"Herz statt Hetze"

Albrecht von Lucke über die "begrenzte Macht" der Politik

Deutschland bleibt für den Publizisten eine "gefährdete Demokratie". Albrecht von Lucke sprach über Allmachtsuggestion und Verschwörungslegenden.

20.06.2021 UPDATE: 21.06.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 41 Sekunden
„Die Parteien verfügen über keine Autorität mehr“, meint Publizist Albrecht von Lucke. Foto: dpa

Von Martin Bernhard

Neckar-Odenwald-Kreis. Der Publizist Albrecht von Lucke erläuterte bei einem Online-Vortrag der Initiative "Herz statt Hetze" Neckar-Odenwald, warum die Macht der Politik begrenzt ist. Deswegen handele es sich bei Verschwörungserzählungen um Legenden. Rund 20 Personen hatten sich zum Vortrag zugeschaltet, der von Andreas Hauk moderiert wurde. Zunächst definierte von Lucke den Begriff Verschwörung: "Es gibt eine Macht, die alles steuert." Politik sei in der Lage, die Menschen zu dirigieren. Der Referent nannte diese Sichtweise "Allmachtsuggestion" und "Verschwörungslegende".

Albrecht von Lucke sprach online. Foto: dpa

Dass die Macht der Politik dagegen sehr begrenzt sei, stellte von Lucke anhand der Coronakrise dar. "Das ist die Konterkarierung der Allmachtstheorie der Politik", sagte er. Denn die Bundesregierung habe in vielen Bereichen versagt. Die Ministerpräsidentenkonferenz habe sich oft "hoch konfus" verhalten. "Es konnte von einer großen Machtballung keine Rede sein", stellte der Publizist fest.

So würde der Rechtsstaat Entscheidungen der Politik revidieren. Während die Soziologie von der "Staatsbedürftigkeit der Gesellschaft" ausgehe, habe die Corona-Krise gezeigt, dass der Staat gesellschaftsbedürftig sei. Deshalb habe die Kanzlerin häufig an die Mitarbeit der Bevölkerung appelliert. "Der Staat ist in der Coronakrise vom echten Durchregieren maximal entfernt."

Außerdem neige die zivile Gesellschaft zunehmend dazu, sich aggressiv gegen den Staat zur Wehr zu setzen. "Die Zivilgesellschaft kippt nach rechts", stellte der Referent fest und nannte als Beispiele Pegida, die Anti-Flüchtlingsbewegung und die Coronamaßnahmen-Kritiker. Es würden bei Demos Begriffe wie "Volksverräter" und "Volksaustausch" verwendet und Anschläge auf Politiker verübt. "Der Staat wird unter Beschuss genommen."

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Eine Rolle spielten dabei auch Medien. Weil diese häufig vorab informiert würden, existiere eine "Politik des Hinterzimmers" nicht mehr. Medien seien zunehmend "Treiber der Politik". Von Lucke verwies auf "Kampagnen der Springer-Presse", die seit 2015 zugenommen hätten. Die Boulevardzeitung "Bild" betreibe unter ihrem Chefredakteur Julian Reichelt "Kampagnen-Journalismus". Das Springerblatt "Die Welt" eifere ein stückweit den amerikanischen Fox-News nach. "Welt" und "Bild" erweckten den Eindruck, die Regierung wolle die Corona-Maßnahmen auf den Klimaschutz übertragen.

Im vergangenen Jahr sei nahezu an jedem Tag ein anderer Politiker "durchs Dorf getrieben" worden. Das führe zu einer Schwächung der Politik. Vor allem "Bild" verstehe sich als "Stimme des Volkes". Während der Flüchtlingskrise habe diese Zeitung eine "permanente Kampagne gegen die Bundesregierung" geführt. Der Springer-Konzern verstehe sich als die "Apo von rechts". Seine Medien betrieben gezielt die Schwächung der Politik. Von Lucke kritisierte generell die "mediengetriebene Empörungskultur".

Als Folge von solchen Kampagnen würden in den Parteien "Ausscheidungskonflikte" ausgetragen, denen oft starke Politiker zum Opfer fielen. Ihre Doktorarbeiten würden überprüft. Politiker müssten im Gegensatz zu Wirtschaftsvertretern Rechenschaft für ihr Handeln ablegen.

"Macht braucht Autorität", sagte Albrecht von Lucke. Diese bestehe aus Personen und Institutionen, also Parteien. "Wir haben nie eine Auswahl unter drei so schwachen Kanzlerkandidaten gehabt wie jetzt", stellte er fest. Armin Laschet (CDU) erhalte sogar in seinem Stammland Nordrhein-Westfalen schlechte Umfragewerte. Olaf Scholz (SPD) verfüge über ein schlechtes Charisma und verharre bei 15 Prozent. Annalena Baerbock habe enorm an Glaubwürdigkeit eingebüßt, weil sie ihren Lebenslauf manipuliert habe und die Grünen in Sachsen-Anhalt schlecht abgeschnitten hätten. "Die Parteien haben eine enorm schwache Personaldecke in einer Zeit, wo wir radikale Veränderungen brauchen", stellte von Lucke fest.

Über 60 Jahre hinweg habe Deutschland über Volksparteien verfügt, die in wechselnden Koalitionen regiert hätten. "Das hat die Bundesrepublik stark gemacht", sagte von Lucke. Jetzt existiere mit der CDU/CSU nur noch eine Volkspartei. Die SPD habe sich zur Regional- oder Nischenpartei entwickelt. Im Osten dagegen habe die AfD den Status einer Volkspartei erreicht. "Das sind aberwitzige Verhältnisse", sagte von Lucke.

Auf Bundesebene sei nur eine Große Koalition möglich, zurzeit aus Schwarz-Grün. "Die Parteien verfügen über keine Autorität mehr", stellte der Referent fest. "Das ist eine Schwäche gegenüber einer Bevölkerung, die zunehmend widerspenstig ist." Denn die Bevölkerung akzeptiere nur minimale Einschnitte wegen des Klimas.

Von Lucke rät den Parteien, zu prüfen, ob man auf ausgeschiedene Politiker zurückgreifen könne. "Kann es sich die Gesellschaft leisten, dass starke Politiker, die Fehler gemacht haben, auf unabsehbare Zeit von der Bildfläche verschwinden?", fragte er.

Albrecht von Lucke, selbst Jahrgang 1967, bezeichnete seine Generation als "saturiert". Die allerwenigsten hätten sich in Parteien engagiert. Das könne man sich nicht mehr leisten. Es müssten vermehrt Jugendliche in die Politik gehen. "Wir müssen eine Enttäuschung der Fridays-for-Future-Generation vermeiden!", appellierte er. Dazu müsse man ihren Vertretern vermitteln, dass Politik das "Bohren dicker Bretter" bedeute.

Zusammenfassend riet von Lucke, gegen die "Komplexitätsreduktion der Verschwörungstheorien" vorzugehen und zu vermitteln, dass Politik komplex sei. Man müsse das Bewusstsein für Parteipolitik fördern sowie Parteien und Politiker schützen.

In der Fragerunde betonte von Lucke, dass man gegen Frustration und Resignation unter Menschen, die sich politisch engagieren könnten, ankämpfen müsse. Solange Wohlstand im Land herrsche, und die soziale Kluft nicht zu groß sei, bestehe keine Gefahr. "Die BRD bleibt aber eine gefährdete Demokratie", stellte er fest. Er warnte auch vor dem Einfluss von Verschwörungstheoretikern an Schulen, vor allem in den östlichen Bundesländern. Es gehe um die kulturelle Hegemonie im vorpolitischen Raum. Man dürfe Symbole wie die Nationalfahne nicht an Rechte abgeben. "Wir müssen uns stärker um eigenen Traditionen kümmern, damit die Rechte diese nicht übernehmen", forderte er.

In Bezug auf einige Medien kritisierte von Lucke den "Erregungsbetrieb" und wünschte sich mehr Sachlichkeit. Die Schwächung der Politik durch die Medien sei interessengeleitet. So sei Ulf Poschardt, Chefredakteur der "Welt", Porschefahrer und vertrete Positionen der FDP. Das Springer-Blatt "Auto-Bild" benötige Anzeigenerlöse. Außerdem wolle der Springer-Konzern die Macht der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten brechen. "Das sind Beharrungskräfte, die nicht an einer Transformation der Gesellschaft interessiert sind", behauptete von Lucke. Außerdem kritisierte er, dass Politiker häufig nicht die Sprache des Volkes sprechen würden. Die "Progressiven" sollten auch über die Zumutungsbereitschaft der Bevölkerung nachdenken und die Menschen mit ihren Forderungen nicht überfordern.

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