Von Micha Hörnle
Schriesheim. Der Einzelhandel in der Innenstadt hat auch schon mal bessere Tage gesehen: Im Moment stehen neun Geschäfte oder Gaststätten leer, zwölf sind in den letzten Jahren zu Wohnraum umgewandelt worden – weil der besser und teurer zu vermieten ist. Deswegen griffen vor knapp vier Monaten Stadtverwaltung und Gemeinderat zu einem nicht unumstrittenen Mittel: der Aufstellung eines Bebauungsplans für große Teile der Altstadt samt einer zweijährigen Veränderungssperre. Mit ihm soll der Umwandlung von Läden in Wohnraum ein Riegel vorgeschoben werden – denn laut Bebauungsplan darf man erst ab dem ersten Stock wohnen.
Dabei warteten Räte und Rathaus auf das neue Einzelhandelsgutachten – um endlich ein paar Handreichungen dafür zu bekommen, was man tun könnte, um die Innenstadt wieder attraktiver zum Einkaufen zu machen. Nun liegt es vor, es ist 36 Seiten dick (oder dünn) und wird am Mittwoch auf der Gemeinderatssitzung vorgestellt, liegt aber bereits der RNZ vor.
>>> Hinweis: Lesen Sie hierzu auch die Reaktion des Schriesheimer Bürgermeisters zu diesem Artikel, die am Ende dieses Textes zu finden ist. <<<
Wer sich erhofft hatte, dass die Analyse der "Imakomm-Akademie" aus Aalen nun den erhofften Befreiungsschlag mit einer ganzen Reihe von guten und schnell umsetzbaren Maßnahmen bringen würde, wird allerdings enttäuscht. Denn Matthias Prüller von der Akademie fährt eine Liste von Dingen auf, die auch Einzelhandelslaien längst ahnten: Die Präsenz der Läden im Internet muss ausgebaut werden, sie sind oft nicht "sichtbar". Wer nach Waren oder Dienstleistungen googelt, bekommt oft Treffer aus dem Umland angezeigt.
Aber ob sich ein kleiner Händler eine eigene Internetseite samt Onlineshop überhaupt leisten kann sagt das Gutachten nichts. Auch nicht darüber, ob es eine Art "Stadtportal", also eine Liste sämtlicher Angebote (vielleicht sogar auf der Homepage der Stadt) geben sollte. Eben dies hatte die CDU Schriesheim schon vor Monaten angemahnt. Bisher gab es dazu keine Reaktion aus dem Rathaus. Auch dass einige Läden vielleicht heute noch etwas Nachholbedarf in Sachen Schaufenster und Warenpräsentation haben, ist nicht neu. Aber auch hier sagt das Gutachten nicht dazu, wie man den Händlern konkret helfen könnte.
Ähnlich unkonkret geht die "Imakomm-Akademie" auch mit dem im Moment wohl drängendsten Thema "Leerstände" um. Dazu heißt es, dass "Leerstände aufzuwerten" oder "Zwischennutzungen zu forcieren" seien. Allerdings nicht wie. Sollen leere Schaufenster mit hübschen Motiven beklebt werden, oder helfen Blumenampeln vor den nicht mehr genutzten Läden? Zumindest legen das einige Beispielbilder aus anderen Städten nahe, welche die Akademie anführt.
Eine Empfehlung immerhin gibt es in dem Gutachten: Es sollte einen hauptamtlichen Leerstandsmanager geben, der erst einmal ein Kataster erstellen und dann die wichtigen Akteure an einen Tisch bringen soll. Angedacht ist eine halbe Stelle mit einem Jahresbudget von 15.000 bis 20.000 Euro.
Ansonsten empfiehlt das Gutachten, was sowieso auf der Hand liegt: die Stärkung des "zentralen Versorgungsbereichs" der Innenstadt, also im Grunde der Heidelberger Straße (bis zur Bahnhofstraße) plus der Einmündung der Kirchstraße. Unklar ist allerdings, wieso dieser Bereich nicht bis zur Theodor-Körner-Straße reicht. Denn zwischen ihr und der Bahnhofstraße gibt es ja durchaus etliche Geschäfte.
In diesem Gebiet sollen die bestehenden Läden nicht nur durch den Ausschluss von Wohnnutzungen im Bestand gesichert werden – was ja auch geschehen ist –, hier sollen auch unerwünschte "Angebote" wie Spielhallen oder Ein-Euro-Läden verhindert werden, weil das zu einem "Trading-down"-Effekt, also zu einer "Verramschung" und einem Imageverfall, führen könnte.
Und hier soll es auch ausschließlich ein "zentrenrelevantes" Sortiment geben, also den klassischen Einzelhandel von Textilien über Blumen oder Schreibwaren bis hin zu Geschenkartikeln. Unklar ist, wieso aber ausgerechnet Kinderartikel oder Heimwerkerbedarf als "nicht zentrenrelevant" ausgeschlossen sein sollten.
Für die Dauer von zwei Jahren dürfen leerstehende Gewerbeflächen nicht mehr zu Wohnungen umgewandelt werden; nun empfiehlt ein Gutachten „aktives Leerstandsmanagement“. Foto: DornNicht weiter verwunderlich ist, welche Branchen in Schriesheim nach der "Imakomm-Akademie"-Analyse fehlen: Bekleidung, Schuhe und Sport. Aber was man dagegen tun kann, darüber sagt Autor Matthias Prüller nichts.
Denn, so berichtete die RNZ schon vor drei Jahren: Das Problem in Schriesheim ist nicht so sehr die angeblich fehlende Attraktivität des Zentrums und seines angeblich nicht optimalen Angebots, sondern die zu kleinen Läden. Denn vor allem die kleinen Einheiten stehen leer.
Als Anfang 2017 das Schuhhaus Kimmel in der Kirchstraße schloss, gab es sage und schreibe 25 Bewerber um das Ladenlokal, vom Friseur bis zum Dönerladen. Der Vermieter legte dagegen Wert auf einen Betrieb, der nach Schriesheim passt, wartete monatelang, bis er sich für einen Bewerber entschied; das Rennen machte letztlich Petra Spruck aus Heddesheim, die selbst gemachten Wohnaccessoires verkauft. Ihr Geschäft "Peppilello" war zuvor ein reiner Onlineshop gewesen. Und vielleicht – auch darauf geht das Gutachten nicht ein – ist der starre Blick auf alles, was an Sortimenten fehlen könnte, nicht besonders hilfreich: Ein paar pfiffige und ungewöhnliche Läden oder Cafés werten die Heidelberger Straße jetzt schon auf.
Fast vollkommen schweigt sich das Gutachten darüber aus, was alles getan werden könnte, um den Aufenthalt in der Altstadt angenehmer zu machen: Würde eine Fußgängerzone, zumindest aber eine zeitweilige Sperrung, helfen? Müsste man die Zahl der Parkplätze reduzieren? Wieso gibt es nur eine verwitterte Bank zum Hinsetzen, nämlich die vor dem Alten Rathaus?
Immerhin streift die Analyse einen wichtigen Punkt: Wie kann man mehr Leute in die Altstadt locken, also beispielsweise Ausflügler ansprechen? Das würde die Frage nach einem Tourismuskonzept und einem damit verbundenen Standortmarketing aufwerfen. Natürlich empfiehlt sich hier der Schwerpunkt "Wein", der im Stadtbild bisher kaum sichtbar ist. Wieso werden nicht, nach Pfälzer Vorbild, ein paar Rebenbögen angelegt? Da sieht schließlich jeder, dass Schriesheim die einzige Weinstadt an der Badischen Bergstraße ist. Und wenn man schon mal am Träumen ist: Wie wäre es mit einem "Haus der Bergsträßer Spezialitäten", vielleicht mit Produkten der Schriesheimer Winzer und Landwirte?
Denn eine klassische Einkaufsstadt, das sagt immerhin das Gutachten, wird Schriesheim nie werden, dafür sind die nahegelegenen Zentren Mannheim, Heidelberg und Weinheim zu stark. Im Moment wird in Schriesheim nur 61 Prozent der (übrigens überdurchschnittlich hohen) Kaufkraft vor Ort abgeschöpft, in etwa so viel wie in Dossenheim oder Heddesheim, Ladenburg steht mit 83 Prozent besser dar.
Einzelhandelsgutachten: Höfer wirft RNZ-Artikel "vorschnelles Urteil" vor
In der RNZ vom Samstag wurde über das Einzelhandelsgutachten berichtet, das die Stadt Schriesheim in Auftrag gegeben hat und das am Mittwoch im Gemeinderat behandelt wird. Am Montag erreichte die RNZ eine Stellungnahme von Bürgermeister Hansjörg Höfer, die wir im Wortlaut wiedergeben. (hö)
"Mit Befremden und großem Unverständnis hat die Stadtverwaltung die Berichterstattung von Herrn Dr. Hörnle zur Erstellung des Einzelhandelskonzeptes zur Kenntnis genommen.
Auf Nachfrage vom 14. Oktober hat Herr Dr. Hörnle von der Stadtverwaltung mitgeteilt bekommen, dass ihm das Konzept noch nicht ausgehändigt werden kann, weil der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 21. Oktober zunächst einen Entwurf des Konzeptes vorgelegt bekommt und über dessen Offenlage entscheiden wird. Danach werden die Öffentlichkeit sowie die Träger öffentlicher Belange zu dem Entwurf gehört werden, bevor der Konzeptentwurf dann dem Gemeinderat zum Beschluss vorgelegt wird. In diesem Zuge wägt der Gemeinderat auch über eventuell eingegangene Stellungnahmen aus der Offenlage ab.
Im Vorfeld wurden den Beteiligten (Ausschuss für Technik und Umwelt und Einzelhandel) die Ergebnisse des Konzeptentwurfes bereits vorgestellt. Die Präsentation hierzu umfasst 36 Seiten. Diese wurde durch Herrn Prüller (Imakomm-Akademie GmbH) in seinem Vortrag durch ein Vielfaches an Informationen ergänzt.
Der Autor schreibt, dass ihm das Konzept, welches seiner Aussage nach 36 Seiten umfasse, vorliege. Tatsächlich umfasst der Entwurf des Einzelhandelskonzeptes ganze 98 Seiten. Er stellt eine umfassende Analyse des Einzelhandels in Schriesheim dar und enthält darüber hinaus sehr wohl Handlungsempfehlungen für Verwaltung, Gemeinderat und Einzelhandel, um Schriesheim als Einkaufsstandort weiter zu stärken. Selbstverständlich wird man über die Ergebnisse des Konzeptes diskutieren können und müssen. Ein Einzelhandelskonzept, welches umfassende Lösungen für die drängendsten Probleme des Einzelhandels wie auf dem Silbertablett präsentiert, wäre nicht nur unrealistisch, es wäre gar unseriös. Mit dem Artikel wird die Arbeit der Imakomm-Akademie GmbH in einer nicht hinnehmbaren Art und Weise kritisiert, ohne dass der Autor Kenntnis vom gesamten Konzeptentwurf wie auch vom weiteren Vorgehen gehabt haben kann.
Hier ist vorschnell ein Urteil gefasst worden, welches dem guten Weg, den Verwaltung, Gemeinderat und Einzelhandel eingeschlagen haben, nicht gerecht wird. Die Stadtverwaltung distanziert sich ausdrücklich hiervon. Lassen Sie uns die Veröffentlichung des Einzelhandelskonzeptes abwarten und dieses als Grundlage für eine offene und ehrliche Diskussion nehmen, damit wir weiter konstruktiv an einer Stärkung des Einzelhandelsstandortes Schriesheim arbeiten können. Ich freue mich darauf!
Ihr Hansjörg Höfer, Bürgermeister."
Anm. d. Red.: Eine Veröffentlichung eines Gutachtens, bevor es im Gemeinderat besprochen wird, ist journalistisch nicht unüblich. In vertraulichen Gesprächen mit einigen Stadträten erfuhr die RNZ, dass es bei ihnen erheblichen Unmut über die Art der Untersuchung und über die zu dürftigen Handlungsempfehlungen gegeben hatte; diese fand die RNZ nach der Lektüre gerechtfertigt. In einem Punkt hat Bürgermeister Höfer recht: Der RNZ lag nicht das gesamte 98-seitige Gutachten vor, sondern die 36-seitige Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse. Diese wurde in nicht-öffentlicher Sitzung am letzten Mittwoch bereits den Vertretern des Einzelhandels präsentiert. Von einigen Stadträten wurde Unverständnis geäußert, wieso diese Sitzung nicht öffentlich war.
Update: Montag, 19. Oktober 2020, 19.30 Uhr