Buchen. (tra) "Jetzt sind die Gedichte da, wo sie hingehören. Es gibt für sie keinen besseren Platz als das städtische Archiv", freute sich Walter Jaegle, als er am Freitagmorgen Bürgermeister Roland Burger die Originalschriften von rund 90 Gedichten überreichte, die von Susi Levi, einer Buchenerin jüdischen Glaubens, im Laufe ihres Lebens verfasst wurden.
Susanne bzw. Susi Levi wurde im Jahr 1897 in Buchen geboren und starb im Jahr 1985 in London. Insbesondere in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg schrieb sie als Mundartdichterin im Buchener Dialekt, jedoch verfasste sie auch Gedichte auf Hochdeutsch und nach ihrer Emigration nach England auch auf Englisch. Hier ist ihr Gedicht "ABC-Schütze!", das sie im Jahr 1930 verfasste und an die Nordbadische Landeszeitung in Mannheim schickte. Walter Jaegle hat es am Freitag vorgetragen:
Zwanzich Bube, zwanzich Mädli,
Sunndisch-Housche, Sunndisch-Klädli,
Frisch gewichsdi Schuh un Schdiffel, Neji Ranze, Daafel, Griffel.
Ernschdi, frischgewäscheni Gsichder,
(Meenschd sie schdehn vor eme Richder)
Herze klopfe bang un laut,
Keens si nei die Schuhl getraut,
Bis mit guddi Wort die Mütter,
(’s kinnt ’ne selber salzi, bitter,)
Scheiiche alli Ängscht un Weh,
Ganne, lernt etz’s ABC!
Susi Levi war in Buchen früher jedoch weniger als Dichterin, sondern vor allem als Händlerin bekannt: Sie war die Tochter des Buchener Händlers Abraham Wolf, der in der Marktstraße 12 (heute Marktstraße 18) das Kaufhaus A. Wolf betrieb, in dem Leder- und Textilwaren angeboten wurde. Im Jahr 1921 übernahm Susi Levi geborene Wolf mit ihrem Mann Herbert Levi (siehe Foto) den Betrieb des Geschäfts. Es war dort auch möglich, Bankgeschäfte abzuschließen und Reisen und Schiffspassagen zu buchen. Susi und Herbert Levi hatten zwei Kinder: Tochter Hella und Sohn Albrecht. Die Familie hatte das große Glück, dem mörderischen Judenhass der Nazis entkommen zu können: Albrecht und Hella wurden 1939 mit einem Kindertransport nach England gebracht, wo sie zunächst bei Pflegeeltern lebten.
Susi und Herbert Levi gelang es, ins damalige Südrhodesien, das heutige Simbabwe, zu emigrieren.
Albrecht Levi wurde in England ein sehr erfolgreicher Ingenieur und lebt auch heute in London. Mit Walter Jaegle verbindet ihn eine enge Freundschaft. "Wir telefonieren regelmäßig", berichtet Jaegle.
Walter Jaegle fragte Albrecht Levi, der vor vielen Jahren seinen Namen änderte und seitdem Albert Lester heißt, ob er sich vorstellen könne, ihm die Werke seiner Mutter Susi zukommen zu lassen.
"Kürzlich habe ich ihn gebeten, mir alle Originale zu überlassen, da ich sie gerne ins städtische Archiv geben würde. Nach Gesprächen mit seinem Sohn Guy hat er sie mir geschickt. Es sind rund 80 bis 90 Blätter, auf unterschiedlichen Papieren, die teils handschriftlich und mit der Maschine geschrieben wurden", so Jaegle. Bürgermeister Roland Burger freut sich sehr darüber, dass die heimat- und kulturgeschichtlich wertvolle Gedichtsammlung nun wieder in Buchen ist und von Stadtarchivar Tobias-Jan Kohler aufbewahrt wird. "Wir haben uns überlegt, einen Teil der mundartlichen Gedichte, die sich auf Buchen beziehen, im Wartturm zu veröffentlichen", so der Bürgermeister.
Hier nun noch ihr Gedicht "Zeppelin über Buche", das sie am 4. August 1930 geschrieben hatte, als "Graf Zeppelin" Buchen überflog und für Aufregung sorgte. Das Gedicht wurde in der Neuen Badischen Landeszeitung veröffentlicht:
Iich schdeh in meiere Kiche, un reiischd grad die Kardoffel, Do hör i wie se schreie, die Lisl un de Schdoffel:
De Zeppelin kinnt, guggt raus!
Un richdi, uff de Gasse
Do schdehn sie scho in Masse,
Un waarde uff des Wunner
Des kinnt vun Heddje runner,
Scheen langsam, majeschtedi,
Die Leüt sen ganz gedehdi,
Die Schtrohse her kinnt’s gflouche
Nach Dürn verschwinnds im Bouche.
Mit Sackduch, Schärz un Kabbe,
Mit Schärm un Akdemabbe
Begeischdert hem mer gwunke,
äbber ma Kardoffel (häbbe gschdunge!)
Susi Levi geborene Wolf mit ihrem Mann Herbert Levi.