Anja Jörder, die Leiterin der „Reisewerkstatt“, will sich nicht verrückt machen lassen. Foto: Kreutzer
Von Marion Gottlob
Weinheim. Die Deutschen gehören zu den Weltmeistern des Reisens – weltweit sind sie normalerweise unterwegs. Doch in diesem Jahr war alles anders: Die Corona-Krise zog einen sauberen Strich durch die Reiserechnungen. In der Folge waren und sind Reisebüros und Reiseagenturen in ihrer Existenz gefährdet, viele müssen schließen. Zwei Weinheimer Unternehmen haben stattdessen gehandelt und neue Ideen entwickelt.
Im Jahr 2013 eröffnete Sylwia Fath ihre Reiseagentur mit dem Namen "Urlaubsengel". Als Urlaubsengel ist sie spezialisiert auf Luxus- und Individualreisen weltweit. Ihr Mann Stephan hatte seinen Job in einer Telekommunikationsfirma 2019 gerade gekündigt, um im Unternehmen seiner Frau tätig zu werden. "Ich wollte mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit etwas Neues machen. Und dann kam die Corona-Krise", erzählt er. Heute kann er darüber lächeln, aber zunächst war es eine harte Zeit. "Wir hatten sieben Tage die Woche alle Hände voll zu tun, um Kunden aus den Urlaubsländern zurückzuholen." Die zwei "Urlaubsengel" mussten in der Folge fast sämtliche Reisen stornieren.
Aber sie gaben nicht auf: "Jede Krise birgt auch eine Chance. Wir entschlossen uns, die Krise zu nutzen, um uns für die Zeit danach zu positionieren." Auf der großen CMT-Tourismus-Messe hatte das Paar ein Start-up-Unternehmen kennengelernt, das VW-Camper für Urlaubsreisen vermietet. Sylwia Fath erklärt: "Unsere Kunden wollen reisen, viele von ihnen sind auch gegenüber alternativen Urlaubsformen aufgeschlossen." Die Vermittlung von schicken Reisemobilen und Campervans entwickelte sich für die "Urlaubsengel" zum Renner der Saison 2020. Die Weinheimer gehören inzwischen zu den wenigen "klimafreundlichen" Reisebüros in Deutschland und bieten mit "Atmosfair" Klima-Kompensationen für Urlaubsreisen an. Ihr neuer Partner ist jetzt europaweit der größte Anbieter von VW-Campern.
Die „Reisewerkstatt“ bietet momentan ein geteiltes Bild: Auf der linken Seite des Gebäudes ist Platz für das ursprüngliche Geschäft, rechts werden originelle Geschenkartikel verkauft. Foto: KreutzerAuch die Reisewerkstatt von Anja Jörder und Sabrina Schab ist von der Corona-Krise schwer getroffen: "Das Tagesgeschäft besteht aus Umbuchungen, Stornierungen oder Rückabwicklung der Kundenzahlungen und Provisionen." Schon früh haben die Fachfrauen nach neuen Möglichkeiten gesucht. Seit Mai nähen die beiden nach der Arbeit im Reisebüro Mund-Nasen-Masken und bekommen Unterstützung durch ihre Familien. "Diese Arbeit hat uns geholfen, sonst wären wir verrückt geworden."
Im Sommer wirkte es so, als würde sich die Reise-Welt normalisieren. Doch mit den nächsten Reisewarnungen waren diese Hoffnungen rasch dahin. Sabrina Schab: "Wir hatten zwei Möglichkeiten: Wir schließen endgültig ab – oder wir entwickeln uns weiter." In der Folge wurden die Büroräume geteilt: In einem Teil der Firmenräume bleibt das Reisebüro bestehen. In der anderen Hälfte entstand die "Ballonwerkstatt".
Hier gibt es mit Helium gefüllte Zahlen- und Motivballons, befüllte Ballons als originelles (Geld-)Geschenk, Mottoballons, individuelle Ballondekorationen für Hochzeiten, Geburtstagsfeiern oder Jubiläen. "Passend hierzu haben wir kleine Geschenke für jeden Anlass. Individuell gefertigt, Geschenke nach Maß eben", so Sabrina Schab. Ergänzt wird dieser Bereich durch den Vertrieb von Bettwäsche sowie einen Showroom für Haka-Produkte.
In einem sind sich alle Reisefachleute jedoch einig: "Es bleibt zu hoffen, dass die weltweite Pandemie im nächsten Jahr soweit unter Kontrolle gebracht wird, dass das Reisen wieder möglich ist. Wir freuen uns darauf, bald auch wieder Reisen vermitteln zu können."