Von Birgit Sommer
Heidelberg. Mehr als 22 Jahre lang war Volker Ewerbeck (68) Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Orthopädie und später auch der Unfallchirurgie. Jetzt geht er in den Ruhestand und freut sich darauf, Tag und Zeit freier zu gestalten. "Meine fünf Kinder und fünf Enkel wollen mich endlich mal wieder sehen", sagt er. Zeit - das hatte der Chef der Orthopädie kaum. Im RNZ-Gespräch klingt das sogar noch ziemlich humorvoll: "Früher wusste ich: Was ich heute nicht schaffe, schaffe ich morgen auch nicht."
Herr Professor Ewerbeck, bei Ihrem Abschied haben Sie den "Spirit of Schlierbach" beschworen. Was ist das?
Das ist das, was viele Menschen, die in die Klinik kommen, schnell merken: Dass die Klinikatmosphäre fehlt, dass man nicht in ein Monster von Apparat kommt. Wir haben freundliche Mitarbeiter, die wissen, dass ein Patient in der Defensive ist.
Man hörte immer mal Beschwerden über stundenlange Aufenthalte in der Ambulanz. Oder auch über die Mitarbeiter in der Aufnahme. Ist das der Überforderung des Personals geschuldet? Die Ambulanz hat ja auch jährlich 20.000 unangemeldete Patienten zu versorgen.
Das ist in der Tat ein schwer lösbares Problem. Wir haben versucht, es mit Unternehmensberatung und Analysen in den Griff zu bekommen. Wir haben 30.000 angemeldete Patienten und dazu noch 20.000 unangemeldete, Unfälle ebenso wie Rückenschmerzen. Jeder wird von einem Arzt gründlich durchdiagnostiziert. Im Moment versuchen wir, angemeldete und unangemeldete Patienten räumlich zu trennen, um Unmut unter den Wartenden zu verhindern.
Schlierbach ist die größte orthopädische Universitätsklinik in Deutschland mit 6700 Operationsfällen im Jahr und eben sehr gefragt.
Andere Kliniken spezialisieren sich mehr. Bei uns finden Sie Expertise für alles, was Haltung und Bewegung betrifft.
Ist das sinnvoll?
Das fragen wir uns immer wieder. Zum Beispiel bei neuen Spezialitäten.
Gibt es zu wenige Orthopäden und deshalb zu lange Wartezeiten?
Die Politik bemüht sich ja, zumindest im niedergelassenen Bereich eine schnellere Versorgung zu erreichen. Aber es ist auch bekannt, dass die Menschen nirgendwo auf der Welt so oft zum Arzt gehen wie in Deutschland.
Haben Sie da eine Lösung?
Das ist eine Frage, die das Gesundheitssystem als Ganzes angeht. Eine All-inclusive-Mentalität wird gern einmal wählerwirksam vermittelt. Ohne Eigenverantwortlichkeit versichert zu sein, ist der falsche Ansatz. Der Patient ist selbst mit verantwortlich dafür, zu schauen, ob etwa eine Erkältung von selbst wieder weggeht. Das ist eine Frage der Aufklärung. Es gibt also eine Menge zu tun.
Die Orthopädie nimmt sich besonders komplizierter Fälle an. Das hat man vor neun Jahren bei der TV-Sendung "Die Knochendocs" gesehen.
Das TV-Team hatte nicht nur besonders komplexe Fälle ausgesucht, sondern auch zum Beispiel einen Patienten, der ein künstliches Hüftgelenk bekam. In den Sendungen wurde der "Spirit of Schlierbach" damals meisterhaft eingefangen.
Zehrt die Klinik heute noch vom Image der Knochendocs?
Vielen Zuschauern wurde damals erst klar, was Orthopäden sind und was sie genau machen. Wir hatten einen riesigen Ansturm von Anfragen und mussten zeitweise ein Callcenter einrichten. Das Fernseh-Team sagte uns damals, der Hype dauere fünf Jahre, dann sei alles wieder vorbei. So war es.
Was sind die hauptsächlichen Diagnosen, die in der Klinik gestellt werden?
Verschleiß spielt eine große Rolle. Eine Antwort ist das Kunstgelenk - im Moment häufig die beste. Dann gibt es Verletzungen aller Art, die, wenn sie schwer sind, nach der Erstversorgung im Neuenheimer Feld zu uns verlegt werden. Oder Fehlbildungen bei Kleinkindern, Wirbelsäulenerkrankungen und ein großer Tumor-Bereich. Wir sind Teil des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen. Letztlich ist es also ein großes Spektrum.
Wie viele Mitarbeiter hat denn die Orthopädie?
Tausend, das entspricht 850 Vollkräften, davon 70 Ärzte im klinischen Bereich. In der Forschung arbeiten noch 40 bis 60 Kräfte.
Woran wird geforscht?
An vielem. Unter anderem geht es darum, bei Verschleißerkrankungen verloren gegangenes Gewebe zu ersetzen, etwa Knorpel. Oder wir forschen nach Ursachen: Wie entsteht Arthrose? Wenn wir das wissen, können wir sie dann verhindern? Aber das zeichnet sich bei Weitem noch nicht ab. Wir forschen auch in der Onkologie. Und wir betreiben Implantatforschung: Wann lockert sich ein künstliches Gelenk?
Wissen Sie das?
Ein großes Problem war der Abrieb. Mikroskopisch kleine Partikelchen reiben sich ab, wandern mit der Gelenkflüssigkeit in den Zwischenraum zwischen Implantat und Knochen und führen dort zur Knochenauflösung. Dann sitzt das Implantat nicht mehr fest. Heute verwendet man aber meist spezielle Kunststoff- und Keramik-Werkstoffe, bei denen es nahezu keinen Abrieb gibt. Neuerdings gibt man auch Vitamin E dazu, damit verbessert sich der Kunststoff noch weiter, wie man in Simulatoren festgestellt hat.
Wenn Sie Ihr Berufsleben überblicken: Was bleibt Ihnen da in bester Erinnerung?
Dass ich jeden Morgen gerne in die Klinik gegangen bin. Das hat mit der Art des Umgangs dort zu tun: offen, ehrlich und strukturiert. Ich habe immer gelernt, und als Wichtigstes dieses: Der von Ihnen angesprochene "Spirit" entsteht durch das Aufeinandertreffen von Professionalität, Leidenschaft und Anstand. Natürlich tut auch die Anerkennung von außen gut, zum Beispiel, dass wir gebeten wurden, den großen Jahreskongress der Orthopäden 2004 in Berlin auszurichten. Und was ich in richtig guter Erinnerung habe: Die Schlierbacher Orthopädie ist keine OP-Fabrik, sondern man kümmert sich um das Gesamtwohl. So entstand etwa der Skulpturenpark, und wir veranstalteten zehn Jahre lang Benefizkonzerte. Ein großes Ereignis war die Fusion mit dem Universitätsklinikum. Vorausgegangen war damals die drohende Insolvenz der Klinik wegen einer Finanzierungslücke bei der Altbausanierung. Doch die war notwendig. Wenn die Patienten die Zimmer mit bis zu acht Betten und Toilette auf dem Gang sahen, gingen sie wieder.
Irgendwann soll die Orthopädie ins Neuenheimer Feld ziehen, als letzte der Unikliniken. Wann wird das wohl sein?
Ich glaube nicht, dass das vor Ablauf von zehn Jahren geschieht. Die zweite Baustufe der Chirurgie, die es noch nicht gibt, wird wohl erst einmal als Ersatzgebäude bei der Sanierung der Kopfklinik gebraucht.
Mit der Orthopädie käme noch mehr Verkehr ins Neuenheimer Feld.
Das ist in der Tat ein Problem. Noch bleiben aber ein paar Jahre Zeit für eine Lösung. Grundsätzlich ist die Verlegung plausibel, wenn irgend möglich als Ganzes. Eine definitive Aufteilung auf verschiedene Standorte ist für das, was dieses Zentrum ausmacht, nicht förderlich. Auch in Zeiten der Informationstechnologie ist es gut, sich zwischendurch in die Augen zu sehen und nicht nur über Computer zu kommunizieren.