Von Julia Lauer
Heidelberg. Am Freitag waren in Heidelberg 497 Kontaktpersonen ersten Grades in Quarantäne, außerdem die Corona-Infizierten. Einige von ihnen haben mit der Medizinstudentin Sonja Klein gesprochen, die für das Gesundheitsamt tätig ist. Die RNZ hat sie zu ihrer Arbeit interviewt.
Frau Klein, Sie sind Kontakt-Ermittlerin am Gesundheitsamt. Sie haben vorgeschlagen, unseren Telefontermin vor Ihren Dienstbeginn zu legen und nicht in Ihre Arbeitszeit. Die Drähte im Gesundheitsamt laufen coronabedingt vermutlich ohnehin schon heiß?
Über die Hotline kommen zum einen Anrufe rein, und dann gibt es noch unser Ermittlungsteam, wir nehmen Kontakt zu denjenigen auf, die mit dem Coronavirus infiziert sind. Wir rufen sie an, um herauszufinden, zu wem sie Kontakt hatten. Es wird also in der Tat viel telefoniert.
Sie sind Medizinstudentin, seit März arbeiten Sie beim Gesundheitsamt in der Kontaktverfolgung. Wenn Sie einen Anruf tätigen: Wie läuft das ab?
Wir stellen zuerst einmal sicher, die infizierte Person am Telefon zu haben, und fragen, wie es ihr geht. Wir wollen auch wissen: Wen haben Sie gesehen? Und wo könnten Sie sich angesteckt haben? Wir bitten die Infizierten, die Kontaktdaten derer, die als Kontakte ersten Grades zählen, in ein Formular einzutragen. Wenn diese dann den Kontakt bestätigen, bekommen sie von uns einen Quarantänebescheid. Manche Kontaktpersonen haben aber keine Email-Adresse oder wollen lieber angerufen werden, bei denen melden wir uns telefonisch.
Das heißt, Sie rufen gar nicht alle Kontaktpersonen an? Man liest manchmal, dass Gesundheitsämter allen Kontaktpersonen hinterhertelefonieren.
Das unterscheidet sich von Kreis zu Kreis. Am Gesundheitsamt, das für den Stadtkreis Heidelberg und den Rhein-Neckar-Kreis zuständig ist, haben wir anfangs auch alle Kontaktpersonen angerufen, aber das machen wir jetzt nicht mehr automatisch. Selbstverständlich greifen wir in unklaren Fällen oder bei Rückfragen immer noch zum Telefon.
Ist das so, weil die Infektionen nun so stark steigen, dass Sie mit dem Telefonieren nicht mehr hinterherkommen?
In Heidelberg sind wir schon vor ein paar Monaten auf die elektronische Erfassung umgestiegen – auch, weil es praktischer ist. Wie viel man schafft, hängt natürlich davon ab, wie man personell aufgestellt ist. Manche Leute hatten Kontakt zu 50 Personen oder mehr. Lehrer oder Schüler zum Beispiel haben uns vor der Einführung der Maskenpflicht im Unterricht manchmal 60 oder 80 Kontaktpersonen genannt.
Wenn man die alle anrufen wollte, bräuchte man vermutlich viel mehr Personal. Auf wie viele Telefonate kommen Sie denn jetzt an einem Tag?
Wahrscheinlich auf zehn bis 20. Manchmal dauert ein Telefonat auch länger, mitunter eine Dreiviertelstunde.
Warum so lange?
Wenn die Menschen vom Hausarzt oder von der Klinik informiert worden sind, kennen sie in der Regel schon das Testergebnis. Aber wer sich beispielsweise im Testzentrum in Kirchheim testen lässt oder an der Teststraße in Reilingen, erfährt das Ergebnis in der Regel von uns. Von den Testzentren erhalten wir die Kontaktdaten, dann rufen wir an. Ein positives Ergebnis müssen Infizierte oft erst einmal verdauen, das braucht ein bisschen Zeit. Manche haben auch schlicht sehr viele Fragen.
Die Quarantäne beginnt entweder mit den Symptomen – oder mit dem Testergebnis. Wie reagieren die Menschen, wenn Sie ihnen sagen, dass sie zu Hause bleiben müssen?
Die meisten sind freundlich und kooperativ. Manche machen sich auch Sorgen. Sie fragen zum Beispiel: "Erfahren die Nachbarn, dass wir erkrankt sind?" Das kam schon häufiger vor, die Angst vor Stigmatisierung ist groß. Und wir fragen auch sehr detailliert nach, um herauszufinden, wo die Ansteckung stattgefunden haben könnte. Wir wollen wissen, wo jemand war, zu wem er Kontakt hatte. So viel preiszugeben, ist vielen unangenehm.
Da Sie auf Ansteckungen zu sprechen kommen: Welche Orte sollte man meiden?
Obwohl wir genau fragen, können wir den Ort der Ansteckung oft nicht so klar bestimmen. Am ehesten gelingt das, wenn die Infektion in der Schule oder am Arbeitsplatz stattfand.
Kommt es auch vor, dass jemand am Telefon nicht einsieht, dass er in Quarantäne soll?
Manchmal sagt jemand: "Warum sollte ich als Kontaktperson 14 Tage zu Hause zu bleiben? Ich habe doch nichts." Wir erklären dann, dass man auch ohne Symptome ansteckend sein kann und es mitunter lange dauert, bis Anzeichen einer Erkrankung auftreten. Wenn die Leute andeuten, dass ihnen das egal ist, machen wir darauf aufmerksam, dass ein Verstoß gegen die Quarantäneanordnung ein Ordnungswidrigkeitenverfahren nach sich zieht. Wenn wir einen begründeten Verdacht haben, dass sich jemand nicht daran hält, geben wir der zuständigen Polizeibehörde Bescheid.
Gibt es bei den Quarantäneregeln Aspekte, die die Leute überraschen?
Kontaktpersonen ersten Grades sind oft erstaunt zu hören, dass sie 14 Tage lang in Quarantäne müssen, der Erkrankte bei leichtem Verlauf aber nur zehn Tage. Wenn wir erklären, warum das so ist, verstehen sie es. Und die Isolation von Familienangehörigen wirft oft praktische Fragen auf. Mit gemeinsamen Fernsehabenden hat es sich beispielsweise fürs Erste erledigt. Ehepartner sollen auch nicht zusammen in einem Bett schlafen, noch nicht einmal in einem Raum.
Was machen Sie, wenn jemand kein Deutsch spricht?
Sprachprobleme gehören zu unserem täglichen Geschäft. Zuerst gucken wir, ob jemand im Amt die Sprache spricht, gegebenenfalls ziehen wir einen Dolmetscher hinzu. Wir scheuen keine Mühen, um sicherzustellen, dass wir verstanden werden.
Inzwischen sind einige Gesundheitsämter an ihre Grenzen gelangt. Wie ist die Situation in Heidelberg?
Zum Glück haben wir fürsorgliche Vorgesetzte. Sie sind auch nach schwierigen Gesprächen unterstützende Ansprechpartner. Es kommt vor, dass wir Kontaktpersonen am Apparat haben, die besorgt sind, weil die infizierte Person inzwischen auf der Intensivstation liegt. Es ist auch schon passiert, dass die Angehörigen sagten: Der Patient ist gestorben. Solche Dinge erleben wir auch.