Margot Käßmann predigte gestern leidenschaftlich in der Heiliggeistkirche. Foto: Rothe
Von Anica Edinger
Heidelberg. Für die meisten Städte endete das Reformationsjubiläum im Oktober 2017. Nicht so in Heidelberg. Hier setzte die Evangelische Kirche noch einen drauf - und feierte nicht nur 500 Jahre Reformation, sondern auch noch "500 Jahre Heidelberger Disputation" (wir berichteten). Nach 19 Monaten Feierlichkeiten stand jetzt der letzte Höhepunkt an, wie die Dekanin der Evangelischen Kirche, Marlene Schwöbel-Hug, erklärte. Dafür konnten die Heidelberger Protestanten noch einmal einen echten Promi der Evangelischen Kirche in die Stadt locken: Beim Festgottesdienst zum Abschluss des Reformationsjubiläums sprach am Sonntag Prof. Margot Käßmann, von vielen gefeiert wegen ihrer klaren Positionen - gerade auch in politischen Fragen.
So kamen auch zum Festgottesdienst rund 1000 Menschen in die Heiliggeistkirche in der Altstadt. Kein Stuhl blieb leer, einige Gäste standen sogar, um den besten Blick zu erhaschen auf die Theologin, die seit 2012 "Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017" im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) war. Schließlich war es auch Käßmanns letzter öffentlicher Auftritt in dieser Funktion, bevor sie am 1. Mai in den Ruhestand geht. Daher bezeichnete es Schwöbel-Hug auch als "besondere Ehre", dass Käßmann noch einmal nach Heidelberg gereist sei. "Wir sind sehr, sehr dankbar", so die Dekanin.
Und tatsächlich: Die vielen Menschen in der Heiliggeistkirche wurden nicht enttäuscht. Käßmann hielt eine leidenschaftliche Predigt - ehrlich, zukunftsgewandt, witzig, vor allem aber klug. Ihr Thema: Die Kreuzestheologie, die Martin Luther in Heidelberg während der Disputation am 26. April 1518 entwickelte - und die eben viel mehr bedeute als "Kreuze in bayrischen Amtsstuben". Luther ging es dabei viel mehr um das Gottesverständnis. Er wandte sich damit auch gegen die Theologie der Herrlichkeit, die der Kirche einen Heilsbesitz zuspricht. "Luther dagegen erklärt: Nur, wenn wir das Kreuzesgeschehen im Blick haben, begreifen wir als Glaubende Gott", so Käßmann.
Doch: "Was bedeutet das Kreuz heute für die Christen?", fragte die Theologin. Für sie persönlich jedenfalls mehr als nur Leid und Trauer. Dass das aber auch mal anders war, weiß Käßmann genau - und erinnerte sich an ihre Jugendzeit: "Da war das Abendmahl eine düstere Angelegenheit, beklemmend. Schuldbeladen sind wir vorgetreten." Und das in schwarzer Kleidung. Erst mit den Kirchentagen der 70er Jahre habe sich das geändert. "Dann hieß es nicht mehr: ,Christi Blut für dich vergossen, Christi Leib für dich gegeben‘, sondern: ,Nimm und trink vom Kelch des Heils, nimm und iss vom Brot des Lebens!‘" Jetzt ging es um Befreiung, um Erlösung. Denn: "Nicht das Kreuz hat das letzte Wort, sondern die Liebe, die den Tod überwindet."
Dennoch sei es auch wichtig, die Passionsgeschichte zu erzählen. Das sei Käßmann bei einer Talkshow bewusst geworden, bei der die Moderatorin Nina Ruge ihre neue Kinderbibel vorgestellt habe - in der die Passion ausgelassen wird. "Sie meinte, das sei zu grausam für Kinder", berichtet Käßmann. "Das sagt viel über unsere Zeit", findet sie, "alles soll weichgespült werden. Im Vordergrund soll der Schein und Glamour von ,Bunte‘ und ,Gala‘ stehen." Doch Kinder wüssten sehr wohl, dass es Angst, Hunger, Krieg und Leid gebe - "und davor können wir sie nicht schützen". Wir könnten ihnen aber "von Jesus erzählen, der all das verstanden hat, den die Liebe Gottes aber durch das Leid und den Tod hindurch getragen hat". Darin liege die Stärke des Glaubens an Jesu Christi. "Wer an ihn glaubt, erhält die Kraft, auch die wüsten Zeiten des Lebens durchzustehen."