Wenn der Kitaspeiseplan zur Garantie für ein Reizdarmsyndrom wird
Der Heidelberger Mediziner Gunter Frank über Rohkost und schädliche Kräuter, über die Lust auf Süßes und Verlegenheitsdiagnosen

Vom Wochenmarkt zum Herd, vom Kochwissen zur Wissenschaft: Gunter Frank, Léa Linster und Michael Wink (v.l.) haben das Beste über Gesundheit und Genuss im Buch zusammengetragen. Foto: Susanne Krauss
Von Birgit Sommer
Heidelberg. In diesem Buch steckt ganz viel Herzblut von Gunter Frank (54) drin. Der Heidelberger Arzt und Autor zeigt in "Karotten lieben Butter", wie Kochwissen und Gesundheit zusammenhängen und warum die klassischen Zubereitungen die bekömmlichsten sind. Beim Lesen unternimmt man einen unterhaltsamen Ausflug zur Luxemburger Sterneköchin Léa Linster. Deren handwerkliches Können schlägt sich auch in den einfach nachzukochenden, traditionellen Rezepten nieder. Was die Menschen essen oder vielleicht lieber nicht essen sollten, erklärt der Evolutionsbiologe Michael Wink, Direktor am Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie der Universität Heidelberg. Er ist Experte für Heil-, Gift- und Rauschpflanzen. "Am Ende geht es aber darum, eine menschliche Kulturleistung zu genießen", empfiehlt Gunter Frank im RNZ-Interview.
Herr Dr. Frank, wir lernen seit Jahrzehnten, was gesundes Essen ist: Obst, Gemüse, Vollkorn ... Da sind Sie aber ganz anderer Meinung.
Ja, denn meine Patienten machen damit oft keine guten Erfahrungen.
Ist Rohkost nicht das natürlichste Essen?
Wir haben im Vergleich zum Menschenaffen einen verkleinerten Dickdarm. Dadurch reduzierte sich die Auswahl an essbaren Pflanzen drastisch. Doch Menschen erfanden das Kochen. Der Heidelberger Evolutionsbiologe Michael Wink erklärt den unglaublichen Einfallsreichtum unserer Vorfahren, mit dem in den verschiedensten Kulturen Wege gefunden wurden, den Speisezettel dennoch zu erweitern. Über Schälen, Züchten, Fermentieren und Auswaschen konnten pflanzliche Abwehrstoffe so vor dem Verzehr eliminiert werden. Das ist wichtig, denn diese Stoffe verursachen die verschiedensten Beschwerden und behindern oft sogar die Aufnahme von Nährstoffen. Deswegen vertragen nur wenige Rohkost. Kranke sollten erst recht keine Vollwertkost bekommen.
Welche Idee steckt hinter Ihrem Buch?
Das wichtige Ernährungswissen von Professor Wink und dessen praktische Auswirkungen, die ich als Arzt sehe, kommen in der aktuellen Ernährungsdiskussion viel zu kurz. Wir wollten aber ein Buch schreiben, das nicht theoretisiert, sondern dieses Wissen praktisch und leicht verständlich direkt beim gemeinsamen Einkauf, dem Kochen und dem Genuss eines traditionellen Menüs erläutert. Jetzt fehlte im Team nur noch eine Köchin, die die alten Traditionen meisterlich beherrscht, und dafür gibt es eine Idealbesetzung: Léa Linster. Heraus kam die beruhigende Botschaft: Wer alte Traditionen und Rezepte handwerklich korrekt umsetzt, macht es richtig. Solche Speisen sind am besten auf unsere Verdauung angepasst und führen deshalb zu Bekömmlichkeit, geschmacklichem Erleben und entspannendem Genuss. Etwas, das in modernen Ernährungsempfehlungen oft zu kurz kommt.
Die Sterneköchin Léa Linster bringt also den Genuss in das Buch. Was macht sie besonders gut?
Als wir uns beim SWR-"Nachtcafé" kennenlernten, imponierte mir sehr, wie sie für eine gute Küche und Qualität brennt. Sie steht wie keine zweite für handwerkliche Meisterschaft und Freude am Essen. Neben ihren Originalrezepten steuerte sie zum Buch aber auch fantastische Geschichten rund ums Essen und eine gehörige Prise Humor bei.
Ergab sich aus dieser Zusammenarbeit für Sie auch Neues?
Vor allem die Bestätigung, wie gut sich Kochtraditionen wissenschaftlich erklären lassen. Überraschendes aber im Detail: Zum Beispiel sollte der heimische Salbei zum Gurgeln verwendet werden, während Salbei aus dem Mittelmeerraum ohne Probleme verzehrt werden kann. Saltim bocca ist ein römischer Klassiker. Auch Kräuter wie die Petersilie haben eine interessante Kulturgeschichte.
Welche?
Eines der größten Tabus des Mittelalters war die Nutzung hoch dosierter Kräuter für eine Abtreibung. Es gibt beispielsweise ein arabisches Gericht mit sehr viel Petersilie namens Tabouleh. Im Libanon kennt man den Spruch: Bist du schwanger, esse kein Tabouleh. Das sage ich nun auch meinen schwangeren Patientinnen, bevor sie ein arabisches Restaurant besuchen. Prof. Wink nennt viele Beispiele, die zeigen, man darf an das Thema Kräuter wirklich nicht naiv herangehen.
Auch Rapsöl ist laut Buch nicht so gesund, wie man denkt?
Man subventionierte massenweise Rapsöl, um Biodiesel daraus herzustellen. Doch nun sitzt man auf unverkäuflichen Riesenmengen. Da man neue Abnehmer braucht, gilt Rapsöl plötzlich als ganz besonders gesund. Stimmt aber nicht, Sonnenblumenöl oder Olivenöl sind genauso gut. Man kann es mit Humor nehmen. So schlägt Léa vor, Rapsöl lieber zum Polieren der Möbel zu verwenden.
Was halten Sie von der Glutenunverträglichkeit? Auch ein modernes Phänomen.
Es handelt sich meist um Verlegenheitsdiagnosen. Nur die Zöliakie ist eine seltene, genau definierte Krankheit, ausgelöst durch Gluten. Bei den meisten Unverträglichkeiten wird der Verdauungsapparat mit nicht richtig zubereiteter Nahrung belastet, in der giftige Abwehrstoffe der Pflanzen noch aktiv sind.
Beim Brot zum Beispiel?
Ja. Das Getreideeiweiß Gluten muss durch Hefe und Bakterien inaktiviert werden, damit das Brot verträglich wird. Das geschieht durch die indirekte Teigführung, eine kulturelle Meisterleistung des Menschen. Ein solch traditionell hergestelltes Brot vertragen oft sogar Zöliakiepatienten. Doch Veränderung der Rezepturen, kürzere Zubereitungszeiten, Backtriebmittel, Vollkorn und aus Gluten hergestellte Geschmacksverstärker machen diese Wirkung zunichte. Besonders problematisch finden wir, wenn aus Weizeneiweiß, das als Rest der industriellen Stärkegewinnung billig zu haben ist, dann vegane Würstchen produziert werden. So etwas regelmäßig auf dem Speiseplan von Kitas ist fast schon eine Garantie für ein Reizdarmsyndrom. Auch Fonds und Soßen werden heute vielfach nur noch als schnelle Imitate serviert.
Sind traditionelle Rezepte nicht zu kompliziert für das Kochen zuhause? Die Menschen haben keine Zeit, stundenlang Fonds herzustellen.
Sicher, gute Küche braucht Zeit und damit Organisation. Aber schon kleine Verbesserungen können viel bewirken. Mir ist aber auch das Thema Gemeinschaftsverpflegung sehr wichtig. In den Kantinen von Schulen, Betrieben und Krankenhäusern könnte man beispielsweise ganz hervorragend traditionell kochen. Die Buden wären gerammelt voll. Stattdessen setzt man auf fragwürdige Vorgaben, Stichwort: salz-, fett- oder jetzt sogar zuckerfrei, gepaart mit Geschmacksverstärkern.
Zu viel Fett und Salz essen ist nicht ungesund?
Die krankmachende Wirkung von Fett oder Salz konnte wissenschaftlich nie bewiesen werden. Es ging immer um Ökonomie, indem man beispielsweise Butter schlecht redete, um Margarine besser verkaufen zu können. Die Argumente, sich auf klassische Rezepturen, inklusive Fett und Salz, zu verlassen, sind einfach besser. So bekommt der Körper genau das, was er braucht, in der Form, in der er es am besten nutzen kann.
Gerade wird der Zucker zum großen Thema.
Die angeführten Beweise gegen Zucker sind in Wirklichkeit nicht sehr überzeugend. Süßstoffe dagegen sind schon lange in der deutschen Futtermittelverordnung als Masthilfe zugelassen. Wer für eine Zuckersteuer ist, wird lediglich erreichen, dass der Süßstoffanteil beispielsweise in den Getränken erhöht wird. Ist das nicht verrückt?
Also lieber echte Cola trinken als Cola light?
Einfach, was besser schmeckt. Aber wer bei Lightgetränken zunimmt, weiß nun, warum. Letztlich stecken hinter den modernen Empfehlungen andere Absichten. Man positioniert sich politisch, gesellschaftlich und moralisch. Doch wir möchten mit unserem Buch klarstellen: Ernährung ist in erster Linie biologisch zu verstehen. Und wer dabei auf Qualität, Traditionen und Handwerklichkeit setzt, fährt viel besser, übrigens auch beim Tierschutz.
Und wenn Kinder viel Süßes essen?
Wenn Kinder ständig naschen, bedeutet das vor allem, dass sie keinen Zugang zu kindgerechten Hauptmahlzeiten haben. Und dieses Defizit kompensieren Kinder naturgemäß durch den einfachsten Zugang zu Energie: Zucker. Kinder, die regelmäßig traditionelle, warme und schmackhafte Mahlzeiten vorfinden, stürmen zu Hause nicht die Schubladen auf der Suche nach Süßem. Wir sollten einfach mal innehalten und nachdenken. Meine Töchter beispielsweise gehen auf eine Schule, in der sie als Folge von G-8 meist nach 14 Uhr oder später nach Hause kommen - hungrig. Denn dort gibt es nichts Warmes zu essen. Was solche Kinder brauchen, sind keine moralisierenden Warnungen, sondern ein ordentliches Essensangebot.
Viele Kinder mögen zum Leidwesen der Mütter nur wenige Gerichte, essen also ziemlich einseitig.
So lange die Kinder gut gedeihen, macht es überhaupt nichts, wenn sie phasenweise nur Spaghetti mit Tomatensoße und Nutella-Brot essen. Aber natürlich sollte man Kindern Abwechslung anbieten, und zwar in Form von Originalrezepten und keinen Imitaten. Kinder lernen dann ohne Druck, dass ihr Appetit ihr Freund und nicht ihr Feind ist. So öffnet man ihnen den Weg zu einem kulinarischen Genuss, der einen Gutteil unserer Lebensfreude und unserer Kultur ausmacht.



