Simone Engelhardt mit "PauLA", dem Preis des Bundesverbandes "Das frühgeborene Kind". Foto: Rothe
Von Birgit Sommer
Heidelberg. Sie wiegen keine 1500 Gramm, wenn sie auf die Welt kommen. Rund hundert dieser Frühchen werden jedes Jahr in der Region um Heidelberg gezählt. Wenn die Eltern vor dem Inkubator in der Universitätsklinik stehen und ihren Winzling betrachten, machen sie sich oft große Sorgen um dessen Entwicklung.
Mit Simone Engelhardt haben sie aber eine Beraterin an der Seite, die ihnen viele Jahre lang gute Tipps geben kann. Sie arbeitet für den Heidelberger Verein "Das Frühchen", der sich seit 1989 der Förderung von Früh- und Risikogeborenen verschrieben hat. Die "entwicklungsfördernde Neonatalbegleitung" gibt es nur in Heidelberg. Rund hundert Familien im Umkreis von 50 Kilometern hat die Plankstadterin in den letzten sieben Jahren betreut.
Ihr engagierter Einsatz wurde jetzt vom Bundesverband "Das frühgeborene Kind" mit dem "Preis für außergewöhnliche Leistungen zum Wohle der Allerkleinsten und ihrer Familien" ("PauLA") gewürdigt. "PauLA" ist eine vom Berliner Künstler Rainer Kurka geschaffene Tonfigur, die aussieht wie ein bäuchlings auf einem Kissen liegendes 500-Gramm-Baby. Wenn Simone Engelhardt "PauLA" in der Hand hält, erinnert sie das an ihren jüngeren Sohn, der vor neun Jahren auf die Welt kam und nur 490 Gramm wog. Ihre zweite Frühgeburt. Drei Jahre zuvor war der Bruder nach vorzeitigen Wehen mit einem Gewicht von 1180 Gramm auf die Welt gekommen.
Die junge Mutter weiß oft schon aus eigener Erfahrung, was in Familien mit Frühchen los ist. Zudem hat sie eine eineinhalbjährige Fortbildung absolviert. Umwelt und Psyche, Eltern-Kind-Interaktion, lösungsorientierte Beratung - das alles gehört dazu. Oft machen die Winzlinge Schwierigkeiten bei der Ernährung und nehmen nicht so viel zu, wie sie sollen. Weil die Gehirnentwicklung der Frühchen in anderen Zeitspannen verläuft als die der reif Geborenen, hören die Anpassungsschwierigkeiten auch in der Schule noch nicht auf. Motorik, Körperlichkeit, soziale Anpassung, Selbstbewusstsein, Konzentrationsvermögen, Handlungsplanung, Lerntempo, Depressionen - in vielen Bereichen stellen die Eltern fest, dass das Kind Unterstützung braucht. Das kriege man auch mit Schulbegleitern und Inklusion nicht auf die Reihe, ist Engelhardt überzeugt. Sie fordert vor allem eines: "Kleine Klassen." "Die Familien sind oft sehr belastet", weiß Simone Engelhardt. "Kinder haben so feine Antennen, und reagieren auf eine Verunsicherung sofort mit Regulationsstörungen beim Essen oder beim Schlafen oder sie schreien."
Die 36-Jährige ist die Ansprechpartnerin, bei der die Eltern anrufen und sich auch mal ausweinen können. Sie kommt in die Wohnung und schaut sich das Problem genau an. Sie gibt Tipps und kennt die Institutionen, die weiterhelfen können. Sie informiert über Therapien und Pflegestufen und begleitet Familien, wenn Kinder sterben: "Ich gehe alle Wege mit, die man sich vorstellen kann." Simone Engelhardt findet: "Ich habe eigentlich den tollsten Job der Welt, ich kann Menschen auf direktem Weg helfen. Ich gehe mit ihnen mit, bis ich das Gefühl habe, ich kann sie loslassen." Ursprünglich hatte die Plankstadterin einen ganz anderen Job. Sie war Wirtschaftskorrespondentin in einer Anwaltskanzlei und übersetzte die juristischen Formulierungen ins Englische oder Französische. Dazu passt ihre Liebe zu Großbritannien, wo die ganze Familie immer wieder Urlaub macht .
Fast jedes zehnte Neugeborene in Deutschland ist ein Frühchen: Das sind 66.000 Kinder jedes Jahr. Ab der 24. Schwangerschaftswoche sind die Ärzte verpflichtet, das Kind am Leben zu erhalten. Davor, sagt Simone Engelhardt, befinde sich der Graubereich: "Die Klinik spricht eine Empfehlung aus, die Eltern entscheiden. In Heidelberg geschieht das ganz individuell, das ist der beste Weg."
Nach ihrer Überzeugung müssen die niedergelassenen Ärzte mit schwangeren Frauen viel häufiger über mögliche Frühgeburten sprechen, über die körperlichen Anzeichen dafür und darüber, dass es lebensrettend ist, gleich in die Universitätsklinik und nicht zuerst in ein Kreiskrankenhaus zu fahren: "Es geht um die Chance auf ein gesundes Leben."
Info: Der Verein "Das Frühchen" lädt zum nächsten Elterntreffen am 6. Juli, 19.30 Uhr, ins Elternwohnen/Casino zwischen der alten Kinderklinik und dem Nierenzentrum ein. Allgemeine Informationen gibt es per E-Mail an info@dasfruehchen.de. Simone Engelhardt ist unter Telefon 0176/ 34429212 zu erreichen.