Heidelberg. (RNZ) Die Autorinnen Eva-Maria Bast und Heike Thissen haben Relikte im Stadtbild Heidelbergs ausgemacht - und sich von lokalen Experten erklären lassen, was es mit ihnen auf sich hat. So sind 50 spannende Geschichten entstanden, die nun in dem neuen Buch "Heidelberger Geheimnisse" erscheinen. In der RNZ drucken wir in den nächsten Wochen exklusiv einige Kapitel ab. Diesmal: die Tür des alten Karzers der Universität.
"Ich bin da jahrelang dran vorbeigegangen und habe diese Tür nie bemerkt", sagt Susanne Kahlig. Die Heidelbergerin ist oft in der Alten Universität unterwegs, in der sich die Tür befindet - umso mehr wundert sie sich, dass sie ihr nie aufgefallen ist. "Man sieht ja, dass es keine normale Tür ist", sagt sie, "sie sieht schon so geheimnisvoll aus."
Eva-Maria Bast und Heike Thissen stellen verschiedene Relikte im Stadtbild Heidelbergs im Buch "Heidelberger Geheimnisse" vor.In der Tat! Die Tür in einer Nische neben der großen Treppe ist niedrig, offenbar sehr alt und: verriegelt. "Der Heidelberger Karzer in der Augustinergasse ist ja heute sehr berühmt und öffentlich zugänglich", beginnt Susanne Kahlig die Geschichte zu erzählen. Tausende Menschen besuchen die Räume und betrachten die vielen Sprüche und Graffiti, die die Studenten, die hier eingesperrt waren, an den Wänden hinterlassen haben. "Aber kaum jemand weiß, dass dieser Raum hier in der Alten Universität der Vorgängerkarzer war."
Hier mussten also Studenten Buße tun, die sich nicht an die Regeln der Universität gehalten hatten. "Die Karzerstrafe geht zurück bis in die Gründungszeit der Universität", erzählt die Gästeführerin. "Sie hatte damals eine eigene Gerichtsbarkeit und durfte Strafen über ihre Studenten verhängen." Es existiert auch ein Dokument des Universitätsgründers und Kurfürsten Ruprecht (1309-1390) aus dem Jahr 1386, in dem genau festgehalten ist, wann Karzerstrafen von wem verhängt werden dürfen.
Einen festen Karzer gab es in den ersten 200 Jahren der Universitätsgeschichte aber wohl noch nicht. Werner Moritz schreibt in seinem Aufsatz "Ein Gefängnis der ganz besonderen Art - der Universitäts-Karzer": "Lange bezeichnete ‚Karzer‘ allerdings eher die Strafe (poena carceris), weniger einen bestimmten Ort der Verbüßung.
In der Regel legte man die Delinquenten (incarcerati) in die städtischen Gefängnisse in den Stadttürmen (Hexenturm, Brückenturm). Von der speziellen Einrichtung eines ersten festen Karzers in einem kleinen Häuschen am damals so genannten Lindenplatz (heute etwa Schulgasse 4, Hinterhof) berichten die Quellen erst aus dem Jahr 1545."
Dann allerdings gab es durchgängig universitätseigene Räume, in denen Studenten, die sich nicht an die Regeln hielten, eingesperrt wurden. Schon im Vorgängerbau des heutigen Universitätsgebäudes, im Casimirianum, gab es Karzerräume. "Als dann 1712 der Neubau errichtet wurde, baute man ebenfalls Karzerräume mit ein, von denen noch heute diese kleine Tür zu sehen ist", sagt die Heidelbergerin.
Dahinter war es zum Fürchten. "Wer unter Platzangst litt, hatte hier ein echtes Problem", schätzt Kahlig. "Hinter der Tür ist es sehr niedrig, da ist nur ein kleiner Raum, von dem rechts und links je eine Zelle abgeht." Sie weiß auch von einem besonders tragischen Ereignis im Zusammenhang mit dem alten Karzer: "Am Neckar kam es ja immer wieder zu Hochwassern. 1784 stand der heutige Uniplatz, der sich direkt im Anschluss an den Karzer befindet, einen Meter fünfzig unter Wasser.
Die Studenten, die dort eingesperrt waren, konnten gerade noch gerettet werden." Das sei das Ende dieses kleinen Karzers gewesen, in dem auch sehr schlechte hygienische Verhältnisse herrschten. "Der Nachfolgekarzer war dann der, der heute noch so oft besucht und besichtigt wird. Er befindet sich im zweiten Stock, da kann kein Hochwasser das Leben der Studenten gefährden."
Fast jeder Student, berichtet die in Heidelberg aufgewachsene Susanne Kahlig, habe eine Weile im Karzer verbracht: "Das war sozusagen Ehrensache." Bei den Vergehen habe es sich allerdings mehr um Kavaliersdelikte als um echte Straftaten gehandelt: "Der Hauptgrund für eine Karzerstrafe war, dass die Studenten dem Alkohol recht zugetan waren oder, wie mein Schwiegervater sagen würde, in einem Zustand erhöhter Lebensfreude durch die Stadt gingen."
Typische Studentenstreiche: Stalltüren im damals noch landwirtschaftlich geprägten Heidelberg öffnen und buchstäblich die Sau rauslassen. Oder Laternen ausschießen, die der Nachtwächter gerade angezündet hatte. "Und nackig im Neckar schwimmen gehörte auch zu diesen Kavaliersdelikten", fährt Kahlig mit ihrer Schilderung fort. "Es heißt: Man hat nicht hier studiert, wenn man nicht drei Tage bis eine Woche im Karzer war."
Und so verwundert es auch nicht, dass ein Student namens Paul Reichel am 21. Juni 1892 sogar in der Zeitung mitteilte, dass er im Karzer sitzt, und eine Anzeige schaltete, in der steht: "Allen meinen Freunden, Bekannten und Gläubigern teile ich mit, dass ich meine Wohnung auf sieben Tage nach dem Carcer verlegt habe." Als Reichel im Karzer saß, musste er aber zumindest keinen Durst leiden. Werner Moritz schreibt: "Schon die Karzerordnung von 1853 hatte jedem Studenten als tägliche Versorgung einen Schoppen (1/2 Liter) Wein und zwei Flaschen Bier zugestanden."
Und auch ansonsten hatte der Karzer zu diesem Zeitpunkt viel von seinem Schrecken verloren: "Bis zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert waren Karzerstrafen bei den Studiosi sehr gefürchtet. Seitdem (offenbar nach 1822) die neuen Karzerräume auch beheizt wurden und schließlich Betten das Stroh auf blankem Boden ablösten, sollte sich dies relativ rasch ändern."
Nun konnten die Studenten ihre Strafe absitzen, sich dabei das eine oder andere Schlückchen gönnen und am Gesamtkunstwerk aller Studenten weiterarbeiten: dem Graffito an der Karzerwand, an dem sich heute noch so viele Besucher erfreuen. Froh, dass es heute keine Karzerstrafen mehr gibt, sind sie dabei vermutlich trotz aller Faszination.
Info: Das Buch "Heidelberger Geheimnisse - Spannendes aus der kleinen Metropole mit Kennern der Stadtgeschichte" (192 Seiten, ISBN: 978-3-946581-47-5), gibt es für 19,90 Euro in der RNZ-Geschäftsstelle, Neugasse 4-6, und in Buchhandlungen.