Weinheims weltbürgerliches Flair ist wieder da: Auf dem „nördlichsten Marktplatz Italiens“ bedient der deutsch-spanische Besitzer eines Cafés eine gebürtige Weinheimerin. Foto: Dorn
Weinheim. (web) "Endlich ist es vorbei mit der Totengräberstimmung": Sabine Essmann und Claudia Heymann sind glücklich. Die beiden Schwestern – gebürtige Weinheimerinnen – haben sich am frühen Montagnachmittag vor dem Café Florian niedergelassen. Neben Getränken gibt es auch ein paar Kleinigkeiten zum Essen. "Vorab reserviert haben wir nicht", berichten sie, während ein Kellner eine cremefarbene Suppe serviert: "Wir haben uns am Eingang angemeldet."
Als die RNZ gegen 14 Uhr zwischen den Restaurants und Cafés hindurch schlendert, haben die meisten Betriebe geöffnet. Vorsichtig geschätzt ist etwa ein Drittel der ungewohnt weit auseinanderstehenden Tischinseln bevölkert. Draußen, wohlgemerkt – wobei die Belegquote von Gastronomie zu Gastronomie variiert. "Es sind noch nicht die ganz großen Besucherströme", so Andrés Salazar, Chef im Café Florian. Es müssten noch mehr Gäste kommen. Aber das könne ja noch werden.
Die Schwestern Essmann und Heymann plädieren derweil für weitere, vorsichtige Lockerungen. "Man sollte mit Bedacht vorgehen, damit nichts in die falsche Richtung kippt", so die Meinung an diesem Tisch. Schade sei, dass jedes Bundesland sein eigenes Tempo vorgibt – gerade für eine Grenzregion wie Weinheim. Für die Maskenpflicht habe sie zwar Verständnis, so Heymann. Aber vor allem beim Einkaufen sei diese lästig – und erschwere den persönlichen Kontakt zum Verkaufspersonal.
Schräg gegenüber haben Judith Kleinradl und ihre Kinder Jonathan und Helen Platz genommen – auf den Steinstufen vor dem Brunnen. Hier, im Schatten machen sie und Großmutter Doris Rach Pause, gönnen sich ein Eis. "Ich finde es toll, dass man wieder in Ruhe einen Kaffee trinken kann. Das ist ein Stück Lebensqualität, und die hat in den letzten Wochen gefehlt", sagt Kleinradl. Die Familie sei zuletzt selten auf dem Marktplatz gewesen. "Letzte Woche sind wir drüber gelaufen, aber dann weiter in den Schlosspark", so die Mutter. Vielleicht lädt der Marktplatz jetzt eher zum Verweilen ein, auch ohne einen Platz im Café. Auch sie würde sich über mehr Freiheiten freuen: "Aber es muss gewährleistet sein, dass die Leute Abstand halten, sonst droht die zweite Infektionswelle", findet sie. "Schön wäre es, wenn es auch wieder mehr kulturelle Angebote gäbe", ergänzt Großmutter Rach.
Anderer Auffassung ist eine Familie, die das "Hamilton" zu einem von zwei, drei Lieblingslokalen am Platz auserkoren hat. "Ich gehöre zu denen, die man als Verschwörungstheoretiker, Alu-Hüte und Schlimmeres beschimpft, aber ich stelle diese Maßnahmen infrage und habe so viel Rückgrat, um das offen zu sagen", erklärt der Vater, dessen erwachsene Tochter sich gegen eine namentliche Nennung in der Zeitung wehrt. Er sehe keine Grundlagen für harte Beschränkungen und würde sich freuen, wenn die Menschen anfingen, selbst zu denken, so der Vater sinngemäß. Dass er sich über die Wiedereröffnung der Restaurants freut, versteht sich von selbst. Er wolle die Wirte gern unterstützten, sagt er.