Von Birgit Sommer
Heidelberg. Als Student der Sozialarbeit lernte Hubert Herrmann 1976 beim Praktikum die Caritas in Heidelberg kennen. Nach 41 Jahren verlässt der 67-jährige Geschäftsführer jetzt den katholischen Sozialverband. Langweilig wird es ihm künftig nicht, ist er doch für zwei Menschen gesetzlicher Betreuer und auch weiterhin in Vorständen von katholischen Einrichtungen tätig. Außerdem freut er sich auf mehr Zeit mit der Familie und auf Tennisspielen und Segeln. Über die Aufgaben der Caritas und die Herausforderungen der Zukunft sprach Hubert Herrmann mit der RNZ.
Herr Herrmann, können Sie die Aufgabe der Caritas in einem Satz erklären?
Man kann es am einfachsten mit unserem Slogan beschreiben: Not sehen und handeln. Ein großer Schwerpunkt sind die Armut und alle Folgen der sozialen Benachteiligung.
Was tun Sie für diese Menschen?
Wir unterstützen sie im Alltag, wir beraten sie in existenziellen Notlagen. Bei Lebenskrisen hilft unsere psychologische Beratungsstelle. Und wir können in vielfältiger Form finanzielle Hilfe leisten. Auch unsere spezialisierten Fachdienste wie Caritassozialdienst oder Schuldnerberatung helfen.
Wo sind die Wurzeln der "Caritas"? Ich glaube, die evangelische Diakonie war mit Johann Hinrich Wichern 1848 schneller?
Der Caritas-Verband - Caritas heißt Nächstenliebe - wurde 1897 durch den Theologen Lorenz Werthmann gegründet, der die zersplitterten katholischen sozialen Hilfsangebote zusammenfassen wollte. Heute gilt die Caritas als Deutschlands größter Wohlfahrtsverband mit über 600.000 Mitarbeitern.
Warum braucht ein Sozialstaat wie Deutschland Wohlfahrtsverbände?
Der Sozialstaat weist viele Lücken auf. Ich glaube, die Wohlfahrtsverbände sind immer sehr nah an der Not der Menschen und können die erforderlichen Maßnahmen auch politisch einfordern.
Sie sind schneller und unbürokratischer?
Wir können viel schneller reagieren. Für Kirche und Caritas waren Vorsorge und Fürsorge schon immer eine zentrale Aufgabe. Wir sind gut erreichbar, in Heidelberg gibt es, von den Wohlfahrtsverbänden organisiert, täglich eine Sozialberatung.
Wer finanziert Ihre Arbeit?
Wir bekommen Zuschüsse von Bund, Land und Kommune je nach Projekt. Dazu setzen wir noch Eigenmittel aus Kirchensteuern und Spenden ein, ohne die unsere Arbeit in der Qualität nicht zu leisten wäre.
Von welchen Summen sprechen wir da in Heidelberg?
Wir haben ein Bilanzvolumen inklusive der Pflegeheime St. Michael und St. Hedwig von über zehn Millionen Euro. Bis 2008 waren wir in rein ambulanten Diensten unterwegs. 2009 haben wir dann von der Erzdiözese Freiburg das Pflegeheim St. Michael übernommen. Aber wir haben damit auch eine große Verpflichtung übernommen, denn nach den neuen Vorschriften, die ab 2019 Einzelzimmer bestimmter Größe vorschreiben, müssen wir als Träger enorm investieren. Wir müssen die Pflegeheime St. Michael und St. Hedwig neu bauen. Die Pflegeheimat St. Hedwig haben wir 2014 übernommen.
War das eine schwere Entscheidung?
Es war vernünftig und für die Weiterentwicklung des Caritasverbandes Heidelberg notwendig, nach St. Michael auch das zweite katholische Pflegeheim zu übernehmen.
Wegen der Synergieeffekte?
Die sollte es in Zukunft geben, wenn die Phase des Neubaus zu Ende ist. Wir sind auch jetzt schon dabei, eine zentrale Verwaltung aufzubauen und ein gemeinsames Belegungsmanagement zu organisieren. In Zukunft wird es wichtig sein, die katholischen Einrichtungen zu vernetzen, um effektiv arbeiten zu können.
Wie finanzieren Sie die Neu- und Umbauten?
Zum Teil aus Eigenmitteln und Zuschüssen des Erzbischöflichen Ordinariats. 80 Prozent finanzieren wir über Darlehen. Wir haben zudem 2012 Neuland betreten, als die Kinderkrippe St. Bernhard auf dem Areal von St. Michael in Betrieb ging.
Warum hat die Caritas eine Kita aufgemacht?
In Handschuhsheim gab es einen enormen Bedarf an Betreuungsplätzen. Da es unglaublich schwierig ist, ein Gelände zu finden, hat die Stadt damals vorgeschlagen, auf dem Areal von St. Michael eine Krippe zu bauen. Die Gemeinde St. Vitus hat dazu noch einen Teil des Pfarrgartens abgetreten. Das war unser Einstieg in die Kleinkindbetreuung.
Kinderbetreuung und Jugendhilfe gehören sowieso zu Ihrer Domäne.
Im Notwohngebiet Mörgelgewann sind wir seit 45 Jahren tätig. Dort weist die Stadt von Obdachlosigkeit bedrohte Familien ein. Durch den angespannten Wohnungsmarkt gibt es Familien, die seit Generationen dort wohnen. Wir arbeiten mit Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern, das reicht von Spielgruppen bis zum Angebot eines Bewohnerfrühstücks. Wir versuchen, der Gettoisierung etwas entgegenzusetzen, und haben uns zum Beispiel dafür eingesetzt, dass der Verkehr zur neuen Großsporthalle dort nicht vorbeigeführt wird.
Auch bei der Flüchtlingsbetreuung im Ankunftszentrum Patrick Henry Village war die Caritas von Anfang an dabei.
PHV hat uns in der Sozialarbeit stark gefordert. Wir haben zusammen mit dem Diakonischen Werk und später dem DRK die unabhängige Verfahrens- und Sozialberatung aufgebaut. Von Anfang an haben uns viele Ehrenamtliche unterstützt, ohne die wäre das nicht zu bewältigen gewesen.
Gibt es noch viel zu tun? Was hat sich geändert?
Die Situation, etwa beim Shuttle-Bus rund um das Bauhaus, hat sich beruhigt. Unsere Streetworker sind vor Ort Ansprechpartner bei Fragen und Problemen. Aber die Menschen sind durch die Flucht und Gewalterfahrungen traumatisiert und brauchen unsere professionelle Unterstützung. Ich gehe davon aus, dass aus den Krisenherden in Afrika auch weiterhin Menschen fliehen werden. Deshalb ist es meines Erachtens dringend, die Hilfe vor Ort auszubauen.
Neuerdings hat die Caritas ein Südstadtbüro, das in die Chapel ziehen soll. Braucht man das für die künftigen 3000 Bewohner der Konversionsflächen?
Früher dachte man, Quartiersmanagement brauche man nur für sozial Benachteiligte. Jetzt wissen wir: Stadtteile, die vor einer großen Veränderung stehen, brauchen Begleitung, um sich zu lebenswerten Stadtteilen und gelingenden Nachbarschaften entwickeln zu können. Die Bevölkerung in der Südstadt wird sich fast verdoppeln. Die Caritas bildet zusammen mit dem Stadtteilverein, dem Verein FormAD und dem Weltladen Effata einen Trägerverein für das künftige Bürgerzentrum. Es war auch schon früher die Aufgabe der Pfarrgemeinden und ihrer Caritasausschüsse, Kreise einzubinden, die sich von sich aus nicht artikulieren oder nicht selbstständig für ihre Interessen eintreten können.
Im Hasenleiser betreibt die Caritas schon Quartiersmanagement. Worum geht es da?
Es geht darum, die Interessen der Bewohner aufzunehmen und mit allen zusammen den Stadtteil zu gestalten. Wir bieten zum Beispiel Stadtteilspaziergänge und Frühstücke für den Austausch untereinander an. Wichtig ist: Unsere Mitarbeiter agieren nicht für die, sondern immer nur mit den Bewohnern.
Dann betreibt die Caritas in der Turnerstraße noch seit 2007 den Tafelladen. Wer sind Ihre Kunden?
Viele ältere Menschen aus den südlichen Stadtteilen kaufen ein, viele Familien mit Migrationshintergrund und Empfänger von Grundsicherung. Ganz allgemein: Menschen, die nur ein geringes Einkommen haben.
Haben Sie genügend im Angebot?
Wir haben immer Bedarf an leicht verderblichen Lebensmitteln wie Obst, Käse oder Fleisch. Und es mangelt immer an lang haltbaren Lebensmitteln und Hygieneartikeln.
Wer füllt Ihnen die Regale?
Wir haben große Supermärkte und Discounter, bei denen wir Lebensmittel abholen dürfen, sowie viele örtliche Bäckereien. In den katholischen Kirchen stehen Spendekörbe, in denen Lebensmittel für unseren Tafelladen gesammelt werden.
Sie waren 41 Jahre bei der Caritas. Was ist heute anders als zu Beginn?
Die soziale Arbeit wurde enorm professionalisiert. In den 70er Jahren hatten wir nur 20 Mitarbeiter. Heute sind es 250 und rund 100 Ehrenamtliche. Die Einrichtungen und Dienste des Caritasverbandes haben gelernt, sich auf dem Markt der sozialen Dienstleistungen zu behaupten. Unser Plus an ehrenamtlichen Angeboten macht uns attraktiv. Ebenso wichtig sind unsere Verbindungen in die politische Gemeinde und die katholische Stadtkirche.
Worum wird sich Ihre Nachfolgerin Dr. Susanna Re besonders kümmern müssen?
Vor allem um die Baumaßnahmen der beiden Pflegeheime, aber auch um die Entwicklung der ambulanten Dienste, vor allem sämtliche Bildungsangebote. Die Digitalisierung wird uns beschäftigen. Der Fachkräftemangel in der Pflege und Kinderbetreuung wird uns vor enorme Herausforderungen stellen, ebenso die Finanzierung unserer Fachdienste. Das sind die Herausforderungen der Zukunft.