katus, der Leiter der Medizinischen Klinik. Die Patienten bleiben nämlich nicht nur weg, weil ihre Behandlung verschoben wurde, sondern auch, weil sie Angst haben, sie könnten sich in der Klinik mit dem Coronavirus infizieren. Deshalb seien etwa in der letzten Märzwoche 50 Prozent weniger Menschen mit Verdacht auf Herzinfarkt gekommen.
Die Angst vor der Infektion sei schon jetzt "völlig falsch", so Katus. Schließlich werden die Corona-Patienten innerhalb des Klinikums isoliert behandelt, die Wege kreuzen sich nie mit denen der "normalen" Patienten. Und doch sind diese Sorgen neben der Entspannung der Pandemie-Lage ein Grund für das Uniklinikum, für Anfang Mai die "neue Normalität" auszurufen. "Das klingt vielleicht etwas pathetisch", erklärt Kliniksprecherin Doris Rübsam-Brodkorb, "aber es heißt nur, dass wir wieder schrittweise in den Regelbetrieb kommen wollen."
Bilder, wie man sie aus China schon kennt: Bei allen Patienten, die derzeit das Klinikum betreten, wird zunächst Fieber gemessen.Regelbetrieb heißt: Das Uniklinikum bleibt die zentrale Einrichtung der Region im Kampf gegen das Coronavirus. Aber es nimmt auch seine anderen Aufgaben als Maximalversorger wieder wahr, gibt mehr Intensivbetten für andere schwerkranke Patienten frei, holt aufgeschobene Behandlungen und Operationen nach: "Wenn eine Behandlung verschoben wird, heißt das ja nicht, dass sie nicht notwendig ist", betont Katrin Erk, die neue Kaufmännische Direktorin. Viele Menschen lebten seit Wochen mit Schmerzen und Unsicherheit, weil sie nicht behandelt wurden. Diesen Menschen will die Klinik nun wieder verstärkt helfen – "sofern die Bundesregierung das nochmal bestätigt".
Und doch soll der vom Klinik-Vorstand ausgerufene neue Normalzustand auch deutlich machen, dass es kein Zurück zur Vor-Corona-Zeit sein kann. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir lange mit dem Virus leben werden", so Oberarzt Preusch. Und das heißt, dass das Uniklinikum – neben den ohnehin geltenden Hygieneregeln – strikte Maßnahmen ergriffen hat, um Ansteckungen zu vermeiden.
Wenn bei einem Patient der Verdacht besteht, dass er mit dem Coronavirus infiziert ist, muss er in die spezielle Notaufnahme. Die strikte Trennung von den anderen Patienten soll im Uniklinikum dabei helfen, den Regelbetrieb wieder aufzunehmen. Fotos: Philipp RotheBemerkbar macht sich das zum Beispiel am Haupteingang der Medizinischen Klinik, den weiter alle Patienten nutzen, die nicht wegen Verdacht auf eine Corona-Infektion kommen. Auch sie werden ausnahmslos vom Pförtner abgefangen. Wer keinen eigenen Mundschutz hat, bekommt einen ausgehändigt. Niemand darf die Klinik ohne betreten. Im Anschluss wartet ein Pfleger auf die Patienten und misst an der Stirn die Temperatur. Das Ergebnis und einen Fragebogen zu Kontakten mit Infizierten und dem körperlichen Befinden erhält der behandelnde Arzt. Er entscheidet dann, ob ein Corona-Test gemacht wird.
"All diese Maßnahmen zielen darauf ab, einen Normalbetrieb mit möglichst großer Sicherheit zu gewährleisten", betont Direktorin Erk. Ein Normalbetrieb, in dem hoffentlich auch bald wieder so viele Patienten wie üblich kommen.
Update: 24. April 2020, 19.50 Uhr
Heidelberg. (dpa) Mund-Nasen-Schutz und Fiebermessen schon an der Pforte sowie eine strenge Trennung von Patienten mit COVID-19-Verdacht von anderen Patienten - das sind nur einige Sicherheitsmaßnahmen, mit denen das Universitätsklinikum Heidelberg in Corona-Zeiten wieder zu einer neuen Normalität finden will. Aufgeschobene Operationen sollten nun "langsam wieder durchgeführt werden können", sagte die Kaufmännische Direktorin Katrin Erk am Freitag. Mit dem Corona-Virus infizierte Patienten würden weiterhin bestmöglich versorgt. Gleichzeitig soll es aber auch wieder mehr Betten für andere schwerkranke Patienten geben.
Hintergrund seien abnehmende Infektionszahlen im Rhein-Neckar-Raum. Seit der Aufnahme des ersten COVID-19-Patienten Ende Februar seien am Uni-Klinikum rund 130 Patienten mit einer Corona-Virus-Infektion stationär behandelt worden. Insgesamt habe es in den vergangenen Wochen im Schnitt zeitgleich 20 bis 30 COVID-19-Intensiv-Patienten gegeben, für die etwa zehn Prozent der Intensivbetten gebraucht wurde. Damit habe es bislang stets genug freie Kapazitäten gegeben.
Aus Angst vor Ansteckung mit dem Corona-Virus blieben der Klinikleitung zufolge andere Patienten fern. So sei bei der Abklärung und Behandlung von Schlaganfällen die Zahl der Patienten um rund 20 Prozent gesunken. Bei Brustschmerzen, die etwa auf einen Herzinfarkt hindeuten können, sank die Zahl um mehr als 50 Prozent. Der Appell "Bleiben Sie zuhause" sei für Gesunde völlig richtig, so die Klinik. Für Menschen mit schweren Erkrankungen gelte jedoch, dass Zeit Leben rettet. Bei Symptomen eines Herzinfarkts oder eines Schlaganfalls, nach einem Unfall, bei psychischen Krisen oder einer Krebserkrankung müssten Menschen schnell einen Arzt oder das Krankenhaus aufsuchen.