Seckach-Zimmern/Hamburg. (joc) "Hier hat die Weisheit der Berggipfel ihren Fuß an den Strand gesetzt" - so sprechen die Einheimischen über das heilige Dorf Katansama, einem von gleich einer ganzen Reihe von faszinierenden Orten, die Kolumbien zu bieten hat. Die aus dem Seckacher Ortsteil Zimmern stammende und heute in Hamburg lebende Journalistin und Volkswirtin Alexandra Endres hat auf ihrer Reise durch das südamerikanische Land viele solcher Orte kennen gelernt und ist vielen Menschen begegnet. Ihre vielfältigen Eindrücke hat sie in einem soeben erschienen Buch unter dem Titel "Wer singt, erzählt, wer tanzt überlebt - Eine Reise durch Kolumbien" zusammen gefasst.
Dabei entsteht ein ganz anderes Bild als das, welches man hier in Deutschland durch die häufigen Negativschlagzeilen von Kolumbien gewinnt. Wer hierzulande an Kolumbien denkt, dem kommen oft Drogen und Gewalt in den Sinn. Aber Kolumbien ist auch anders: landschaftlich vielfältig mit seinem Regenwald, den Wüsten, schroffen Bergen, grünen Hügeln und heißen Küsten. So verschieden wie das Land - so unterschiedlich sind auch die Menschen an Karibik und Pazifik, die kulturell geprägt sind von afrikanischen, indianischen und europäischen Einflüssen. Freundschaft und Zusammenhalt, der Einklang mit der Natur - das sind dort Werte, die viele weit über dem Leistungs- und Effizienzgedanken ansiedeln. Alexandra Endres hat einige von ihnen kennen gelernt: weltoffene Städter, konservative Landbesitzer, identitätsbewusste Afrokolumbianer, Bergvölker und weise Männer, die althergebrachte Regeln so auslegen, dass sie die Kultur ihrer Gemeinschaften möglichst auch in der Moderne bewahren. Eigentlich war das gar nicht geplant. Im Nordosten Kolumbiens wollte Alexandra Endres nur eine Reportage über eine der größten Steinkohlegruben der Welt recherchieren. Auf der kurzen Reise sah sie dann aber vieles, was lange nachwirkte. Endres wurden die weitreichenden Auswirkungen des Steinkohleabbaus bewusst, der in Kolumbien großen Schaden anrichtet - nicht nur ökologisch. Gewerkschafter, die die unzumutbaren Verhältnisse anprangerten, schwebten in Lebensgefahr, ganz normale Menschen verloren bei der Expansion der Gruben ihre Heimat.
"Es war eine deprimierende Recherche", erinnert sich die deutsche Journalistin. Aber da war noch mehr: "Überall, wo ich hinkam, begegneten mir die Menschen freundlich. Die Kolumbianer sind sehr herzlich und Fremden gegenüber sehr zuvorkommend. Und sie vermitteln - trotz schwerer Bedingungen - Lebensfreude. Das Land hatte mich gepackt", sagt sie später über die erste Begegnung mit Colombia, wie Kolumbien auf spanisch heißt, der Landessprache.
Gesagt, gefühlt - zwei Jahre später kehrte sie zurück, um länger zu bleiben. Aber auch hier lernte sie Kolumbien zunächst eher von der rauen Seite kennen. Gewalt und Konflikte prägten die Zeit des Präsidentschaftswahlkampfs, der auch mit schmutzigen Mitteln geführt wurde. Endres blieb zehn Wochen und arbeitete bei einer Zeitung in der Hauptstadt Bogotá. Sooft sie Zeit fand, reiste sie im Land umher. "Dabei erfuhr ich erneut, dass Kolumbien viel mehr ist als das allgegenwärtige Klischee von Drogen und Krieg. Kolumbien ist ein unheimlich vielfältiges Land, landschaftlich und kulturell. Und vor allem mit faszinierenden optimistischen Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen und den bewaffneten Konflikten eine ungeheure Selbstbehauptungskraft entgegensetzen."
Sie kam ein drittes Mal - und entdeckte dieses Mal die schönen Seiten Kolumbiens. Von ihnen handelt ihr Buch. Die Schilderungen von ganz persönlichen Begegnungen und von reizvollen Landschaften darin sind eine Liebeserklärung an das Land.
Die besondere Atmosphäre spürt man in diesem Buch in jeder Zeile. Die interviewten Menschen sind zunächst Fremde und werden doch schon in vielen Fällen recht bald zu Freunden. Alexandra Endres beschreibt, wie Menschen Gewalt und schnell verdientem Geld widerstehen, mit welchen Lebensformen, welchem Engagement sie Frieden schaffen und für ein besseres Leben kämpfen.
Ein paar Beispiele: In Cartagena trifft sie auf Rafa, den Trommellehrer, der Kindern und Jugendlichen eine Perspektive gibt, sie das Nachdenken über ihr Leben lehrt. Dann gibt es die Cantaoras, die singenden Frauen, deren Lieder den Menschen helfen, ihren oftmals tristen Alltag zu vergessen. Endres erzählt von Álvaro, der in seiner Tanzschule versucht, die Kluft zwischen arm und reich zu überbrücken. Ein eigenes Kapitel ist dem Volk der Arhuaco gewidmet, die in den Bergregionen der Sierra Nevada leben und mit ihrem Glauben, ihren Riten, ihrer Lebensweise alles tun, um die Welt - und ihr Land - ins Gleichgewicht zu bringen.
Einer von ihnen ist Camilo, ein weiser Mann der Arhuaco, der die Botschaften von Wind, Bergen, Pflanzen und Tieren versteht und versucht, durch Rituale die Natur in der Balance zu halten und Katastrophen zu verhindern. Endres begegnete auch Frauen, die während des Bürgerkrieges oder zwischen den Fronten der Drogenmafia unvorstellbare Gewalt erlitten haben, denen es aber gelang, ihre Verletzungen zu überwinden, um für ein friedlicheres, besseres Kolumbien zu kämpfen.
Genau so faszinierend wie diese Menschen ist die landschaftliche Vielfalt und die Schönheit der kolumbianischen Städte, die auch für Touristen allemal eine Reise wert sind: zum Beispiel Cartagena, die Heimat von Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez, mit alten Häusern, Pferdekutschen und noch sehr viel kolonialem Flair; die weiße Stadt Popayán; die archäologischen Stätten von San Agustín; oder das Amazonasgebiet bei Leticia, wo man die Baumkronen der Urwaldriesen besteigen kann und - mit ein bisschen Glück - rosa Flussdelphinen beim Spielen zusehen kann.
Trotz des laufenden Friedensprozesses: Für Touristen sind nicht alle Regionen Kolumbiens sicher. Mancherorts kämpfen immer noch bewaffnete Gruppen gegeneinander, und Fremde, die sich mit den örtlichen Verhältnissen nicht auskennen, sollten sich besser von dort fernhalten. Auch in den Städten gelten Vorsichtsregeln, die in westeuropäischen Städten oft unnötig sind: nachts möglichst nur in belebten Gegenden unterwegs sein, lieber mit dem Auto als zu Fuß, Taxen nicht auf der Straße anhalten, Wertsachen nicht offen zeigen. Doch beherzigt man diese Regeln, steht einem ausgiebigem Kolumbiengenuss, wie ihn Alexandra Endres in ihrem sehr feinfühligen Buch beschreibt, nichts mehr im Wege.
Ihr neues Buch wird Alexandra Endres übrigens auch in ihrer alten Heimat vorstellen. Am Montag, 23. Oktober, ist sie ab 19 Uhr für eine Lesung aus ihrem Kolumbien-Buch in der Buchhandlung Mävers in der Mosbacher Fußgängerzone zu Gast.
Info: Alexandra Endres: "Wer singt, erzählt, wer tanzt, überlebt - Eine Reise durch Kolumbien", DuMont-Reiseverlag, 256 Seiten, ISBN: 978-3-7701-8284-8.