Von Ingrid Thoms-Hoffmann
Heidelberg. Welch ein vergnüglicher Abend. Bühnenreif! Der Alte Theatersaal als passender Rahmen, ein einfühlsamer Regisseur, Darsteller zum Knutschen und ein Publikum im ausgebuchten Haus, wie man es sich nur wünschen kann. Es wurde gelacht und geklatscht und am Ende hatte man einiges dazu gelernt: Über eine ungewöhnliche, sehr sympathische Familie, über die Herausforderung, ein Luxushotel zu betreiben, über schwierige Hotelgäste, extravagante Wünsche, erstklassigen Service und maximale Verschwiegenheit.
RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel hatte wieder zu seiner beliebten Reihe "RNZ-Forum" eingeladen. Dieses Mal mit den Kretschmännern, eigentlich Kretschfrauen. Denn Mutter Sylvia von Kretschmann mit Tochter Caroline beherrschten eindeutig den Abend, gestanden allerdings Ehemann und Vater Ernst-Friedrich von Kretschmann das Privileg zu: "Er ist der Chef". Was diese Familie eint: Die Leidenschaft und die Liebe zu "ihrem" Hotel, dem "Europäischen Hof". In der vierten Generation in Familienbesitz und in der Hoffnung, dass es auch eine fünfte geben wird, die sich um das Wohl der Gäste aus dem In- und Ausland kümmern wird.
Wer glaubte, alles über den "Europäischen Hof" zu wissen, schließlich wurde schon Unzähliges über ihn und die Familie publiziert, der sah sich aufs Angenehmste überrascht. Es sind immer wieder die kleinen Schmankerln, die das Publikum liebt. Klaus Welzel schaffte es – trotz aller Diskretion – den Dreien einiges zu entlocken, was noch nie an die Öffentlichkeit drang.
Wer wusste schon, dass nach dem Besuch der "Rolling Stones" die Zimmer ein "kleines bisschen renoviert werden mussten", dass es Sylvia von Kretschmann fast übel wurde, als sie die Zimmer betrat, in denen die Lampen mit bunten Tüchern abgehängt waren und es nach "Kokain und Räucherstäbchen" stank (sie meinte wohl Marihuana)? Weshalb sie aus dem "Nähkästchen" plauderte? "Weil die Herren ja mittlerweile ja auch anders geworden sind". Kann sein, dass sie sich irrt.
Heute sind es ja eher die "braven" Stars, die im "Europäischen Hof" übernachten. Wie der Barde Ed Sheeran, dessen Revoluzzertum sich in seiner schwarz-weißen Hose manifestierte – die bei den anderen Hotelgästen eher Mitleid erregte, weil sie dachten, er sei mit seiner "Schlafhose" aus dem Bett geworfen worden.
Dass die Klitschkos mehrfach im einzigen Fünf-Sterne-Hotel in der Region residierten, das wissen die meisten. Und auch, dass für Wladimir Klitschko ein eigener Boxring aufgestellt wurde, damit er sich auf seinen Kampf gegen Chris Byrd in der SAP vorbereiten konnte. Er gewann im April 2006 in der Überzeugung, dass sein Lieblingshotel, auch sein "Glücksbringer"sei. Was aber niemand wusste: Auch Byrd, der eine andere Unterkunft hatte, wollte in den "Europäischen Hof" umziehen. Die Kretschmanns machten es möglich, zwar mit ein bisschen Bauchgrimmen, man weiß ja nie, wenn zwei Schwergewichte aufeinandertreffen … Aber es ging alles gut. Und wie reagieren die feinen Gäste, die den schweißtriefenden Klitschko durch die Gänge stapfen sehen, wollte Klaus Welzel wissen? "Die finden es spannend neben solchen Promis zu wohnen", sagt Sylvia von Kretschmann.
An prominenten Gästen mangelte und mangelt es Heidelbergs "Erstem Haus am Platz" nie. Meist, und das betont Sylvia von Kretschmann, sind sie unproblematisch: "Es ist eher die zweite Garde, diejenigen, die Weltstars sein wollen". Auch die Verwüstung der Zimmer hält sich in Grenzen. Dass Dinge kaputt gehen, das kann passieren. Zahlen müssen die Gäste nur, wenn sie mutwillig zerstören. Dass immer wieder Einrichtungsgegenstände verschwinden, gehört zum Hotel-Alltag. Angefangen von Bademänteln, über Lampen, Bilder oder Besteck. Wenn die Kretschmanns Glück haben, dann überkommt manch einen Langfinger nach Jahren das schlechte Gewissen und er schickt das Gestohlene zurück. Wenn dann wieder silbernes Besteck in einer großen Kiste aus Amerika auftaucht, ist die Überraschung groß. Aber auch, wenn im Antiquariat jene wertvollen Stiche zum Kauf angeboten werden, die Wochen vorher im Hotel von den Wänden abgehängt wurden.
Schlimmer sind die üblen Erpressungsversuche nach dem Motto: Wenn ich keinen deutlichen Preisnachlass bekomme, dann werde ich eine schlechte Beurteilung im Internet veröffentlichen. Im Zeitalter der Digitalisierung ist selbst der "Europäische Hof" darauf angewiesen. Auch wenn Caroline von Kretschmann versichert: "Bei uns können die potenziellen Gäste immer auf unserer Homepage buchen, ein Fax schicken oder anrufen, da sitzen echte Menschen am Telefon, die Wünsche entgegennehmen". Was das Publikum so nebenbei lernte: Für Buchungen über Plattformen wie booking.com, müssen die Hotelbesitzer richtig Geld lassen. Bis zu 30 Prozent.
Überhaupt das Geld – ein schwieriges Kapitel. Geld, so die Familie unisono, ist mit einem Grandhotel nicht zu verdienen. Wenn am Ende des Jahres eine "schwarze Null" steht, dann kann man sich glücklich schätzen. Was den "Europäischen Hof" über Wasser hält, das ist eine Querfinanzierung durch die Vermietungen und Verpachtungen – und die ausländischen Gäste, vor allem die arabischen Medizin-Touristen: "Ohne sie, würden wir nicht überleben", sagt Caroline von Kretschmann. Sorgen bereitet Caroline die Auslastung von 50 bis 52 Prozent. Sie könnte deutlich höher sein. Woran das liegt? Zwar ist Heidelberg ein Touristenmagnet, aber die 11 Millionen Besucher jährlich, sind hauptsächlich Tagestouristen. Geschäftsleuten wurde das Spesenkonto zusammengestrichen, Nobel-Läden fehlen fast gänzlich. Immerhin gibt es Festivals wie "Heidelberger Frühling" oder "Enjoy Jazz" und auch das DAI mit seinen prominenten Rednern hilft bei der Bettenauslastung. Aber das reicht nicht. "Wir hoffen, dass die Chinesen bald kommen". Mit was der "Europäische Hof" punkten kann, das ist die familiäre Atmosphäre, der erstklassige Service, und es ist die feste Überzeugung, dass alle Gäste, ob arabischer Potentat oder Bodyguard gleich zu behandeln ist.
Es gäbe noch so Vieles zu berichten. So erzählte Klaus Welzel, dass er einst im Foyer Wladimir Putin kennenlernte, damals noch KGB-Chef in der DDR. Er verzichtet auf ein Gespräch, weil er nicht wusste, dass Putin perfekt Deutsch beherrschte. Oder wie er als Jugendlicher von seinen Eltern in das Edel-Restaurant "Kurfürstenstube" gezwungen wurde und glatt vom Restaurantleiter einen Rüffel kassierte, weil die Haare über den Kragen reichten. Diese Zeiten sind längst vorbei. Viel zu schnell war auch dieser Abend vorbei. Nach eineinhalb Stunden fiel der Vorhang. Großer Applaus für die vier Protagonisten.