117 Paar Damenschuhe in allen Rotschattierungen hatte der Zontaclub Weinheim am Samstag am „Reiterin“-Standbild in der Hauptstraße (am ehemaligen Rossmarkt) zusammengetragen – zum sechsten Mal wurde so auf häusliche Gewalt aufmerksam gemacht. Foto: Kreutzer
Von Günter Grosch
Weinheim. 117 Paar Damenschuhe. Gruppiert um das von der Künstlerin Sabine Grzimek gestaltete Standbild der "Reiterin" am Eingang zur Fußgängerzone. Allerweltsschuhe und High Heels sind darunter ebenso wie Sneakers und Stiefeletten, Pumps, Sandalen, Ballerinas und Pantoffeln. Was sie alle eint: Ihr Farbspektrum reicht von zartrosa bis blut-rot. Doch mit Kunst und der Dame hoch zu Ross haben sie am vergangenen Samstagvormittag nur wenig bis gar nichts zu tun.
Es ist vielmehr ein ernstes Anliegen, das die Serviceclubdamen von Zonta Weinheim alljährlich hier versammelt: "Es geht um meist von Männern ausgeübte Gewalt in der Partnerschaft", informiert die amtierende Zonta-Präsidentin Ruth Syren die vielen Passanten, die neugierig stehen bleiben. Bereits zum sechsten Male in Folge rückte Zonta mit ihrem Aktionstag das Problem der häuslichen Gewalt in den Blickpunkt der breiten Öffentlichkeit.
Jedes der 117 Paar Schuhe steht für eine in diesem Jahr getötete Frau. "Erstochen. Erwürgt. Erschossen. Erschlagen. Von ihrem Ehemann, ihrem aktuellen oder einem früheren Lebenspartner", macht Syren deutlich. Brutale Gewalt gegen Frauen bis hin zum Mord sind auch in Deutschland keine Einzelfälle, empört sich die Zonta-Präsidentin: "Die oft äußerst brutalen Taten verbergen sich hinter verharmlosenden Begriffen wie ,Ehrenmord’, ,Familiendrama’ oder ,Beziehungstat’".
"Zonta says No: Zonta sagt "Nein zu Gewalt gegen Frauen", klären die Zontians auf. Alle 3,6 Minuten werde – statistisch gesehen – in Deutschland eine Frau vergewaltigt. Die Corona-Pandemie, der Lockdown und das dadurch erzwungene vermehrte ständige Beisammensein der Partner verschärfen in vielen Fällen noch die bereits angespannte häusliche Situation.
Eine Fluchtmöglichkeit und Sicherheit boten bisher und bieten auch weiterhin in vielen Fällen die Frauenhäuser. Doch Corona macht auch davor nicht halt. Zum einen merkt der im Homeoffice arbeitende "Herr des Hauses" sehr schnell, wenn die Frau ihre Koffer packen würde. Zum anderen mussten die Aufnahmekapazitäten auch der Frauenhäuser wegen der vorgeschriebenen Abstandsregeln drastisch heruntergefahren werden. "Außerdem fürchten viele Frauen diesen Schritt aus Angst, sich möglicherweise mit dem Virus anzustecken", so Syren.
In Mannheim hat man darauf reagiert und eine zusätzliche Wohnung angemietet. Diese kann für Frauen mit bis zu drei Kindern als vorübergehende "Quarantäne-Wohnung" genutzt werden, macht Syren, die gleichzeitig Leiterin des Frauen- und Kinderschutzhauses Heckertstift des Caritasverbandes Mannheim ist, Hoffnung. Frauen können rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr und in 17 Sprachen erreichbar über das "Hilfetelefon – Gewalt gegen Frauen" unter 08000/116016 Unterstützung erhalten. Das Heckertstift ist eines von 42 Frauen- und Kinderschutzhäusern in Baden-Württemberg. "Das sind viel zu wenige", wie sich viele der Umstehenden einig sind.
Häusliche Gewalt sei verletzend, strafbar und keine Privatangelegenheit, machen auch Syrens Mitstreiterinnen deutlich und verteilen Aufklärungs- und Infomaterial. Darin ist häusliche Gewalt in allen Formen (körperlich, sexuell und psychisch) aufgelistet. Gewalt beginnt bei Demütigungen, Beleidigungen und Einschüchterungen und steigert sich über Erpressung, Mobbing und Freiheitsberaubung bis zu Vergewaltigung, Totschlag und Mord.
Im letzten Jahr erfuhren rund 115.000 Frauen allein in Deutschland Partnerschaftsgewalt, wie die Statistik ausweist. 254 Frauen fanden dabei den Tod. Das Dunkelfeld nicht bekannt gewordener Taten wird darin allerdings nicht abgebildet. Rund 80 Prozent der Taten, die im Verborgenen stattfinden, werden nach Auffassung von Experten nicht aktenkundig. Zum Vergleich: 32 Männer fielen 2019 tödlicher Partnerschaftsgewalt zum Opfer. Noch einmal Ruth Syren: "Häusliche Gewalt ist keine Privatsache". Heiße es doch im Grundgesetz: "Jeder Mensch hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich." Wenn man hierüber den Mantel des Schweigens decke, schütze man die Täter.
Dass Weinheims Zontians in ihrem Anliegen nicht alleine auf weiter Flur stehen, verdeutlicht an einem Beispiel die "Netzwerk-Arbeit" mit ihrem Schwesterclub in Esslingen. Weil die dortigen Zontians in diesem Jahr nicht über die ausreichende Zahl von 117 Paar roten Schuhen verfügten, halfen ihnen die Weinheimerinnen kurzerhand mit 50 Paar aus. "Solche Aktionen müsste es viel öfter geben", so eine Passantin. Häusliche Gewalt gegen Frauen sei immer noch ein in der Öffentlichkeit zu wenig diskutiertes Thema.