Doris Mayer von der Initiative "Each1Teach1" freute sich über die Auszeichnung - und die begeisterte Laudatio von IBA-Chef Michael Braum (Mitte) und Rapper Toni L. (rechts). Foto: joe
Von Sebastian Riemer
Die Internationale Bauausstellung (IBA) in Heidelberg - seit zweieinhalb Jahren wurschtelt sie sich so durch. Ihre Stadtteilspaziergänge, Diskussionen und Tagungen wurden von den meisten Heidelbergern ignoriert. Zwei Kuratoriumsmitglieder traten im Sommer zurück, auch, weil ihnen die internationale Strahlkraft der Bauausstellung fehlte. Zwar gibt es mittlerweile vier IBA-Projekte - überregional Eindruck schinden wird wohl keines von ihnen. Ob es nicht besser wäre, die IBA schnell zu beerdigen, fragen städtische Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand.
Und nun das: Da lobt die IBA einen kleinen Wettbewerb für junge Heidelberger aus - und zeigt eindrucksvoll, was sie zu leisten imstande ist. Welchen Enthusiasmus sie wecken kann. Am Donnerstag wurden im Kreativwirtschaftszentrum Dezernat 16 die Preise zu "Dein Ort - Dein Blick" verliehen. "Wo in Heidelberg ist für euch der perfekte Ort zum Lernen und Ideen schmieden?", hatte die IBA Schüler und Studenten gefragt.
Und die Schüler der Klasse 6c des Hölderlin-Gymnasiums haben sie einfach mal gesammelt, ihre Lernoasen in Heidelberg. Ihr ergreifendes, großformatiges Buch, ein Unikat, für das die Klasse den ersten Preis in der Schülerkategorie abräumte, zeigt auf 22 Seiten 22 Lieblingsorte von 22 Sechstklässlern - in Text und Bild. Erstaunlich: 20 dieser Plätze sind unter freiem Himmel, viele davon mitten in der Natur. Eine Lichtung im Wald, der Riesenstein am Gaisberg, ein Spielplatz, ein Garten oder ein großer, beschützender Baum. "Dass wir damit etwas gewinnen, hätten wir nie gedacht", sagte Jonathan Bender bei der Preisverleihung. "Wir sind einfach mal rausgegangen und haben die schönen Stellen aufgeschrieben, die nicht in jedem Reiseführer stehen." Rapper Toni L., der als Jurymitglied den mit 600 Euro dotierten Preis übergab, sprach seinen "big respect für euren liebevollen Beitrag" aus.
Eine erstaunliche Antwort auf die Wettbewerbsfrage fanden die studentischen Hauptpreisgewinner: Der Lieblingslernort der Initiative "Each1Teach1" - sinngemäß: "Jeder lehrt jeden" - ist die Flüchtlingsunterkunft. Denn die Macher bringen Asylsuchende mit Heidelbergern zusammen (die RNZ berichtete). Ganz egal, welche Fähigkeiten ein Flüchtling oder ein Heidelberger hat - daraus machen sie einen Workshop. Sie gärtnern zusammen, kochen gemeinsam oder bringen sich gegenseitig Sprachen bei. Jeder kann mitmachen. "Für mich ist die Flüchtlingsunterkunft ein Ort der Begeisterung", sagte Doris Mayer, die den Preis für "Each1Teach1" entgegennahm. "Nirgends habe ich im vergangenen Jahr so viel gelernt." Gemeinsam mit Theresa Leisgang vom Asylarbeitskreis hatte sie die Initiative gegründet.
"Wer hat schon einmal einen Flüchtling getroffen?", fragte Mayer bei der Preisverleihung in die Runde - und nur wenige Hänge gingen hoch. "Das ist es, was wir ändern wollen. Wenn wir uns mehr begegnen würden, würden wir alle mehr lernen und mehr verstehen." Es gehe gar nicht darum, den Flüchtlingen "zu helfen" - sondern darum, sich gegenseitig kennenzulernen. IBA-Chef Michael Braum war von dem Projekt begeistert: "In unserem Land begreifen viel zu wenige, was ihr macht: Dass man voneinander am meisten lernt. Dass genau das die Zukunft ist."
Eigentlich hatte an diesem Abend auch Doris Mayers Freund, Abdoulie Manneh, dabei sein sollen. Doch der 26-jährige Gambier konnte nicht kommen. "Er ist heute Morgen abgeholt worden", erzählte Mayer dem schockierten Publikum. Manneh wurde nach Italien abgeschoben, das europäische Land, das er zuerst betrat - dort muss er laut Dublin-Verordnung Asyl beantragen. Dass er sich in Heidelberg einbrachte, rasend schnell Deutsch lernte, bei zahlreichen Projekten half und sich viele für ihn einsetzten - das alles half nichts.
Oft wird gefordert, dass in großem Stil Beton fließen muss, um die Bauausstellung zu einem Erfolg zu machen. Die beiden Hauptgewinner widerlegten diese Erwartung eindrucksvoll - und ganz im Sinne des IBA-Mottos "Wissen schafft Stadt". Denn die Ideen und die Orte des Lernens sind ja schon da - wie die Sechstklässler zeigten. Nun geht es darum, Begegnungen zu schaffen - wie es "Each1Teach1" tut.
Poetry Slammer Philipp Herold, der bei der Preisverleihung einen Text über Heidelberg vortrug, brachte es auf den Punkt: "Es fehlt mir in meiner Stadt ein Knotenpunkt, eine Black Box für die Stunde der Gunst, eine Reibungsfläche, an der es lodert und funkt, die kleinste bereichernde Idee, gefeiert als große Kunst, aus dem eigenen Kopf in die Welt gedacht, eine Werkstattentwicklung selbst gemacht." Wenn alles gut läuft, wird die IBA für Heidelberg doch noch zu diesem Knotenpunkt.