Heidelberg

Was passiert mit dem Normannenhaus?

SPD fordert Burschenschaft auf, das Gebäude der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen - Aber so einfach ist das nicht

09.10.2020 UPDATE: 14.10.2020 21:22 Uhr 11 Minuten, 38 Sekunden
Inzwischen sind weitere Fotos aus dem Normannenhaus aufgetaucht. Foto: privat

Von Sarah Hinney

Heidelberg. Die Ereignisse rund um die Burschenschaft Normannia beschäftigen auch die örtliche Politik. So hat die SPD Heidelberg bei ihrer jüngsten Jahreshauptversammlung einstimmig einen Initiativantrag beschlossen, der sich direkt an die Burschenschaft richtet. Sie fordert darin die Verantwortlichen der Normannia auf, die Aktivitäten im Haus einzustellen und das Gebäude der Heidelberger Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.

Inzwischen sind weitere Fotos aus dem Normannenhaus aufgetaucht. Foto: privat

So heißt es: "Aus dem Gebäude nahe des Schlosses soll ein öffentlicher Ort der Toleranz entstehen, der unsere offene Gesellschaft repräsentiert und das soziale Miteinander fördert." Eingebracht wurde der Antrag von dem Stadtrat und Kreisvorsitzenden Sören Michelsburg. Er sagt: "Rechtsradikale Burschenschaften passen nicht in das weltoffene Bild unserer Stadt. In Heidelberg gibt es viele wichtige und sozial notwendige Projekte, denen schlicht der Platz fehlt." Auch Landtagskandidat Daniel Al-Kayal unterstützt den Antrag und würde ein Tätigwerden der Verantwortlichen begrüßen. Die Heidelberger Sozialdemokraten sind sich einig: Ein "Haus der Intoleranz und Ausgrenzung" könne zu einem Ort der Toleranz werden, wenn Verantwortung von den Betroffenen übernommen werde.

Aber so einfach ist das nicht. Einerseits spricht im Moment wenig dafür, dass diese Verantwortung übernommen wird. Denn: Wie die RNZ berichtete, waren den Alten Herren rechtsradikale, antisemitische und rassistische Vorfälle im Haus über Jahre nicht nur bekannt, sie wurden gezielt unter dem Deckel gehalten. Überdies wurden immer wieder Rechtsradikale ins Haus eingeladen. Sowohl der letzte als auch der aktuelle Vorsitzende des Altherrenvereins haben diese Tatsachen bestritten.

Andererseits gehört das Normannenhaus am Kurzen Buckel dem eingetragenen Verein "Studentenwohnheim Stückgarten". In dessen Satzung, die der RNZ vorliegt, heißt es: "Der Verein dient ausschließlich der Studentenhilfe. Er unterstützt das Studium und die Erziehungsarbeit an Studenten der Universität Heidelberg durch Bereitstellung und Unterhaltung eines Studentenwohnheims oder Aufenthaltsheimes". Hier stellt sich freilich die Frage, ob mit der Auflösung der Normannia-Aktivitas der Zweck des Vereins noch erfüllt ist – denn wo keine Studenten sind, braucht es auch keine Studentenhilfe.

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Die Vereinsmitglieder sind verpflichtet, "Vereinsanteilscheine" zu erwerben. Das bedeutet, sie finanzieren damit auch das Haus. Mitglied ist nur, wer auch in der Burschenschaft ist. Denn die Vereinsmitgliedschaft erlischt durch Austritt oder Ausschluss aus der Normannia. Interessant ist, dass bei "Erlöschen der Mitgliedschaft das betreffende Mitglied keinen Rechtsanspruch auf Rückzahlung des Anteilscheins hat". Wer die Normannia verlässt, bekommt sein investiertes Geld also möglicherweise nicht zurück. In der Konsequenz könnte ein Austritt aus der Burschenschaft also auch einen finanziellen Verlust bedeuten – eine mögliche Erklärung für die Zögerlichkeit vieler Mitglieder, die Normannia zu verlassen.

Anders sieht es aus, wenn sich der Verein auflöst. Und das müsste er – laut Satzung –, wenn sich die Burschenschaft auflöst. In der Satzung heißt es dazu: "Bei Auflösung oder Aufhebung des Vereins oder Wegfall seines bisherigen Zwecks fällt das Vermögen des Vereins, soweit es die eingezahlten Kapitalanteile der Mitglieder und den gemeinsamen Wert der von den Mitgliedern geleisteten Sacheinlagen übersteigt, an die Universität Heidelberg." Das Anwesen müsste demnach also im Fall der Auflösung verkauft und der Erlös entsprechend der Kapitalanteile an die Mitglieder ausgezahlt werden. Was übrig bliebe, bekäme die Universität.

Über eine Auflösung der Burschenschaft muss allerdings auf zwei Generalconventen entschieden werden. Laut dem Vorsitzenden Gunnar Heydrich soll Ende des Monats eine Mitgliederversammlung der Normannia stattfinden. Auf der Tagesordnung stünden "tiefgreifende Einschnitte". Näher äußerte sich Heydrich nicht. Ob die Mitgliederversammlung angesichts der Corona-Lage allerdings tatsächlich stattfinden kann, ist unklar. Sicher scheint indes, dass der Antrag der SPD ein frommer Wunsch bleiben wird.

Update: Freitag, 23. Oktober 2020, 21.21 Uhr


Die Normannia hat immer alles intern geregelt

Dokumente zeigen: In der Burschenschaft gibt es seit Jahren Rechtsradikalismus. Das oberste Gebot war stets: Nichts darf nach außen dringen.

Von Sarah Hinney

Heidelberg. "Das war überhaupt das erste Mal, dass ich auf diesem Haus mit einem rechtsradikalen Vorfall konfrontiert war", hatte Egon Manz vor gut einer Woche, kurz vor seinem Austritt aus der Burschenschaft Normannia, gegenüber der RNZ behauptet. Der Mannheimer CDU-Vize und ehemalige Polizist meinte damit einen Vorfall im Jahr 2019: Damals soll sich ein studentisches Mitglied am Telefon mit "Heil Hitler" gemeldet haben. "Die Burschenschaft Normannia duldet keinen Antisemitismus in ihren Reihen oder durch Dritte auf ihrem Haus. Antisemitismus und gewalttätige Übergriffe sind mit dem burschenschaftlichen Gedanken nicht zu vereinbaren", schreibt Gunnar Heydrich, Vorsitzender des Altherrenverbands auf der Internetseite der Normannia.

Der RNZ liegt nun umfängliches authentisches Material aus den vergangenen zehn Jahren vor, das beweist, dass es in dieser Zeit weitere rechtsradikale Vorfälle im Normannenhaus gegeben hat. Manche führten dazu, dass Mitglieder die Burschenschaft verlassen haben. Bei der Polizei angezeigt wurde indes nie jemand. Die Vorfälle wurden in "Strafanträgen" festgehalten – über die dann burschenschaftsintern entschieden wurde. Säuberlich wurden Vorgänge, Diskussionen darüber und Entscheidungen in seitenlangen Protokollen beschrieben. In den Anwesenheitslisten finden sich genau die Namen der "Alten Herren" wieder, die auch heute noch – sofern nicht jüngst ausgetreten – eine Rolle in der Normannia spielen.

Dokumentiert sind wörtlich rassistische, antisemitische und fremdenfeindliche Äußerungen. Dokumentiert ist, wie ein damaliges Mitglied vor Jahren damit prahlte, "in Gegenwart eines dunkelhäutigen Bundeswehrkameraden geäußert zu haben, nicht neben einem Neger sitzen zu wollen". Dokumentiert sind "faschistische Grußformen durch Armheben, Rufen und in schriftlicher Form sowie das Tragen von wehrmachtsähnlicher Kleidung" und das Rufen von "Heil Hitler". Dokumentiert ist auch, dass im Normannenhaus "in mehreren Fällen" rechtsextreme Musik lief, inklusive abstoßend rassistischer und antisemitischer Textzeilen. Abgespielt wurde die Nazimusik im Keller des Normannenhauses. In einer Bar – bestehend aus Sandsäcken, dekoriert mit Stahlhelmen. Gäste habe man auch mal im "Führerstübchen" untergebracht, berichtet ein Ex-Normanne der RNZ und beschreibt seine Zeit in der Burschenschaft als "seelisches und soziales Gefängnis und paranoide Wahnwelt".

Die RNZ haben in den vergangenen Wochen zahllose Schriftstücke, Fotos und Chatprotokolle aus der älteren und jüngeren Vergangenheit von verschiedenen Seiten erreicht – die Namen der Informanten sind der Redaktion bekannt. Die Informationen zeichnen das Bild einer in sich geschlossenen Gemeinschaft, in der strenge Regeln herrschen und eine klare Struktur. Einer Gemeinschaft, in der zwar keineswegs politische Einigkeit herrscht – über eines aber ist man sich vollkommen einig: Von den rechtsradikalen Vorfällen darf nichts nach außen dringen.

Nachzulesen ist das etwa in einer protokollierten Diskussion darüber, ob rechtsradikale, rassistische und antisemitische Äußerungen ein Grund seien, einen Aktiven aus der Normannia auszuschließen, oder ob es sich nur um "spätpubertäre Eskapaden" handle. So heißt es dort auch wörtlich, "interne Informationen und Diskussionen dürften nicht in die Öffentlichkeit getragen werden". Der Bundesbruder sei "in gewissen Punkten schwierig", man solle ihm aber "Gelegenheit zur Entwicklung" geben.

"Die Burschenschaft sieht ihren Sinn in der Pflege der Freundschaft und Geselligkeit sowie der Aufgabe, zur politischen Bildung ihrer Mitglieder beizutragen", lautet Artikel 4 der Präambel der Satzung der Normannia Heidelberg. Ihr Wahlspruch: "Ehre, Freiheit, Vaterland". Zur politischen Bildung ihrer Mitglieder zählte die Normannia 2011 etwa einen Vortrag des rechtsextremen Bloggers Karl-Michael Merkle alias Michael Mannheimer. Merkle hatte auf einer Pegida-Demo in Karlsruhe 2015 Angela Merkel als den schlimmsten Kanzler, den Deutschland seit Adolf Hitler hatte, bezeichnet. Schon 2004 hatte die RNZ über ein geplantes Treffen bei der Normannia berichtet, das nach Protesten wieder abgesagt worden war. Als Redner angekündigt waren damals etwa Michael Nier und Karl Richter. Richter wurde 1995 wegen Volksverhetzung verurteilt. Nier war Europakandidat für die NPD. Aus Österreich sollte Gerhoch Reisegger anreisen – ein rechtsextremer Publizist und Verschwörungstheoretiker. Doch auch einer rechtsradikalen Gesinnung eigentlich unverdächtige Personen referierten im Haus: 2010 war der damalige Mannheimer Polizeipräsident Thomas Köber zu Gast und sprach über das Thema "Migrantenproblematik unter Sicherheitsaspekten". Laut Semesterbericht der Normannia war der Vortrag ein "Höhepunkt".

Der Vorsitzende Gunnar Heydrich hatte jüngst öffentlich geäußert, dass die Normannia keine "parteipolitischen Veranstaltungen im Anwesen dulde" und die rechtsextreme Identitäre Bewegung (IB) deshalb auch keine Stammtische dort abhalten durfte. Chatprotokolle beweisen, dass ein aktives studentisches Normannia-Mitglied selbst zu IB-Stammtischen auf dem Haus eingeladen hat.

Heydrich war am 29. August 2020 persönlich im Haus der Normannia dabei – an dem Abend, als dort ein Gast mit Gürteln geschlagen und antisemitisch beschimpft worden sein soll, nachdem er angegeben hatte, jüdische Vorfahren zu haben. Heydrich lehnt ein Gespräch mit der RNZ seit Wochen ab. Am Mittwoch erklärte er lediglich per E-Mail: "Ende diesen Monats findet unsere Mitgliederversammlung statt, bei der für uns tiefgreifende Einschnitte auf der Tagesordnung stehen."

Update: Freitag, 16. Oktober 2020, 19.30 Uhr


Jetzt verlässt auch der Ex-Chef-Volkswirt bei Union Investment die Normannia

Heidelberg. (shy) Nach Egon Manz hat nun ein weiterer "Alter Herr" der Normannia auf RNZ-Nachfrage seinen Austritt aus der Burschenschaft erklärt und darüber hinaus scharfe Kritik geäußert. David Milleker, langjähriger Chefvolkswirt bei Union Investment und heutiger Betriebsrat, war ebenfalls Empfänger der E-Mail, die nachweist, dass mehreren "Alten Herren" spätestens im Sommer 2019 bekannt war, dass sich unter anderem Rechtsradikale im Normannenhaus treffen. Milleker äußerte sich jetzt schriftlich: "Ich war zum fraglichen Zeitpunkt einfaches Mitglied und (zu?) sehr mit anderen Themen im Leben beschäftigt."

Selbstkritisch müsse er einräumen, sich seinerzeit mit der Erklärung seitens des damals amtierenden Vorsitzenden Egon Manz, "die Sache sei aufgeklärt", zufrieden gegeben zu haben – statt, wie in anderen Fällen, einen Strafantrag beziehungsweise Ausschlussverfahren selbst zu stellen und/oder zu unterstützen. "Die jüngsten Vorkommnisse, die mir zu Ohren gekommen sind, sind in allen Bestandteilen – politischer Extremismus, Antisemitismus, Gewaltdelikte und das Missachten von Gastfreundschaft – widerlich und abstoßend", so Milleker weiter.

Nichts davon habe bei einer akademischen Burschenschaft etwas zu suchen. "Die Burschenschaft Normannia wird aus meiner Sicht selbstkritisch prüfen müssen, ob die reine Trennung von der Aktivitas ausreicht oder noch weitergehende Schritte erforderlich sind, nachdem zuvor sämtliche Mechanismen der Selbstkontrolle komplett versagt zu haben scheinen", so Milleker abschließend.

Unterdessen hat sich auch die Aktivitas der Akademischen Damenverbindung Nausikaa zu Heidelberg am Montag auf Facebook von der Normannia distanziert. "Wir sind erschüttert über die Vorkommnisse, die seit dem 29. August 2020 zu Tage getreten sind", heißt es dort. "Jede Beleidigung, jeden tätlichen Angriff auf Menschen unserer Gesellschaft verurteilen wir aufs Schärfste." Und weiter: "Niemand sollte aufgrund seiner Herkunft, Religion, sexuellen Identität oder anderer Diskriminierungsgründe Angriffen oder der Angst vor solchen ausgesetzt sein."

Als akademische Damenverbindungen fühle man sich Werten verpflichtet, die ein wertschätzendes Miteinander als Basis eines gegenseitigen Umgangs voraussetzen. Zu Studentenverbindungen, welche diese Werte durch ihr Handeln und ihre Äußerungen mit Füßen treten, habe man schon in der Vergangenheit jeden Kontakt vermieden und werde auch in Zukunft keinen pflegen. Damit ist die Nausikaa nicht allein. Nach RNZ-Informationen hat die Normannia schon seit Jahren bei mehreren Verbindungen Hausverbot.

Update: Mittwoch, 14. Oktober 2020, 21.12 Uhr


Druck auf Normannia und Mannheimer CDU wächst

Von Sarah Hinney

Heidelberg. Nicht nur der Druck auf die Burschenschaft Normannia wächst – auch der CDU Kreisverband Mannheim steht jetzt im Fokus. Nachdem die RNZ am Samstag veröffentlicht hatte, dass Egon Manz, stellvertretender Vorsitzender des CDU-Kreisverbands, bereits im August 2019 unter anderem darüber informiert war, dass sich Rechtsradikale im Normannenhaus in Heidelberg treffen, hatte der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume, auf Twitter geschrieben: "Für mich ist es völlig unverständlich, wie jemand gleichzeitig in der früheren, weiterhin mit Antisemitismus durchsetzten NS-Kameradschaft Normannia Heidelberg und in einer demokratischen Partei Mitglied sein kann." Hier sei eine klare Entscheidung fällig, gegebenenfalls durch die CDU.

In einer Pressemitteilung hatte das auch die Mannheimer SPD gefordert. Die neuesten Enthüllungen rund um die sogenannte "Gürtelung" eines Studierenden aus antisemitischen Motiven und die Entlassung eines "Altherren" als Geschäftsführer im MVV Konzern, nachdem ein Foto nebst einem Hitlergruß veröffentlicht wurde, stellen dabei scheinbar nur die Spitze des Eisberges einer jahrelangen Aneinanderreihung von rechtsradikalen und antisemitischen Vorfällen dar, so die stellvertretende Vorsitzende Isabel Cademartori.

Am späten Samstagabend hatte Manz der RNZ schriftlich seinen Austritt aus der Normannia erklärt. Am Sonntag schrieb der Mannheimer CDU-Vorsitzende Nikolas Löbel auf Twitter: "Herr Manz hat mir nach einem langen gemeinsamen Gespräch erklärt, dass er auf Grund der Vorkommnisse in der Normannia seine Mitgliedschaft mit sofortiger Wirkung beendet."

Eine weitere Erklärung der CDU folgte nicht. Der SPD Mannheim reicht das nicht. "Das ist erst auf massiven öffentlichen Druck geschehen und wenig glaubwürdig. Ich kann mir vorstellen, dass die CDU glaubt, die Sache sei damit erledigt. Spätestens jetzt muss sich die CDU Mannheim zur Rolle von CDU-Vize Egon Manz bei der rechtsradikalen Burschenschaft Normannia aber erklären", sagte Cademartori auf RNZ-Nachfrage am Montag.

Die RNZ hatte Manz vergangene Woche mit einer E-Mail konfrontiert, aus der hervorgeht, dass er und fünf weitere "Alte Herren" bereits vor über einem Jahr wussten, dass sich die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Identitäre Bewegung (IB) regelmäßig im Normannenhaus trifft, ein Aktivitas-Mitglied den Holocaust verleugnet und mehrfach den Hitlergruß gezeigt haben soll. Manz hatte angegeben, er habe die Vorwürfe für einen "Racheakt gehalten", sei ihnen deshalb nicht nachgegangen.

Zu dem Foto, das vor einer guten Woche vom linken Mediennetzwerk Indymedia veröffentlicht wurde und insgesamt drei Personen zeigt – darunter einen Burschenschaftler im Normannenhaus beim Hitlergruß und den inzwischen entlassenen MVV-Regioplan-Geschäftsführer sitzend daneben – hatte Manz gegenüber der RNZ geäußert, dass dieser "Alte Herr" das mit dem Hitlergruß vermutlich nicht mitbekommen habe, weil er nach vorne schaue. Der RNZ liegen zwischenzeitlich allerdings mehrere Fotos aus dieser Situation im Normannenhaus vor, die beweisen, dass die Szene zumindest so lange gedauert hat, dass sich eine weitere Person mit ins Bild stellen konnte. Auf drei der Bilder hebt ein Mann den rechten Arm zum Hitlergruß und der Ex-MVV-Regioplan-Geschäftsführer daneben sitzend den rechten Arm mit Bierglas steil nach oben.

Update: Montag, 12. Oktober 2020, 21.59 Uhr


Heidelberg. (shy) Der ehemalige Mannheimer Kriminalhauptkommissar und stellvertretende Vorsitzende des Mannheimer Kreisverbandes der CDU, Egon Manz, hat die RNZ am späten Samstagabend per E-Mail darüber informiert, dass er seine Mitgliedschaft in der Burschenschaft Normannia Heidelberg mit sofortiger Wirkung beendet hat.

Hintergrund: die RNZ hatte in ihrer Samstagsausgabe berichtet, dass fünf "Alte Herren" der Normannia, darunter auch Manz, bereits 2019 darüber informiert waren, dass sich Rechtsradikale im Normannenhaus treffen. Gegenüber der RNZ gab Manz an, er sei dem nicht nachgegangen, weil er die Vorwürfe für einen "Racheakt" gehalten habe. Manz war 2019 Vorsitzender der Burschenschaft. 

Update: Sonntag, 11. Oktober 2020, 18.13 Uhr


Noch wohnen zwei Ehemalige der Aktivitas im Normannenhaus. Foto: Philipp Rothe

Von Sarah Hinney

Heidelberg. Erst der mutmaßliche antisemitische Übergriff im Haus der Burschenschaft Normannia Ende August, dann das Foto, das einen Burschenschaftler im Normannenhaus beim Hitlergruß zeigt – nun ist gewiss, dass der Vorstand der Normannia bereits vor über einem Jahr darüber informiert war, dass sich Rechtsradikale unter den Mitgliedern der "Aktivitas" befanden.

Der RNZ liegt ein Schreiben eines ehemaligen Mitglieds vor, in dem es unter anderem heißt: "So ist unser Verbindungshaus seit geraumer Zeit Treffpunkt der örtlichen rechtsradikalen Szene." Ferner steht in der E-Mail, dass die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Identitäre Bewegung (IB) dort regelmäßige Stammtische durchführe und politische Aktionen plane. Ein Aktivitas-Mitglied soll zudem den Holocaust verleugnet und mehrfach den Hitlergruß gezeigt haben. Das Schreiben wurde am 30. August 2019 an fünf "Alte Herren" der Normannia per E-Mail gesendet.

Unter anderem an den damaligen Normannia-Vorsitzenden Egon Manz, aber auch an David Milleker, langjähriger Chefvolkswirt bei Union Investment. Nachdem die RNZ Egon Manz am Donnerstag mit dem Schreiben konfrontiert hatte, fand am Freitagmorgen ein Gespräch mit dem ehemaligen Mannheimer Kriminalhauptkommissar und stellvertretenden Vorsitzenden des Mannheimer Kreisverbandes der CDU statt.

Manz erklärte, dass es zu den Vorwürfen 2019 interne Ermittlungen im Haus der Normannia gegeben habe. Diese hätten ergeben, dass es sich bei dem Schreiben "um einen Racheakt" eines anderen Normannen wegen Streitigkeiten innerhalb der Aktivitas gehandelt habe. Die Polizei sei daher nicht eingeschaltet worden. Der Autor der E-Mail habe das Haus später freiwillig verlassen, "um einem Rauswurf zuvorzukommen".

Wenige Wochen später habe es einen weiteren Vorfall gegeben. Ein Mitglied der Aktivitas habe sich am Telefon mit "Heil Hitler" gemeldet – auch dieser Mann habe daraufhin die Normannia verlassen müssen. "Danach war Ruhe und das war überhaupt das erste Mal, dass ich auf diesem Haus mit einem rechtsradikalen Vorfall konfrontiert war", so Manz. Dass ein Student der Heidelberger Verbindung Rupertia bereits am 1. Mai 2019 von mehreren Normannia-Mitgliedern in der Altstadt antisemitisch beschimpft und später so geschlagen worden sei, dass das Opfer dabei einen Zahn verloren habe, davon habe er nichts gewusst. Und dass ein Mitglied der Normannia in diesem Zusammenhang vom Amtsgericht Heidelberg am 22. Juni 2020 wegen gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen wurde, habe er erst aus der RNZ erfahren.

Nachdem öffentlich wurde, dass ein Student der Verbindung Afrania mit Gürteln geschlagen und antisemitisch beleidigt worden sein soll, habe er die achtköpfige Aktivitas ohne weitere Untersuchung aufgelöst. Zwei der ehemaligen Aktiven wohnen allerdings bis heute in dem Haus, sie hätten noch einen Mietvertrag, so Manz. Einer von ihnen ist Mitglied der Identitären Bewegung. Das will Manz aber nicht gewusst haben. Auf die Frage, wie das sein könne, wo er doch ein Jahr zuvor darüber informiert wurde, antwortet er: "Das habe ich damals nicht überprüft, ich dachte ja, es wäre ein Racheakt."

Manz macht keinen Hehl daraus, dass es innerhalb der Burschenschaft inzwischen mächtig rumore. Rund 90 Alte Herren gebe es in der Normannia. Vier seien im Zuge der jüngsten Vorfälle bereits ausgetreten. "Viele sitzen auf gepackten Koffern – die warten die Gerichtsverhandlung ab", so Manz. Das Rumoren hat sich seit der Veröffentlichung des Fotos, das den inzwischen ehemaligen MVV-Regioplan-Geschäftsführer direkt neben einem Burschenschaftler zeigt, der den Arm zum Hitlergruß hebt, noch verstärkt. "Das so etwas auf dem Haus möglich war, ist eine Schande", betont Manz, vermutet aber gleichzeitig, dass der "Alte Herr" das mit dem Hitlergruß nicht mitbekommen habe, "er schaut ja nach vorne". Die MVV Energie AG hat den Mann Anfang der Woche entlassen, nachdem die RNZ das Unternehmen mit dem Foto konfrontiert hatte.

In Sachen Aktivitas gibt Manz zu: "Aus heutiger Sicht hätte man die schon vor einem Jahr auflösen müssen." Die Mannheimer CDU steht jedenfalls hinter ihrem stellvertretenden Vorsitzenden. Die RNZ-Nachfrage, inwieweit es für eine christlich-demokratische Partei vertretbar sei, in den eigenen Reihen Personen zu haben, die sich im Umfeld von Rechtsradikalen bewegen, weist die CDU die "Unterstellung" zurück. So teilt der Pressesprecher des CDU-Kreisverbandes Mannheim, Christian Hötting, unter anderem mit: "Egon Manz steht auf dem Boden des Grundgesetzes." Auch Manz sagt: "Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich habe alles getan, um das Problem der Normannia zu lösen."