Der Weg aus der Alkoholsucht ist zumeist ein langer und steiniger. Symbolbild: picture alliance
Von Marion Gottlob
Heidelberg. Es ist schleichend passiert, fast unmerklich: Als Beate (56 Jahre, Nachname der Redaktion bekannt) zum Alkohol griff, war ihr die Gefahr einer Sucht nicht bewusst. Aus einem abendlichen Glas Wein wurden viele Gläser, bis sie auch morgens zur Flasche griff. Sie sagte damals zu ihrem früheren Ehemann: "Du, ich habe Probleme mit Alkohol." Er sagte nur: "Wir zwei, wir schaffen das schon."
Doch das war erst mal nicht so. Nur mit viel Geduld und professioneller Hilfe fand Beate einen Ausweg aus der Sucht. Heute macht sie Alkohol-Abhängigen Mut, auch in der Corona-Krise den Schritt aus der Sucht zu wagen: "Bei mir ging es um Leben und Tod, ich habe mich für das Leben entschieden."
Beate kann offen über ihre überwundene Suchterkrankung sprechen. Diese Ehrlichkeit hat sie sich hart erarbeitet. "Ich gehörte zu den Frauen, die heimlich trinken." Viele Betroffene hatten schon als Jugendliche Probleme mit Alkohol. Beate jedoch nicht. Sie ist "normal" aufgewachsen und wurde Arzthelferin. "Mein Traumberuf", sagt sie. Erst einige Jahre nach der Heirat und der Geburt von zwei Kindern suchte die Schmerz-Patientin regelmäßig im Alkohol Erleichterung: "Der Stress und die Schmerzen wurden weniger. Ich konnte so funktionieren, wie es von mir erwartet wurde."
Irgendwann brauchte sie jedoch mindestens eine Flasche Wodka oder Schnaps pro Tag, um ihr Alkohol-Level zu halten. Aber es gab Probleme: Die beiden Kinder wandten sich von ihrer Mutter ab. So entschloss sich Beate zum ersten Mal zum Entzug: "Ich wollte meine Familie nicht verlieren." Ein Jahr lang war sie abstinent, dann kam der Rückfall. Es folgten weitere Versuche und Abstürze: "Mein Sohn hat meine Taschen kontrolliert, meine Tochter hat nicht mehr mit mir gesprochen, mein Mann hat auf mich herabgesehen."
In der schlimmsten Not wagte Beate einen neuen Anlauf zum Entzug, dieses Mal mit einer stationären Therapie: "Ich habe mich selbst wieder kennengelernt. Es war der Wahnsinn, die tränenreichste Zeit meines Lebens." Sie fragte sich: "Was will ich?" Sie entschied sich zur Scheidung, zog in eine winzige Kellerwohnung und beantragte Hartz IV. "Ich lernte, die Post zu öffnen und Rechnungen zu bezahlen. Ich lernte, wieder Verantwortung für mich und mein Leben zu übernehmen."
Schritt für Schritt wurde es besser: Sie fand Arbeit und eine neue Wohnung. Sie stellte sich der tiefen Einsamkeit – und fand wahre Freunde und auch einen neuen Partner. Sie versöhnte sich mit ihren Kindern und freut sich an ihrem Enkel. Sie entwickelte neue Interessen und ist ehrenamtlich bei der Freiwilligen Feuerwehr. Beim Blauen Kreuz der Heidelberger Suchtberatung leitet sie eine Motivationsgruppe.
Vor allem machte sie die Erfahrung, dass sie nicht 100-prozentig funktionieren muss: "Ich darf Fehler machen." Sie weiß: "In der Corona-Krise ist es nicht leicht, mit dem Trinken aufzuhören. Am schlimmsten ist die Einsamkeit. Es fehlen viele Angebote, um die Zeit sinnvoll zu gestalten. Es fehlen persönliche Kontakte. Der Alkohol füllt die leere Zeit." Sie betont aber auch: "Doch es gibt auch in Corona-Zeiten keinen Grund, zu trinken. Wer auf Alkohol verzichtet, geht einen schweren Weg – aber es lohnt sich." Der erste und wichtigste Schritt ist das Eingeständnis der Sucht: "Wer abhängig ist, braucht Hilfe. Wer dann Hilfe sucht, der findet sie auch."
Info: Weitere Informationen zur Heidelberger Suchtberatung, Blaues Kreuz, unter Telefon 06221/149820.