Von Christina Schäfer
Hirschberg-Großsachsen. Spricht man mit Helmut Steger, ist es eine leise Unterhaltung. Seine Stimme ist ruhig, die Augen wach, wenn er von seinem Werdegang erzählt, der ihn zu dem gemacht hat, was er heute ist - renommierter, mit zahlreichen Preisen ausgezeichneter Chorleiter, (Mit-)Initiator europäischer Musikwettbewerbe und Gründer des Vereins "Musik in Hirschberg", dessen Vorsitzender er ist.
Ein Musiker, der sein Talent früh erkannte und sich vollends der Musik verschrieb? Bei einem solchen Satz schüttelt Steger den Kopf. Das Leben mit Musik war für ihn nicht vorgezeichnet. Wenn andere von dem schwärmen, was Musik für sie schon von Kindesbeinen an bedeutete, bleibt Steger ohne jedweden Überschwang.
Es ist anfangs kein eigener Wille, sondern vielmehr das, was ihm zugefallen ist, erzählt er: Blockflöten- und später Klavierunterricht, Chorgesang, Cellospiel erlernen. Wenn der Chorleiter von seinen Schritten aus Kindheit und Jugend in Richtung des Musikerdaseins erzählt, dann läuft das in gänzlich unaufgeregten Worten ab.
Musikalisches Hirschberg: Helmut Steger
Kamera: Peter Dorn / Produktion: Anna Manceron/Reinhard Lask
Hineingeboren in einen Haushalt, in dem das Textilgeschäft der Eltern als Broterwerb dient, ist ihm die Musik nicht in die Wiege gelegt. Ihm wird mit 17 Jahren klar, dass er Musik studieren will. Er schreibt dies den "extrinsischen, nicht intrinsischen" Begebenheiten zu - vor allem seinem Musiklehrer Fritz Oberst, der ihn in den Kammerchor holt und ebenso dafür sorgt, dass er Cellounterricht erhält, auch wenn die Eltern den nicht finanzieren können. Die Stadt Weinheim zahlt für den Schüler aus Großsachsen eine Förderung, die bis zum Abitur anhält. Oberst hat dafür gesorgt. Der Musiklehrer sieht in ihm das, was Steger selbst lange Zeit nicht wahrnimmt.
"Es hat sich so entwickelt", sagt Helmut Steger über die Entscheidung für das Musikstudium. Es lag nahe - zwei Instrumente, Singen in zwei Chören. Für den Vater sollte es was Ordentliches sein, "also eher Beamter", führt es Steger aus. Er findet sich im Schuldienst wieder. Auch das keine Leidenschaft. "Es ist Sisyphusarbeit", erinnert er sich an den Unterricht. Ihm fehlt dabei die Erfüllung des Anspruchs, den er hat. Als Ausgleich sieht er das Leiten von Chören.
Steger beginnt damit bereits während des Studiums, zunächst diverse Kirchenchöre in Weinheim und Großsachsen, viele Jahre später sind es die "Ulmer Spatzen", die er 1985 übernimmt. Zwölf Jahre dauert seine Zeit dort, die geprägt ist von Konzertreisen ins europäische Ausland wie in die USA und nach Japan, die Teilnahme an Wettbewerben und der Gewinn von Preisen. Sie geben dem Team aus Chor und ihrem Leiter Bestätigung, sind für Steger aber nicht das Nonplusultra. Seine Analyse fällt nüchtern aus: Es sei eine Anerkennung von anderen Sachverständigen darüber, dass "unsere Leistung sich hat hören lassen können".
Was ist mit Stolz? Das sei keine Kategorie für ihn, sagt er. Dann fällt ihm doch etwas ein: "Ein klein wenig stolz bin ich, dass der Ulmer Frauenchor seit 25 Jahren mit mir arbeitet." Steger meint jene Sängerinnen, die nach ihrer Zeit bei den "Ulmer Spatzen" mit ihm weiterarbeiten wollten. 1995 gründete sich der Chor - sie arbeiten bis heute zusammen.
Die Position als Chorleiter ist für ihn wie die eines Dienstleisters. "Die Gruppe wäre mit einem anderen vielleicht auch etwas, aber ich wäre ohne die Gruppe nichts", bringt er es auf den Punkt.
Helmut Steger beschreibt sich selbst als auch mal unleidigen Chorleiter. Etwa, wenn die Stimmen nicht vorbereitet sind. Fordern, um zu fördern, sei immer seine Maxime gewesen. Damit einhergehend das Wecken der Leidenschaft, damit Sängerinnen und Sänger in sich den Ehrgeiz finden und darüber Leistung bringen. "Es muss nicht nur ihnen, sondern auch mir Spaß machen", sagt Helmut Steger über seine Einstellung. Das heißt auch: Er will das Optimum rausholen. "Ich kann nicht auf die Bühne gehen als Sprecher, indem ich ein Gedicht ablese. Ich muss es verinnerlicht haben, um dem Text mit meinen Worten dienen zu können. Dann ist es optimal."
Gleiches gilt für ihn bei Chorgesang. Es gehe darum herauszuarbeiten, wie der Komponist ein Stück gemeint hat, mit den Stimmen die Bedeutung von Noten und Worten zu interpretieren. "Man muss einem Stück zuhören", beschreibt Steger die Arbeit des Chorleiters im Vorfeld.
Seine Wohnung füllen Regale voll mit Langspielplatten; klassische Werke diverser Komponisten mischen sich mit jenen von etwa Liedermacher Herman van Veen. An den Wänden neben seinem Klavier reihen sich Noten aneinander. Darunter Partituren von Oratorien, die er nie gespielt oder hat aufführen lassen, die er aber liest, wenn er die Musik hört und dabei die hinter den Noten liegende Intention des Komponisten verfolgt.
"Musik ist viel mehr geworden, Musik ist mein Leben", sagt Helmut Steger. Ein Leben ohne Musik kann er sich nicht vorstellen. Ein Leben ohne Chorleiterdasein aber sehr wohl. Dann ist man bei dem, was ihm zufiel und ihn letztlich auf diesen Weg geführt hat. Dem Rückblick auf den frühen Cellounterricht, in dem er klassische Stücke ohne jegliche Klavierbegleitung spielte. Heute bedauert er das etwas. "Möglicherweise wäre mein Weg etwas anders geworden, wenn ich da gemerkt hätte, dass Kammermusik etwas Tolles ist." Vielleicht wäre er dann heute nicht Chorleiter, sondern Cellist.
Er habe sich auch sein Talent von Worten und Reden beruflich vorstellen können - als Pfarrer. Es ist eine Reise zu Möglichkeiten, die jede Reue ausschließt. Denn letztlich weiß Steger: Ein Beruf, der ihm genau so viel hätte geben können, wie die Musik, den gibt es nicht.