Von Martina Birkelbach
Schönbrunn. "Mit sieben Mädchen läuft der Alltag nicht nebenbei": So lautete die Überschrift unseres Artikels über das Leben der neunköpfigen Familie Deis aus Schönbrunn im Januar 2018. Vater Harry Deis (39 Jahre) stammt aus Kant (Kirgistan), Mutter Alexandra (43 Jahre) aus Topolnoje (Russland). Ende 1989 bzw. Anfang 1991 haben sie die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.
Seit 2013 lebt Familie Deis in Schönbrunn. "Wir sind in unserem Gottvertrauen glücklich", sagten die Eltern, die ihren Alltag mit den sieben Mädchen, dem Border-Collie "Lass" und den drei Hasen im mit Holz und Kohle beheizten Bauernhaus in der Hainbuchenstraße strukturiert angingen. Wie die Familie jetzt den "neuen" Alltag mit Corona meistert, erzählt Harry Deis im Interview.
Herr Deis, zuerst die wichtigste Frage: Wie geht es Ihnen gesundheitlich, Ihnen und ihrer Frau sowie den Töchtern Anastasia (14 Jahre), Daria (12), Alice (10), Adelheid (8), Estelle (7), Damaris (5) und Christina (2)?
Gott sei der Dank, zurzeit geht es uns gesundheitlich allen gut.
Sie sind noch immer zu neunt – oder hat es weiteren Nachwuchs gegeben?
Jawohl, es ist dabei geblieben, wir sind immer noch zu neunt.
Sie haben unter anderem eine Ausbildung bei der Firma Dilo absolviert, später als Disponent beim Missionswerk "Friedensstimme" in Marienheide gearbeitet, wo sie auch Ihre Frau kennenlernten, die nach einer Ausbildung zur Köchin im Verlag arbeitete. Nach dem Studium zum Master in Ingenieurwissenschaften haben Sie begonnen in der christlichen Grund- und Werkrealschule in Öhringen zu arbeiten. Diese Schule haben vor zwei Jahren auch vier Ihrer Töchter besucht. Wie viele Töchter waren dort zuletzt, seit wann ist die Schule geschlossen?
Zuletzt besuchten fünf unserer Töchter die Schule. Die Schule wurde – wie auch alle anderen Schulen in Baden-Württemberg – ab Dienstag, 17. März, geschlossen.
Wie haben Sie den Mädchen die aktuelle Situation erklärt und wie kommen die Kinder damit klar?
Tatsachenberichte, Veränderungen in der Gesetzgebung und persönliche Einschätzung der aktuellen Lage werden allen Kindern meist bei den Tischgemeinschaften mitgeteilt und erklärt. Natürlich nehmen sie durch ihr unterschiedliches Alter diese Informationen unterschiedlich auf. Wo die "Großen" schon ihre eigene Meinung darüber haben und Fragen stellen, haben die "Kleinsten" dagegen noch nicht verstanden, was außerhalb des Hauses überhaupt vor sich geht.
In Ihrem Haus waren oft noch andere Kinder zum Spielen, teilweise waren 20 Kinder und sechs Erwachsene auf einmal zu Besuch. Im Obergeschoss Ihres Hauses bietet ein "Indoorspielplatz" mit Schaukeln jede Menge Platz zum Toben. Wie ist die Situation jetzt?
Sie haben das Wort schon passend gewählt, "waren". Wir haben uns den Gegebenheiten angepasst. Zurzeit gibt es in unserem Haus keine Zusammenkünfte. Der Gesprächs-Austausch findet meist telefonisch, per E-Mail oder mit einzelnen Personen außerhalb des Hauses statt.
Sie sagten damals, Sie sind bemüht nach der biblischen Lehre zu leben, gehören aber keiner Konfession an; "Wenn man uns einer Glaubensrichtung zuordnen will, dann der Glaubenslehre der Baptisten". Die Bibel lag immer griffbereit auf dem Esstisch, ihr Leben war ausgerichtet auf das Wort Gottes. Hat sich daran etwas verändert?
Ja, und zwar in der Form, dass ich persönlich die Bibel jetzt mehr zur Hand nehme, um den inneren Frieden – den man in der aktuellen unsicheren Lage verlieren könnte –, zu bewahren. Das Wort Gottes ist wie eine Richtschnur für unser Leben, und wenn man sich daran hält, so wird man ein vom Herrn gesegnetes Leben haben. Wir dürfen uns durch die vielen Verheißungen Gottes und das Vertrauen auf ihn – gerade in kritischen Zeiten unseres Lebens – glücklich schätzen. Im Psalm 5 den Versen 12 und 13 steht: "Aber alle werden sich freuen, die auf dich vertrauen; ewiglich werden sie jubeln, denn du wirst sie beschirmen; und fröhlich werden sein in dir, die deinen Namen lieben! Denn du, Herr, segnest den Gerechten; du umgibst ihn mit Gnade wie mit einem Schild."
"Unser Fernseher ist draußen", lauteten Ihre Worte vor zwei Jahren. Es gab zwar Internet und ein Smartphone, aber alles wurde nur als "Werkzeug" und "dosiert" genutzt; für üblichen E-Mail-Verkehr, Online-Einkäufe, Schulhausaufgaben und Schauen von ausgewählten Dokumentarfilmen. Wie sieht es jetzt aus mit Fernsehen, mit Internet, WhatsApp oder anderen Verständigungsplattformen? Wie informieren Sie sich derzeit über die sich ständig ändernden Regeln und wie kommunizieren die Mädchen mit ihren Freundinnen?
Am Fernseher-Prinzip, an der im Haus vorhandenen Anzahl der Medien sowie ihrer Nutzung hat sich bis jetzt nichts geändert. Die notwendigen Informationen holen wir uns durch die entsprechenden Internetseiten, Nachrichten im Rundfunk und SMS-Service ein. Die Kommunikation der Mädchen mit ihren Freundinnen findet hauptsächlich über das Telefongespräch, SMS-Schreiben und in brieflicher Form statt.
Donnerstags haben Sie immer einen Großeinkauf gestartet und es landeten riesige Pakete im Einkaufswagen. Gab es da in den vergangenen Tagen Engpässe und gibt es da jetzt eventuell misstrauische Blicke, wenn Sie große Mengen Nahrungsmittel kaufen?
Beide Fragen muss ich bejahen. Bis zum letzten Donnerstag, 19. März, war es für uns beim Lebensmittel-Einkauf nichts Ungewöhnliches das Förderband einer Kasse vollständig zu besetzten. An diesem Tag kam es trotz, dass wir größtenteils uns an die Bitte in haushaltsüblichen Mengen einzukaufen hielten, zu einer Förderband-Besetzung. An der Kasse mussten wir uns dann für unsere haushaltsübliche Menge rechtfertigen. Wir haben die Kassiererin in ihrer Lage verstanden ’Jeder könnte behaupten er habe viele Kinder’, ich bat sie daraufhin, all die Produkte, die nicht in haushaltsüblichen Mengen sind, beiseitezulegen. Bis auf sechs Stück Hefe durften wir jedoch alles dankbar mitnehmen.
Die Nachbarn haben Sie damals sehr gelobt: "Wir helfen uns auch rundherum". Wie sieht es derzeit mit der Nachbarschaftshilfe in Schönbrunn aus?
In der Gemeinde Schönbrunn wird die Nachbarschaftshilfe durch den Dorffunk Schönbrunn – eine Informationsplattform mit ehrenamtlichen Helfern unter dem Motto ’Bürger helfen Bürger’ – aufrechterhalten.
Langeweile war sie für Sie ein Fremdwort. Wie sieht es in diesen Tagen aus?
Den Schulkindern ist es schnell klar geworden, dass es sich hier nicht um Ferien handelt. Vormittags werden die Schulaufgaben erledigt und nach der Mittagspause stehen dann die üblichen Aufgaben in der Haus- und Tierwirtschaft an. Die verbleibende Zeit wird dann durch Spielen im Innenhof oder auf dem hauseigenen Indoorspielplatz verbracht. Ob Langeweile für uns ein Fremdwort bleibt, wird sich mit der Zeit herausstellen.
Urlaub haben Sie bereits in einem christlichen Heim in Bayern gemacht oder in der Normandie. An Urlaub ist zurzeit nicht zu denken. Wie kommen Sie mit der Situation klar?
Urlaub bedeutet für uns: Erholung vom Berufsalltag, mehr Zeit für einander, Dinge sehen und genießen, die man am Wohnort nicht kennt. Die ersten beiden Punkte hat uns ja die jetzige Situation mehr oder weniger gebracht. Auf das andere müssen wir vorübergehend verzichten.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat im Jahr 2017 für die jüngste Tochter Christina die Ehrenpatenschaft übernommen, haben Sie da in diesen Corona-Zeiten in irgendeiner Form Kontakt?
Nein, ich hatte lediglich bei der Übernahme der Ehrenpatenschaft einen kurzen E-Mail-Dialog mit Herrn Steinmeier.
Welche Tipps haben Sie für Menschen mit Kindern, um derzeit besser klar zu kommen?
Jemand sagte mal: Es gibt keine Probleme, es gibt nur Herausforderungen und diese wollen bewältigt werden. Meiner Meinung nach können diese neuen Herausforderungen von Familien und Menschen mit Kindern nur durch ihren Zusammenhalt gut bewältigt werden.
Wenn es darum geht mit Kindern den raumeingeschränkten und zugleich zeitreichen Alltag zu bewältigen, dann ist dabei ein konstruktives Vorgehen wichtig: Gemeinsam wird beispielsweise schon beim Frühstück der bevorstehende Tag mit seinen Aufgaben, Pflichten und der Gestaltung der freien Zeit geplant. Dabei muss allen Beteiligten klar werden, nur wenn wir zusammen an die Sache gehen, sind wir auch stark!
Bei der Planung kann man so vorgehen: Handelt es sich um Aufgaben und Pflichten des Kindes, zum Beispiel die Schulaufgaben, so stehen bei der Bewältigung dieser Aufgaben die Eltern dem Kind zur Hilfe bei. Handelt es sich um Aufgaben die die ganze Familie und deren Wohnraum betreffen, also etwa Essen machen, Großputz, Aufräum- und Renovierungsarbeiten, so stehen die Kinder den Eltern zur Hilfe bei. Handelt es sich um die freie Zeit, so geht man auf die Bedürfnisse des Nächsten ein und gestaltet diese gemeinsam. Möglichkeiten finden sich auch auf beengtem Raum, beispielsweise Malen, Basteln, Brettspiele, gegenseitig Bücher vorlesen, bekannte Lieder gemeinsam singen, im Notfall auch Volleyball im Wohnzimmer (natürlich nur mit einem Luftballon).
Die gemeinsamen aber vielfältigen Tätigkeiten durch den Alltag hindurch binden und stärken die soziale Familienstruktur.