Sie pocht auf die Werte des Grundgesetzes, im Landtag und im Leben: Muhterem Aras. F.: Dorn
Von Maximilian Rieser
Weinheim. Nur noch einige Tage bleiben den Parteien, um die Wähler zu überzeugen. Schon diesen Sonntag geht es an die Wahlurnen. Für seinen letzten Online-Wahlkampftermin hat sich der Landtagsabgeordnete der Grünen, Uli Sckerl, niemand anderen als die Präsidentin des Landesparlaments ins Boot geholt. Muhterem Aras hat das Amt seit 2016 inne und berichtete am Mittwoch von ihrem Werdegang, der sie politisierte.
Die Tochter einer kurdisch-alevitischen Familie, die aus der Türkei nach Deutschland gekommen war, um den Töchtern eine Zukunft zu ermöglichen, fand 1992 im Zuge der Pogrome von Rostock-Lichtenhagen zur Politik. Die vorher offene Gesellschaft empfand sie in zunehmendem Maße als bedrohlich: "Ich wollte abends nicht mehr auf die Straße, hatte Pfefferspray bei mir." Da sie dies nicht akzeptieren wollte, wurde sie aktiv.
Sie entschied sich aus drei Gründen für die Grünen: Erstens empfand sie den Umgang der Partei mit Minderheiten als angenehm, da man diesen auf Augenhöhe begegnete. Zweitens war ihr das Einstehen für Menschenrechte wichtig, und drittens der Kampf für die Chancengleichheit der Geschlechter.
Nach einer politischen Karriere in Stuttgart wurde sie 2016 als erste Frau Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg. Schon vorher hätten "fitte" Frauen aus der CDU das Amt bekleiden müssen, doch erst die Grünen hätten es ermöglicht.
Sckerl wollte von ihr wissen, was sie antreibe. Arras erfülle nicht allein Mandat und Amt, sondern leiste Aufklärungsarbeit an Schulen und halte die Erinnerungskultur hoch. Aras sagte, dass in der Türkei sowohl ihre Muttersprache als auch ihre Religion von der patriarchalisch geprägten sunnitischen Mehrheitsgesellschaft verboten worden seien. In Deutschland würde die Verfassung allen zugestehen, Glauben und Lebensentwurf frei auszuüben, so diese sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. Dies gelte es hochzuhalten, zu schätzen, nie als selbstverständlich anzusehen. Zur Erinnerungsarbeit betonte sie, dass niemand aus der heutigen deutschen Gesellschaft für die Gräuel des NS-Regimes verantwortlich sei, es aber in der Verantwortung eines jeden liege, zu verhindern, dass sich Ähnliches wiederholt: "Es hat nicht mit Konzentrationslagern begonnen, sondern mit Hass, Hetze, Spaltung."
Sie betonte, dass jeder, ob mit oder ohne Migrationsgeschichte, sich mit diesen Wirkmechanismen auseinandersetzen müsse, die in Faschismus mündeten. Wiederholt berief sich Aras auf eine Art Staatsbürgernationalismus, der jedem eine Teilhabe in der Gesellschaft garantiert und sich zu Grundwerten bekennt. Sie selbst werde sich immer gegen Holocaustrelativierung, Antisemitismus und Rassismus stellen.
In dieser Haltung werde sie von allen Parteien im Landtag unterstützt, außer von einer, deren Namen Aras im gesamten Gespräch nicht nannte. Ein Abgeordneter dieser Partei habe ihr abgesprochen, sich gegen Rassismus und Antisemitismus zu stellen, da sie selbst nicht deutsch sei, "und das ist Rassismus pur." Weiter plädierte Aras für einen größeren Anteil an Frauen in der Politik, da sowohl Studien als auch Erfahrung zeigten, dass dies andere Perspektiven einbringe und zum Beispiel Unternehmen mit diverseren Vorständen krisensicherer seien. Außerdem würden sich auch mehr Frauen am politischen Betrieb beteiligen, wenn es eine höhere Repräsentanz gebe. Es könne nicht sein, dass der Frauenanteil im Landtag nur bei 26,6 Prozent liegt. Die Grünen würden den Schnitt heben, da die Fraktion zu 47 Prozent aus Frauen bestehe. Für die nächste Legislatur forderte sie ein Paritätsgesetz.
In der Fragerunde sprach sich Aras für islamischen Religionsunterricht aus, der aber nicht von Islamisten unterwandert werden dürfe: "Die Schüler lernen in der Schule, Gleichberechtigung zu schätzen, und in einigen Moscheen wird dann von türkischen Beamten gelehrt, die Gleichberechtigung sei wider die Natur. Die Moscheen machen viel wichtige Arbeit, aber es gibt einige, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, und das muss man benennen." Zudem kam die Frage auf, ob rechtspopulistische Kräfte die Arbeit im Landtag erschwerten und die Demokratie aushöhlen. Die Landtagspräsidentin berichtete, dass sich der Verwaltungsaufwand erhöht habe und es in dieser Legislatur zu fünf Sitzungsausschlüssen kam, was in jenen davor nur einmal geschehen war. Es sei nicht in ihrem Sinne, solche Regularien anzuwenden, aber: "Man muss anständig, respektvoll und rücksichtsvoll miteinander umgehen. Tut man das nicht, ist eine rote Linie überschritten und dann muss man die Reißleine ziehen."