Von Birgit Sommer
Heidelberg. Manchmal schaut man zu tief ins Glas. Wer den Eindruck hat, er trinke zu viel und würde viel lieber wacher und nüchterner durchs Leben gehen, könnte sich in kontrolliertem Trinken üben. Solche Kurse bietet die Fachstelle Sucht des Baden-Württembergischen Landesverbandes für Prävention und Rehabilitation in Heidelberg an – ab 19. Mai erstmals speziell für Ärzte. Die Beratungsstelle betreut auch Betriebe und entwickelt Projekte zur Prävention für Schulklassen. Die RNZ sprach mit der Diplom-Pädagogin Silvie Samoray vom Team der Fachstelle.
Frau Samoray, kontrolliertes Trinken – was ist das?
Es ist ein verhaltenstherapeutisches Konzept, das seit den Neunzigerjahren erforscht wird. Hauptsächlich wird es in Gruppen umgesetzt, weil die Leute super voneinander lernen können und weil sie sehen, dass sie nicht alleine mit ihrem Problem sind. Man kommt nach übermäßigem Alkoholkonsum schlecht aus dem Bett, man ist unkonzentriert, aber all die Begleiterscheinungen werden gedeckelt und nicht nach außen getragen, weil das Thema Umgang mit Alkohol nachteilige Wirkungen in der Gesellschaft haben kann.
Wie sieht das Konzept genau aus?
Es geht zuerst darum, Kontrolle zu gewinnen, indem man ein Trinktagebuch führt: Was, wann, wo und mit wem trinke ich? Danach setzt man sich selbstbestimmte Ziele. Und schließlich sollen die Teilnehmer Strategien finden, wie der Konsum zu kontrollieren ist. Wie sage ich Nein? Wie gehe ich mit der Freizeit oder mit Risikosituationen um?
Man denkt ja: Solange ich es selbst kontrollieren kann, bin ich nicht süchtig.
Auf der einen Seite ja, dann ist der Sucht entgegengewirkt. Sucht bedeutet ja, dass man den Konsum über alle anderen Lebensbereiche stellt, dass letztlich die Lebensqualität nachlässt.
Totale Abstinenz muss also nicht das Ziel sein, man kann lernen, mit Alkohol umzugehen?
Grundsätzlich ja, aber es gibt Menschen, für die ist kontrollierter Konsum nicht das passende Instrument. Die müssen tatsächlich abstinent leben. Aber das kontrollierte Trinken kann für viele eine Alternative sein. Sie lernen, ihren Alkoholkonsum zu reduzieren. Manche wollen dann noch weitergehen, weil sie gesehen haben, dass es ihnen richtig guttut, wenn sie keinen Alkohol trinken, dass sie mehr Kraft und Lebenslust gewinnen.
Warum wird solch ein Kurs speziell für Ärzte angeboten?
Das war eine Idee unseres Teams. Wir lassen öfter mal die Köpfe rauchen und überlegen, wie wir passende Angebote schaffen können. Uns ist aufgefallen: Für Ärzte ist es ein Doppel-Stigma. Sie verheimlichen den Alkoholkonsum und haben Schwierigkeiten, Hilfe zu suchen, weil sie Angst haben, dass das Problem nach draußen getragen wird.
Ärzte wissen, dass man wenig trinken soll, sind aber auch nur Menschen. Es gibt ja auch welche, die rauchen.
(lacht) Es gibt auch Suchtberater, die rauchen. Es ist ein schwieriger Prozess, übermäßigen Konsum abzulegen. Wir haben festgestellt, dass es für Ärzte schwer ist, sich Hilfe zu holen. Deshalb bieten wir auch Einzelkurse an, wenn man sich gar nicht in die Gruppe traut. Aber man hat auch in den kleinen Gruppen die Möglichkeit, ohne Namensnennung teilzunehmen, sich Verschwiegenheit zu versprechen. Wir bieten im Augenblick vier Plätze in der Gruppe an. Wenn die Resonanz auf unseren Kurs groß wäre, könnten wir auch größere Räume organisieren.
Was kostet der Kurs?
Mit zehn Mal zwei Stunden kostete der Kurs 530 Euro inklusive Material. Auch ein Einzelkurs kostet so viel. Er geht nur über zehn Stunden, aber die Teilnehmer bekommen mehr Aufgaben für zu Hause. Leider sind Kurse zum kontrollierten Trinken oder zum Konsum illegaler Substanzen Selbstzahlersache – anders als bei den abstinenzorientierten Reha-Kursen, die von Kasse oder Rententräger finanziert werden. Doch Angebote, die früher ansetzen, sind wichtig. Unser Ziel ist es, auch dafür Kostenträger zu finden.
Wie erfolgreich sind solche Kurse zum kontrollierten Trinken langfristig?
Die Erfolgsquote liegt nach einem Jahr bei durchschnittlich 65 Prozent. Zehn bis 30 Prozent der Teilnehmer schaffen den Übergang in die Abstinenz, und der Alkoholkonsum wird signifikant und klinisch bedeutsam reduziert.
Info: Fachstelle Sucht Heidelberg, Unterer Fauler Pelz 1, Tel. 06221 / 23432, E-Mail: fs-heidelberg@bw-lv.de.