Spektakelmacher Kresnik ist wieder da

Johann Kresnik zeigt im Heidelberger Opernzelt seine Produktion von Christoph Klimkes "Sammlung Prinzhorn".

20.02.2012 UPDATE: 20.02.2012 09:00 Uhr 2 Minuten, 11 Sekunden
Von Volker Oesterreich

Er ist eine sympathische Krawallschachtel, dieser Johann Kresnik. In Heidelberg ist man geneigt, seinen Werdegang durch die rosarot getönte Brille der Nostalgie zu betrachten, weil es der Spektakelmacher so schön verstanden hat, das Publikum während seiner hiesigen Schaffensperiode von 1979 bis 1989 aus der Reserve zu locken. Seinem choreografischen Theater haften seitdem die Etiketten "provokativ" und "polarisierend" an.

Nun ist das 72-jährige Enfant terrible nach mehr als 20 Jahren an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt. Entsprechend angeheizt die Atmosphäre im Heidelberger Opernzelt bei Kresniks Produktion von Christoph Klimkes Auftragsarbeit "Sammlung Prinzhorn" über den Heidelberger Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn, der in den 1920er Jahren mit seiner Sammlung von Werken psychisch Kranker Pionierarbeit leistete und das Standardwerk "Bildnerei der Geisteskranken" schuf - ein Buch, das sich rasch zur "Bibel der Surrealisten" entwickelte.

Vor Vorstellungsbeginn liegt ein Hauch von Sensation in der Luft. Schon auf dem Parkplatz verbreitet sich die Kunde, es werde bis zu 115 Dezibel laut werden. Außerdem gebe es, wie bei Kresnik üblich, viel nackte Haut zu sehen: von Alten und Jungen, Männlein und Weiblein, Dicken und Dünnen. Beide Prophezeiungen werden erfüllt. Und wie! Augen, Ohren, Grips und Gefühl werden knapp zwei pausenlose Stunden lang sinnlich attackiert. Nur die Nase wird diesmal verschont. Bei früheren Kresnik-Produktionen stank es auch schon mal nach verbranntem Fleisch.

Schauspieler, Tänzer und Musiker sind stark gefordert. James Reynolds hat ihnen einen Soundtrack beschert, der sich mal mit schrillen, dissonanten Klängen ins Nervenkostüm sägt, der stellenweise wagnert, Rummelplatzgefühle evoziert oder in Schellackatmosphäre die Zeit der großen, tanzbeinschwingenden Revuen der Golden Twenties heraufbeschwört.

Hans Prinzhorn, der in äußerster nervlicher Anspannung von Andreas Seifert gespielt wird, starb 1933 im Alter von nur 47 Jahren an den Folgen einer Typhuserkrankung in einem Münchner Krankenhaus. Am Scheideweg zwischen Leben und Tod, zwischen den Aufbrüchen der Weimarer Zeit und den Vorahnungen auf den NS-Terror blickt er vom Krankenbett aus zurück auf sein Leben.

Christoph Klimke hat dem Ensemble ein schwieriges, teils auch sperriges Textkonstrukt in den Mund gelegt, collagiert aus biografischen Protokollen, kurzen Dialogszenen, wissenschaftsprosagesättigten Zitaten aus Prinzhorns Hauptwerk und Textproben von Psychatrie-Patienten aus der Prinzhorn-Sammlung. Letztere legen zwischen Dada, Surrealismus und düsteren Visionen die eigentümlichsten Seelenschattierungen der Figuren bloß. Dabei wird klar: Prinzhorn ist als Psychiater und Kunstexperte ein Gefangener seiner eigenen melancholisch-depressiven Gemütsverfassung. Deshalb wird er in einer Szene der teilweise auch karnevalesk travestierten Nummernrevue sogar in eine Zwangsjacke gesteckt.

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Rund zwei Dutzend Krankenhausbetten, ein Gitter im Vordergrund und der Rundhorizont aus rechteckigen Alufolien (Bühne: Marion Eisele) signalisieren, dass alle in einer geschlossenen Anstalt stecken. Die Grenzen zwischen "krank" und "normal", zwischen Genie und Wahnsinn sind aufgehoben. Von den Eltern missverstanden und seinen Frauen verlassen, klammert sich Prinzhorn an die Erforschung der Kunst seiner psychisch kranken "Meister". Sie geistern genauso um ihn herum wie frühere Weggefährten oder künftige NS-Schergen. Fieberfantasien über die als "Entartete Kunst" gebrandmarkte Avantgarde und die Euthanasieprogramme der NS-Medizin überschatten seine letzten Tage. Auf der knittrigen Alu-Rückwand flackern dazu in Großprojektion exemplarische Werke aus der Sammlung Prinzhorn auf.

16 Bilder einer bizarren Ausstellung werden von dem Gespann Kresnik/ Klimke zu einem Ganzen zusammengefügt. Ihr Aufwand ist beträchtlich. Viele kleine und kleinste Auftritte prägen sich ein, anderes verpufft im Radau und ausufernden Aktionismus. Zum Schlussapplaus versammelt sich eine halbe Hundertschaft auf der Bühne und lässt sich vom Publikum feiern. Kresnik genießt's sichtlich.

Info: RNZ-Kartenservice: 06221 / 519-1210

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