Von Philipp Neumayr
Heidelberg. Anna Strishkowa, Lisl Bogart, Jack Eljon: Sie gehören zu den letzten Zeitzeugen der von den Nationalsozialisten begangenen Gräueltaten. Der Mannheimer Fotograf und Fotokünstler Luigi Toscano will ihre Geschichten für die Nachwelt aufbewahren. Seit 2014 reist er um die Welt, um Holocaust-Überlebende zu fotografieren. Die daraus entstandene Ausstellung "Gegen das Vergessen" zeigt deren Gesichter, erzählt ihre Vergangenheit. Nun kommt sie erstmals nach Heidelberg: Zwischen dem 1. und 10. Mai werden die Porträts auf dem Universitätsplatz zu sehen sein.
Herr Toscano, Ihre Ausstellung war zu Gast in New York und Genf, in San Francisco und Kiew. Ihre Fotos haben mehr als eine Million Besucher angelockt. Haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?
Anfangs natürlich überhaupt nicht. Ich habe mit dem Projekt eine Möglichkeit gefunden, selbst aktiv zu werden und mich dafür einzusetzen, was mir wichtig ist: eine demokratische Gesellschaft und Zukunft.
Warum sind Fotos für Sie besonders geeignet, an den Holocaust zu erinnern?
Menschen nehmen vieles visuell wahr. Ein Bild bietet noch einmal eine andere Form der Erinnerung als ein Schriftstück. Durch die beiläufige Begegnung mit den Gesichtern der Überlebenden im öffentlichen Raum, findet automatisch eine Auseinandersetzung statt. Gerade die jüngere Generation hat nicht unbedingt Lust, in Gedenkstätten zu reisen. Deshalb glaube ich: Das Thema muss auf die Straße.
Sie haben bis heute mehr als 400 Überlebende getroffen. Wie haben diese Begegnungen Sie verändert?
Man denkt immer, man wisse alles über den Holocaust. Für mich sind über die Jahre immer neue Facetten aufgepoppt. Es ist bewundernswert, wie diese Menschen, die diesen Wahnsinn erlebt haben, es schaffen, damit umzugehen.
Jack Eljon. Foto: ToscanoWelche Geschichten sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Es gibt viele, die ich da anführen könnte. Sehr bewegt hat mich die Geschichte von Anna, einer ukrainischen Jüdin. Die Nazis deportierten sie mit ihren Eltern nach Auschwitz. Die Eltern wurden sofort getötet. Anna kam ins Kinderlager, wurde Versuchskind von Lagerarzt Josef Mengele und war seinen Perversionen ausgeliefert. Sie war damals gerade mal ein bis zwei Jahre alt, hat wenige Erinnerungen an die Zeit. Zwei Dinge haben sich ihr aber besonders eingeprägt: die Tätowierung ihrer Häftlingsnummer und eine große Angst vor Ärzten. Mir hat sie später erzählt, wie sie diese Angst überwunden hat: Sie ist selbst Ärztin geworden.
Geschichten wie diese stoßen heute nicht bei allen auf offene Augen und Ohren. Während Ihrer Ausstellung in Wien im letzten Jahr wurden zahlreiche Exponate zerstört. Können Sie die Fotos überhaupt noch öffentlich zeigen?
Das, was in Wien passiert ist, hat uns wirklich hart getroffen. Aber war es auch sehr schön, zu sehen, dass junge Menschen sich spontan zusammengetan haben, um die Porträts zu reparieren und zu schützen. Seitdem haben wir das Sicherheitskonzept der Ausstellung überdacht und werden die Exponate über Nacht von einem Sicherheitsdienst bewachen lassen.
Lisl Bogart. Foto: ToscanoWas soll in Heidelberg rund um die Ausstellung passieren?
Gemeinsam mit dem Karlstorbahnhof stehe ich derzeit mit verschiedenen Institutionen im Kontakt. Fest steht, dass es einen Tisch auf dem Uniplatz geben wird, wo Holocaust-Überlebende, Heidelberger und Besucher miteinander ins Gespräch kommen können. Zudem ist geplant, dass eine Heidelberger Schule die Patenschaft für das Projekt übernimmt und Vermittlungsarbeit gegenüber anderen Jugendlichen leistet. Damit haben wir bei vergangenen Ausstellungen in mehreren Ländern gute Erfahrungen gemacht.
Anna Strishkowa. Foto: ToscanoEs wird das 19. Mal sein, dass "Gegen das Vergessen" gezeigt wird. Wie soll es danach weitergehen?
Ich glaube, es ist erst der Anfang. Es gibt immer noch Überlebende oder Angehörige, die sich bei mir melden und Teil dieses Projekts sein wollen. Es ist der Zeit geschuldet, dass sie irgendwann sterben – das passiert jeden Tag, jede Woche. Deshalb ist es gut, wenn wir ihre Geschichten erzählen, solange es noch geht.