An die Stelle der Filiale auf der Waid ist der Friseursalon von Irina Falkenstern getreten. Foto: Dorn
Von Philipp Weber
Weinheim. Scheren statt Backware, Wandspiegel statt Verkaufstheke: Nach dem Ende der Hirschberger Bäckerei Muschelknautz hat Friseurin Irina Falkenstern die Filialräume im Weinheimer Stadtbezirk Waid übernommen. Der Familienbetrieb Muschelknautz hatte hier bis Ende September Backware, Milch und Brot verkauft. Dann schloss die Waid-Filiale, zwei Monate später folgte die Verkaufsstelle in Lützelsachsen. Die Hirschberger Hauptstelle wird dagegen von einer Bäckerei aus Birkenau weitergeführt - als Filiale.
Margarete Wacker, Vorsitzende der Interessengemeinschaft (IG) Waid, sieht diese Entwicklung mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits freut sich die Friseurmeisterin, dass mit Irina Falkenstern nun eine Kollegin die Ladenfläche übernommen hat: "Sie war vorher in einer anderen Gegend Weinheims und hatte größere Räume gesucht." Außerdem sei in einem kleinen Wohn-Bezirk wie der Waid auch ein Friseurgeschäft vor der eigenen Haustür viel wert. Andererseits seien viele Anwohner enttäuscht gewesen, weil kein anderer Bäcker gekommen ist. "Die Bäckereifiliale war auch so etwas wie ein Kommunikationszentrum", sagt sie.
Das gelte nicht nur für die älteren Waid-Bewohner. "Auch die Berufstätigen legten auf ihrem Weg zur Arbeit hier einen Stopp ein, um sich mit Backware zu versorgen." Überhaupt blickte der Backwarenverkauf der Familie Muschelknautz auf der Waid auf eine lange Tradition zurück. "Als ich noch ein Kind war, kam der Bäcker mit dem Kombi aus Hirschberg angefahren. Dann verkaufte er seine Brötchen und Brote bei geöffneter Heckklappe", erinnert sich IG-Vorsitzende Wacker. Später habe eine Hirschberger Architektenfamilie der evangelischen Kirche ein Stück Bauland am Hammerweg abgekauft und darauf gebaut. Die Muschelknautz-Verkaufsstelle zog in das Anwesen ein.
Auch die Muschelknautz-Verkaufsstelle im unteren Lützelsachsen steht leer. Foto: DornDie zweite Weinheimer Muschelknautz-Filiale steht dagegen leer: Die früheren Verkaufsräume befinden sich in einem kleinen Einkaufsareal an der unteren Sommergasse in Lützelsachsen, in unmittelbarer Nachbarschaft eines ortsbekannten Elektriker-Betriebs. Der letzte Dank an die früheren Bäckerei-Kunden hängt in dem einen Schaufenster der alten Verkaufsstelle, ein Zettel mit Kontaktdaten für neue Mietinteressenten in dem anderen. Ansonsten sind die Räume leer. Ortsvorsteherin Doris Falter kann nur hoffen, dass Lützelsachsen mit seinen immerhin rund 6000 Einwohnern attraktiv genug ist, um Nachmieter zu locken.
Die Traditionsbäckerei Mayer an der Müllheimer Talstraße hat geschlossen. Foto: DornEin ähnlich trostloses Bild gibt die frühere Bäckerei Mayer in der Müllheimer Talstraße ab. Bis kurz vor Silvester konnte man hier vor Ort gebackene Back- und Konditorware kaufen - oder sich ein Brötchen mit Gemüse und frischem Käse belegen lassen. Dann gab auch dieser Betrieb auf. Nach RNZ-Informationen hat die Bäckerei im Osten Weinheims aus ähnlichen Gründen geschlossen wie die Muschelknautz-Filialen im Süden des Stadtgebiets: Die Bäcker hörten vor allem aus Altersgründen auf, Nachfolger standen nicht bereit. Die Bäcker selbst wollten nicht an die breite Öffentlichkeit treten. Die RNZ hat aber mit einigen ihrer alten Stammkunden gesprochen, die um die traditionelle Backkunst in der Stadt fürchten und die Perspektive ihrer früheren "Brötchengeber" zumindest ein Stück weit einnehmen können.
Demnach kämpfen kleinere Bäckereien nicht allein mit der Billigkonkurrenz, die von großen Backketten und Discountern ausgeht; auch die wachsende Bürokratie macht ihnen zu schaffen. So müssen auch Kleinstbetriebe, die vor Ort backen und verkaufen, alle möglichen Allergene aufschreiben - und die entsprechenden Listen im Laden auslegen. In der Verkaufspraxis schaut kein Kunde darauf. Warum auch? Das Fachpersonal steht ja hinterm Tresen.
Bernd Kütscher bildet Bäcker weiter. Foto: zg
Auch Bernd Kütscher weiß um diese Probleme: "Dass viele kleine Betriebe zumachen, hat vielschichtige Gründe", so der Direktor der "Akademie Deutsches Bäckerhandwerk Weinheim". Fehlende Nachfolger, mangelnde Wirtschaftlichkeit oder die für heutige Ansprüche nicht mehr optimale Lage von Betrieben zählten dazu, so Kütscher: "Kunden machen heute keinen Umweg mehr." Letztlich hätten es die Verbraucher aber auch selbst in der Hand, wo sie einkaufen und welche Betriebe am Markt bleiben.
"Die Betriebsgröße hat aber nichts mit der Qualität zu tun, hier spielen ganz andere Faktoren eine Rolle", sagt Kütscher. Er kann aber bestätigten, dass sich die handwerkliche Vielfalt mit jeder Betriebsaufgabe verringert - weil individuelle Rezepturen und Verfahren verloren gehen. Die Akademie steuert aktiv gegen.
"Wir sind sehr erfolgreich darin, jenen Betrieben, die zu uns kommen, durch entsprechende Weiterbildungen in eine gute Zukunft zu helfen", sagt Direktor Kütscher. Das habe sich offenbar herumgesprochen: "Die Nachfrage ist so dramatisch gestiegen, dass wir gerade die nächste Erweiterung von Gästezimmern und Backstuben planen." Allerdings müssten die Betriebe auch bereit sein, an sich zu arbeiten - und sich weiterzuentwickeln: "Das wollen oder können leider nicht alle." Von den Betrieben in der Region, die in den letzten Jahren aufgaben, haben, habe keiner die Weiterbildung besucht.