Von Birgit Sommer
Heidelberg. Täglich gelangt eine Vielzahl von Chemikalien und Arzneimitteln mit dem häuslichen Abwasser in den Wasserkreislauf. Dort können sie ganz unerwünschte Wirkungen an Tieren und Pflanzen entfalten. Letztlich ist auch der Mensch am Ende der Nahrungskette betroffen.
Mit dem Kongress "Spurenstoffe in der aquatischen Umwelt" in Heidelberg wollte die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) zur Sensibilisierung für die Probleme beitragen. Im Klärwerk Mannheim werden die Spurenstoffe schon ausgefiltert. Ein Gespräch mit Betriebsleiter Andreas Hein.
Herr Hein, die üblichen Kläranlagen mit drei Reinigungsstufen arbeiten nicht gut genug. Warum?
Das Herzstück eines Klärwerks ist die biologische Reinigungsstufe. Sie ist aber nicht in der Lage, Chemikalien abzubauen.
Welche Stoffe sind das genau?
Das sind etwa Arzneimittelrückstände, Röntgenkontrastmittel, Industriechemikalien, Korrosionsschutzmittel, Reinigungsmittel, Duftstoffe bis hin zu künstlich hergestellten Süßstoffen.
Was passiert, wenn die im Wasser bleiben?
Wenn wir Wasser mit solchen Rückständen in die Umwelt entlassen, gibt es Veränderungen bei allen Lebewesen, vom Bachflohkrebs bis zu den Fischen. Männliche Fische zum Beispiel können verweiblichen. Wir haben in Mannheim Versuche gemacht mit Regenbogenforellen. Sie wurden vier Wochen lang in den Ablauf der biologischen Reinigungsstufe gesetzt, an eine Stelle nach der Filtration und in das Wasser, das nach dem Einsatz unseres Pulveraktivkohlefilters übrig bleibt.
Was haben Sie herausgefunden?
Die männlichen Forellen haben Vitellogenin gebildet, einen Stoff, den normalerweise weibliche Regenbogenforellen im Dotter bilden, um Nachkommen mit Nahrung zu versorgen. Angeregt wird die Produktion von Vitellogenin durch Östrogene. Bei Forellen im Ablauf der biologischen Stufe war der Stoff nach vier Wochen um das 400-fache erhöht, nach der Filtration um das Zwanzigfache, nach Einsatz des Pulveraktivkohlefilters um das Doppelte.
Mannheim hat seit 2016 die vierte Reinigungsstufe mit dieser Pulveraktivkohlebehandlung. Wie funktioniert die?
Erste Versuche haben wir schon 2010 als erstes Klärwerk in Deutschland gemacht, heute behandeln wir täglich rund 90.000 Kubikmeter Abwasser. Die Pulveraktivkohle kommt nach der biologischen Reinigung zum Einsatz; sie ist porös und saugt die Spurenstoffe wie ein Schwamm auf, ein Teelöffel davon hat eine so große Oberfläche wie ein Fußballfeld. Die Kohle mit den Anlagerungen wird dem Wasser kontinuierlich entnommen, wird letztlich getrocknet und zusammen mit dem Klärschlamm verbrannt. Die Spurenstoffe sind damit schadlos entsorgt.
Haben Sie Zahlen, wie gut die Spurenstoffe ausgefiltert werden?
Die Analyse ist natürlich eine Kostenfrage. Wir haben zusammen mit dem Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe 400 Stoffe identifiziert und Gruppen gebildet. Letztlich kontrollieren wir sieben Leitstoffe, die wir zu 85 Prozent eliminieren können. Ich gehe davon aus, dass auch die restlichen Stoffe zu 85 Prozent reduziert werden.
Warum macht das nicht schon jede Kläranlage?
Bei den Spurenstoffen handelt es sich um unvorstellbar kleine Mengen, die aber nicht ungefährlich sind. Wir beschäftigen uns damit seit elf Jahren. Noch fehlt die Gesetzgebung. Was wir machen, ist freiwillig, gefördert durch das Land Baden-Württemberg. Die Schweiz hat seit 2017 ein entsprechendes Gesetz. Dort müssen große Kläranlagen bis 2030 aufgerüstet werden.
Was kostet denn die Einrichtung einer vierten Reinigungsstufe? Und was zahlen die Bürger über die Abwassergebühr?
In Mannheim konnten wir das günstig im vorhandenen Becken einrichten, deshalb ist es nicht vergleichbar. Die zusätzliche Reinigungsstufe schlägt mit sechs Cent pro Kubikmeter Wasser zu Buche, das sind bei den 40 Kubikmetern, die jeder Bürger verbraucht, 2,40 Euro pro Jahr.
Wie teuer wäre es in Heidelberg?
Die Heidelberger Kläranlage ist halb so groß wie die in Mannheim. Ich schätze die Kosten für einen Neubau der vierten Reinigungsstufe auf zehn bis 15 Millionen Euro. Das Land zahlt davon 20 Prozent. Auf die Bürger kämen vielleicht 15 bis 20 Cent Mehrkosten pro Kubikmeter Wasser zu. Die Frage ist, was uns die Umwelt wert ist. Wir wollen den folgenden Generationen keine Altlasten hinterlassen. Das ist unser Antrieb.
Seit wann kennt man die Gefahren durch Spurenstoffe?
Man redet seit 20 Jahren darüber. Eigentlich wissen wir es alle, wenn wir etwa lesen, was in Spülmaschinentabs enthalten ist. Der Korrosionsschutz für die Edelstahltöpfe beispielsweise ist biologisch nicht abbaubar.
Wir werden das Geschirr aber nicht wieder von Hand spülen.
Den Luxus gönnen wir uns. Und die Verfahren, alle Spurenstoffe aus dem Abwasser zu entfernen, werden sich bestimmt noch verbessern.
Mikroplastik, resistente Keime - kann man auch die irgendwann mal ausfiltern?
Mikroplastik filtern wir seit 1983 mit einer einfachen Sandfilterung. Derzeit lassen wir beim Technologiezentrum Wasser prüfen, welche Größe von Mikroplastikteilchen wir zurückhalten können. Von den antibiotikaresistenten Keimen werden wir wenig zurückhalten können. Man diskutiert jetzt über Ozonbehandlung, Membranfiltration und UV-Bestrahlung.
Was kann der Bürger tun? Oder der Landwirt?
Er sollte alles so entsorgen, wie es vorgeschrieben ist. Arzneimittel zum Beispiel gehören nicht in die Toilette, sondern in den Restmüll, der verbrannt wird. Wir scheiden ja auch Arzneimittel aus. Oder das Röntgenkontrastmittel. Das landet dann in der Toilette, also im Abwasser. Da muss es ganz neue Ideen geben, wie wir mit solchen Dingen umgehen. Bei Landwirten geht es nicht nur um das Einbringen von Nitrat ins Grundwasser, sondern auch um die Medikamente für die Tiere, die in Oberflächengewässer und ins Grundwasser gelangen.
Entwickeln die Unternehmen genug umweltfreundliche Produkte oder Arzneimittel?
Es gibt so vieles, was wir in der Umwelt wiederfinden, künstliche Geschmacksstoffe, Duftstoffe, Imprägnierungen. Oder die Schmerzsalbe, die sich der Sportler vorbeugend aufs Knie aufgetragen hat und dann abduscht. Muss das alles sein?